„Wo ist Klara?“ – Krimi von Jürgen Naumann

<p>Jürgen Naumann aus Montzen belegte bei dem Krimiwettbewerb den zweiten Platz.</p>
Jürgen Naumann aus Montzen belegte bei dem Krimiwettbewerb den zweiten Platz. | Foto: privat

Wie immer wochentags schloss Maria Martens gegen 15 Uhr ihren Imbisswagen, der direkt neben der Kirche in Montzen stand, auf. Bis sie um 17 Uhr öffnen würde, gab es noch einiges vorzubereiten: die Friteuse musste als erstes eingeschaltet werden, bis das Frittierfett heiß war verging einige Zeit, Würstchen vorbereiten, Soßen anrühren, Kühlschrank auffüllen, das übliche Prozedere halt.

Von Montag bis Freitag versorgte sie ihre Kundschaft mit dem Kulturgut der belgischen Küche: Fritten, der absoluten Lieblingsspeise ihrer Landsleute. Selbstverständlich hatte sie auch alles andere im Programm, was man in einer guten Imbissbude auf der Speisekarte finden sollte.

An ihren schmerzenden Rücken und ihre geschwollenen Beine, wenn sie gegen 22 Uhr ihren Wagen wieder abschließen würde, wollte sie jetzt nicht denken, denn trotzdem liebte sie ihren Job. Ihre Kundschaft, hauptsächlich Freunde und Bekannte, freuten sich jedes Mal, wenn sie ihnen ihre Bestellung servierte.

Der Belgier im Allgemeinen isst sehr gerne, dachte sie so bei sich und das macht mich dann eben auch glücklich. Während sie das Essen vorbereitete, konnte sie sich wunderbar mit ihren Kunden unterhalten. Da sie allein lebte, war das für sie eine schöne Gelegenheit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.

Alles könnte gut sein, aber sie hatte seit Tagen nichts mehr von ihrer besten Freundin Klara gehört. Langsam machte sie sich echte Sorgen. Normalerweise verging kaum ein Tag, ohne dass Klara sie besuchte oder anrief. Klaras Ehe mit dem größten Schweinebauern der Gegend war alles andere als glücklich.

Sie lebte mit ihrem Mann Phillip und ihrer Schwester Jutta auf einem großen Hof etwas außerhalb von Montzen. Da sie auch zu ihrer Schwester kein gutes Verhältnis hatte, war Maria Klaras einzige Vertraute. Dabei hatte für Klara alles so schön begonnen, sie war sehr glücklich mit ihrem Mann und ihrem Leben auf dem Hof. Bis zu dem Tag, an dem sie erfuhr, dass sie keine Kinder bekommen würde, war die Ehe sehr harmonisch. Phillip wollte unbedingt einen Stammhalter, einen Sohn, der einmal seinen Hof übernehmen würde.

Nachdem er nun wusste, dass das mit Klara nicht möglich war, veränderte sich ihr Zusammenleben schlagartig. An eine Adoption, wie sie es ihm vorschlug, verschwendete er keinen Gedanken. Sein Sohn musste sein Blut haben, alles andere war indiskutabel. Ihre Ehe wurde für Klara zur Hölle. Ihr Mann beschimpfte sie von morgens bis abends, und Maria war sich sicher, dass er sie auch schon geschlagen hatte. Einmal hatte Klara ein blaues Auge, angeblich war sie gefallen. Aber für Maria sah das nach dem Ergebnis eines Faustschlags aus.

Und ihre blöde Schwester tat nichts, um ihr beizustehen Ganz im Gegenteil: Es schien so, als unterstützte sie ihren Schwager dabei, Klara zu quälen. Vielleicht wollte sie Herrin auf dem Hof werden und das war ihre große Chance, ihre Schwester los zu werden?, überlegte Maria.

Klara wollte ihren Mann verlassen, wusste aber lange Zeit nicht, wohin sie sich wenden sollte. Maria hatte ihr mehrfach angeboten, zu ihr zu ziehen, doch dann ergab sich wie aus dem Nichts eine Möglichkeit für einen Neuanfang.

Eines Sonntags hatte Klara auf dem Markt in Aubel ihre Jugendliebe Marcel wieder getroffen. Auch sie selbst hatte zu Schulzeiten ein Auge auf Marcel geworfen, aber er hatte sich in Klara verliebt. Die Beiden waren eine Zeitlang unzertrennlich, aber dann trennten sich ihre Wege. Marcel lebte seit Jahren in Thailand und war nur zur Beerdigung seiner Oma nach Belgien gekommen. An der thailändischen Küste betrieb er, sehr erfolgreich, mehrere Hotels.

