Pascal Arimont: Die Grenzen öffnen – sofort!

<p>Illustration: Photo News</p>
Illustration: Photo News

Ich bin an der Grenze aufgewachsen. Es gibt wenig, das mich mehr beeindruckt hat, als das allmähliche Verschwinden dieser Grenzen. Die unglaubliche Kraft der europäischen Idee muss in Ostbelgien nicht in Sonntagsreden erklärt werden. Wir Ostbelgier leben diese Idee jeden einzelnen Tag.

Seit dem 18. März erleben wir jedoch erneut, dass unsere Grenzregion zerschnitten ist. Nur noch „wesentliche Fahrten“ in unsere Nachbarländer sind erlaubt, die jeweils vom Nationalen Sicherheitsrat zugestanden werden. Uns wird plötzlich sehr real vor Augen geführt, welchen hohen Wert das form- und bedingungslose Überqueren der Grenzen für uns hat.

Angesichts der Corona-Pandemie wurden Grenzen hochgezogen und „Passierscheine“ eingesetzt. All dies geschah ganz ohne Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Staaten, weil die innere Sicherheit – und damit das Grenzmanagement – der heilige Gral dieser Nationalstaaten ist. Die Leidtragenden dieser Entscheidungen sind, wie immer, wenn Europa zurückgefahren wird, die Grenzregionen und die dort lebenden Menschen.

Und damit muss jetzt Schluss sein. Die Grenzschließungen sind nicht mehr verhältnismäßig. Sie sind gefährlich: Sie tragen zur Spaltung bei und führen zu neuen Ressentiments gegenüber den Menschen, die auf der anderen Seite der Grenze leben. Grenzen entstehen im Kopf.

Darüber hinaus treiben sie Familien auseinander, die sich nicht mehr sehen dürfen, weil sie nicht in demselben Land leben, obschon sie in vielen Fällen nur einige Kilometer voneinander entfernt sind.

Was in den Augen der Mitgliedstaaten zu Beginn aus Gründen des Gesundheitsschutzes und der unterschiedlichen Umsetzung der Schutzmaßnahmen in den Nachbarländern als verhältnismäßig erschien, ist nach all den Wochen der Grenzschließung einfach nicht mehr gegeben. Denn alle Nachbarstaaten haben ähnliche Strategien zum Gesundheitsschutz ausgearbeitet und umgesetzt. Und diese Schutzmaßnahmen kann auch jeder einhalten, der eine Grenze übertritt.

Darum ist es – schon seit vielen Tagen – notwendig, eine Entscheidung zu den Grenzen zu treffen. Der Nationale Sicherheitsrat Belgiens hat einen entsprechenden Grundsatzbeschluss gefasst, der insbesondere darauf beruht, dass die epidemiologische Lage zu den Nachbarstaaten vergleichbar sein muss.

Das trifft in unserem Fall zu. Auch die medizinischen Kapazitäten sind in unseren Regionen ähnlich belastbar.

Es dauert fünf Sekunden, den Beschluss zu fassen, eine Grenze zu schließen. Wir sehen zurzeit, wie schwierig es ist, Grenzen wieder zu öffnen. In einer Arbeitsgruppe mit Ministerpräsident Oliver Paasch und Parlamentspräsident Karl-Heinz Lambertz versuchen wir seit Wochen und Tagen, die Bedingungen zu schaffen, um Einreisebeschränkunken und Kontrollen abbauen und einstellen zu können. Wir werden nicht müde, diese Forderung vehement auf allen Ebenen im In- und Ausland vorzutragen.

Auch sollten die Exit-Strategien der verschiedenen Länder im Rahmen der Grenzöffnungen besser koordiniert werden. Warum ein Restaurant in Aachen öffnen darf und das in Eupen geschlossen bleiben muss, obwohl die Infektionswerte identisch sind, verstehe ich nicht. Das ist aber kein Grund, die Grenze weiterhin geschlossen zu halten, sondern vielmehr, diese zu öffnen und beiden Restaurantbetreibern die gleichen Chancen mit den gleichen Schutzmaßnahmen einzuräumen. Dies ist leider nur eines von vielen Beispielen. Eines von zu vielen Beispielen.

In unserer Region zwischen zwei Dreiländerpunkten sind aus Grenzräumen gemeinsame Lebensräume entstanden. Hier ist das Überqueren einer Grenze keine Ausnahmesituation, sondern gelebter Alltag. Hier fährt man nicht „rüber“ in ein anderes Land, sondern „rüber“ in ein anderes Dorf oder in eine andere Stadt.

Einen Virus hält man nicht auf, indem man Grenzen schließt, sondern indem man zusammenarbeitet – über die Grenzen hinweg.

Kommentare

  • Die Botschaft hör ich wohl, für wahr mir fehlz der Glaube. Lobenswert wie sich Politiker aus der DG für die Grenzöffnung einsetzen.
    Nur ich denke, es geht den Verantwortlichen in Brüssel am A..... vorbei.

  • Herr Arimont schildert sehr persönlich seine Einstellung und das ist anerkennungswürdig.
    Er leidet genau wie wir unter diesen unmöglichen Grenzverordnungen. Weder er noch Herr Oliver Paasch haben Weisungsbefugnis trotzdem legt Herr Arimont täglich den Finger in die Wunde .

  • Daumen hoch für Herrn Arimont und seine Arbeitsgruppe zum Thema Grenzöffnung! Ihr großer Einsatz scheitert traurigerweise nur an unserem Innenminister De Crem, der seine offizielle Befugnis zur teilweisen Grenzöffnung zu verschiedenen Ländern absolut nicht umsetzen will?? oder kann?? Es wird höchste Zeit, solche Befugnisse an die Ministerpräsidenten der Regionen zu übertragen!!

  • Arimonts Ausspruch "Die Grenzen öffnen - sofort!" hört sich sehr resolut an. In etwa so, wie wenn ich meinem Hund "Sitz" befehle.
    Ich würde es lieber sehen, wenn Herr Arimont seinem belgischen "Parteifreund" und belgischem Innenminister Pieter De Crem (CD&V) mal gehörig auf die Finger klopfen würde. Die CD&V ist genau wie Herr Arimont Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP).
    Offenbar traut sich Herr Arimont nicht, seinem Brüsseler Parteifreund De Crem mal gehörig in die Parade zu fahren.
    Hier in der Regionalzeitung, fern ab von Brüssel, grosse Töne spucken, stört den Parteifreund De Crem in Brüssel nicht.

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