Gerlinda Swillen erinnert an das Schicksal der Vergessenen

<p>Gerlinda Swillen erinnert an das Schicksal der Vergessenen</p>

Wenn man sich mit Kriegskindern beschäftigt, kommt man an Gerlinda Swillen nicht vorbei: Sie ist selbst betroffen und wurde im Jahr 1942 in Ostende geboren – als Kind eines Wehrmachtssoldaten, der ihrer Mutter während der Besatzung kennenlernte. „Ich habe immer gewusst, dass etwas mit meiner Herkunft nicht stimmte“, blickt die 77-Jährige zurück. Das Thema Kriegskinder wurde jahrelang tabuisiert und verschwiegen. Auch sie habe das Misstrauen, diese Verschwiegenheit und „Geheimhaltung“ gespürt, dieses „Das verstehst du doch nicht“, das Betroffenen seitens der eigenen Familie entgegengebracht wurde. „Es hat uns früh geprägt“, sagt Gerlinda Swillen im Gespräch mit dem GrenzEcho.

Die Suche nach der eigenen Herkunft gestaltete sich auch für sie mühsam.

Dabei habe jeder das Recht zu erfahren, woher er stammt und was seine Identität ausmacht. Doch die Suche nach der eigenen Herkunft gestaltete sich auch für sie mühsam. Erst sehr spät, mit dem Abstand einiger Jahrzehnte änderte sich etwas. „Das mein Erzeuger ein Deutscher war, habe ich irgendwann erfahren. Im Jahr 2007 dann auch, dass er Karl Weigert hieß, mehr aber nicht“, erzählt Gerlinda Swillen. So begann eine beschwerliche Recherche durch Archive und die Kontaktaufnahme mit zahlreichen Behörden, bis ihr Geheimnis gelüftet werden konnte. Sie wendete sich an das Rote Kreuz, an die zuständige „Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der deutschen Wehrmacht“ und an das belgische Staatsarchiv Cegesoma.

Irgendwann kam eine Antwort aus Deutschland: „Ich kann mich noch genau daran erinnern: Das war im August 2008, und natürlich war ich sehr aufgeregt, als es hieß, dass man meinen Vater gefunden habe.“ Den Angaben zufolge war er bereits 1958 gestorben, doch etwas später erhielt sie auch ein Bild ihres leiblichen Vaters und stellte schnell fest, „wie sehr ich ihm geähnelt habe“.

Mit der „Entdeckung“ ihrer Herkunft war es für Gerlinda Swillen aber nicht getan: Vielmehr hat die ehemalige Lehrerin ihre persönliche Erfahrung als Anlass genommen, die Geschichte der Kriegskinder grundlegend aufzuarbeiten: „Im Zuge meiner Anfragen haben die Vertreter von Cegesoma festgestellt, dass zu diesem Thema in Belgien eigentlich nicht geforscht worden ist.“ Sie startete einen Aufruf und versuchte Licht ins Dunkel zu bringen – auch in Ostbelgien. Unterstützung erhielt sie dabei unter anderem vom Staatsarchiv in Eupen und der heutigen Leiterin Els Herrebout sowie dem damaligen Ministerpräsidenten Karl-Heinz Lambertz (SP), wie sie lobend hervorhebt. „Seinerzeit wurde ein Anfang gemacht. Und wie sehr das Thema unter die Haut geht, haben wir bei einem Vortrag im Staatsarchiv bemerkt, bei dem es sehr still war“, berichtet Gerlinda Swillen von ihrer Pionierarbeit, die zu mehreren Veröffentlichungen geführt hat. Das aktuelle GEV-Buch „Der Zweite Weltkrieg ist unsere Wiege“ trägt den Untertitel „Eine ostbelgische Geschichte“ und stellt die bisher umfassendste und wissenschaftlich erforschte Erfassung aller Details dar, die mit dem Begriff Kriegskinder verknüpft sind. Eingebunden in die Darstellungen der Autorin sind Zeitzeugenberichte, um „die Akten zum Sprechen zu bringen“, wie die Autorin schreibt. Auf den Leser wartet also kein Roman, sondern eine wissenschaftliche Arbeit mit vielen Fakten. „Ich habe gar nicht das Talent, einen Roman zu schreiben, sondern wollte mich dem Thema auf wissenschaftliche Art und Weise nähern. Und so den Betroffenen in Ostbelgien eine Stimme geben.“ Sie warnt davor, nach verlässlichen Zahlen zu suchen: „Es geht hier nicht um eine quantitative, sondern um eine qualitative historische Forschung. Wir werden überhaupt nie wissen, wie viele Kinder dieser Krieg gezeugt hat“, hält Gerlinda Swillen in der Einleitung fest.

Betroffenen rät sie, sich an die offiziellen Behörden zu richten und nicht zu schnell vorzugehen. „Ansonsten schließen sich allzu schnell viele Türen.“ Was war mein Vater für ein Mann? Lebt er vielleicht noch? Gibt es ein Bild? Es seien solche Fragen, die sich Betroffene immer wieder gestellt hätten. Die Privatrechte derjenigen, die in ihrer aktuellen Publikation zu Wort kommen, seien über ein Abkommen mit dem Staatsarchiv Cegesoma geschützt. „Natürlich kann man Rückschlüsse ziehen, und natürlich werden sich die Betroffenen trotz der Namensänderungen auch selbst wiedererkennen“, sagt sie. Nach vier Jahrzehnten Berufstätigkeit ist sie mittlerweile „Ehrenlehrerin“. Im Jahr 2008 hat Gerlinda Swillen ebenfalls den Verein der Kriegskinder in Belgien gegründet und zwei Jahre später als erstes belgisches Kriegskind die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Als Auszeichnung ihrer Forschungstätigkeit hat ihr die Freie Universität Brüssel (VUB) den Doktortitel verliehen.

Lobbyarbeit für ein Abkommen, das den Status der Kriegskinder anerkennt.

Gerlinda Swillen setzt sich für ein internationales Abkommen ein, das den Status von Kindern, die in bewaffneten Konflikten gezeugt werden, anerkennt. „In diesem Punkt ist nach dem Zweiten Weltkrieg vieles falsch gemacht worden. Der belgische Staat ist mit rigorosen Repressalien vorgegangen und hat mit der Aberkennung von Staatsangehörigkeiten gearbeitet. Das hatte natürlich auch schlimme Folgen für die Kinder dieser Leute. Das ist besonders schrecklich“, denkt sie. Lobbyarbeit für eine internationale Vereinbarung sollten die Behörden vor allem im UN-Sicherheitsrat machen, in dem Belgien noch bis Ende 2020 einen nicht-ständigen Sitz hat.


Gerlinda Swillen: Der Zweite Weltkrieg ist unsere Wiege Eine ostbelgische Geschichte (mit Zeitzeugenberichten von Wehrmachts- und GI-Kriegskindern); Grenz-Echo Verlag, Eupen 2019, 280 Seiten; ISBN: 978-3-86712-140-8; Weitere Infos unter www.gev.be

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