Schon nach kurzer Zeit war beiden klar, dass sie immer noch sehr viel füreinander empfanden und glücklicherweise war Marcel Single. Als Klara ihm von ihrer Situation erzählte, bot er ihr sofort an, zu ihm nach Thailand zu kommen. Bei ihrem nächsten Treffen hatte er ihr schon ein Flugticket ab Brüssel besorgt.

Er musste leider schon am nächsten Tag zurück, es gab Probleme in einem seiner Hotels, so dass seine Anwesenheit erforderlich war. Sie sollte eine Woche später folgen, so konnte sie in Ruhe ihre Angelegenheiten in der Heimat regeln. An erster Stelle stand der Besuch bei einem Anwalt, sie wollte ihre Ehe so schnell wie möglich beenden. Phillip hatte ein ungutes Gefühl, seit ein paar Tagen war seine Frau irgendwie seltsam. Ob Klara ahnte, dass er etwas mit ihrer Schwester hatte? Wollte sie ihn verlassen? Eine Scheidung würde sehr teuer werden, das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Seine Frau war mit nichts als einem Koffer auf den Hof gekommen und genau so sollte sie ihn auch wieder verlassen.

Wenn er erst seine nutzlose, unfruchtbare Frau los war, könnte er mit ihrer Schwester Jutta eine Familie gründen. Aber nicht um jedem Preis, das muss irgendwie anders gehen, dachte er. Sie müsste einfach von der Bildfläche verschwinden! Vielleicht hatte Jutta ja eine Idee wie sie dieses Problem lösen könnten. Jutta konnte sehr kreativ sein, wenn es um praktische Dinge ging.

Da seine Frau gerade im Stall war, um die Schweine zu füttern, nutzte er die Gelegenheit und untersuchte den Inhalt ihrer Handtasche. Vielleicht fand er ja einen Hinweis darauf, was sie vorhatte.

Und siehe da, er fand ein Flugticket nach Thailand, sie wollte in fünf Tagen fliegen. Auch wenn er so was geahnt hatte, es Schwarz auf Weiß zu sehen war ein Schock. Jetzt war Eile geboten! Er musste mit Jutta reden, sie brauchten einen Plan, um Klaras Flucht zu verhindern!

Wenn Klara erst einmal in Thailand war, würde es sehr schwierig werden sie zu beseitigen. Nachdem er Jutta von Klaras Plan erzählt hatte, dachte sie eine geraume Zeit darüber nach. Kurz bevor seine Nerven mit ihm durchgingen, erklärte sie ihm ihren Plan: „Phillip, jetzt pass mal genau auf, wir machen folgendes…“ Er hatte gut zugehört und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Du bist genial, genau so machen wir es.“

Einige Tage später kam Marias Freund Christoph zu Besuch. Er arbeitet als Polizist in Plombières. Nachdem sie ihm von ihrer Angst um Klara berichtet hatte, war er einen Moment still und dachte über die Geschichte nach. Er kannte sowohl Klara als auch Phillip. Sie waren alle in die gleiche Schule gegangen.

Dass Phillip sehr jähzornig werden konnte, wusste er genau, schon zu Schulzeiten ging ihm jeder aus dem Weg. „Vielleicht ist sie schon nach Thailand geflogen?“

„Ohne sich von mir zu verabschieden? Niemals!“

„Also gut, ich werde überprüfen ob sie einen Flug von Brüssel nach Thailand genommen hat.“

Am nächsten Abend war Christoph wieder da und konnte Maria berichten, dass Klara tatsächlich nach Thailand geflogen war. Nachdem Christoph ihr die Ergebnisse seiner Überprüfung mitgeteilt hatte, schüttelte Maria nur mit dem Kopf. „Das glaube ich nicht eine Sekunde.“

„Vielleicht will sie ganz einfach mit allem abschließen. In ein paar Tagen wird sie sich schon bei dir melden.“ Obwohl Maria sich das nicht vorstellen konnte, musste sie es erst mal akzeptieren.

Am folgenden Sonntag besuchte sie den Flohmarkt in Lüttich. Das machte sie ab und zu ganz gerne, sie stöberte in alten Dingen und machte auch schon mal eine interessante Entdeckung. Plötzlich sah sie, in etwa zwanzig Metern Entfernung, Klara stehen. Sie stand vor einem Verkaufsstand, der alte Werkzeuge und Eisenwaren anbot.

Gott sei Dank, dachte Marin, sie lebt. Gerade als sie Klaras Namen rufen wollte, erkannte sie dass es gar nicht ihre Freundin, sondern deren Schwester Jutta war, die dort stand. Und während sie noch darüber nachdachte, wie ähnlich sich die Schwestern doch sahen, trat Phillip zu ihr, umarmte sie und küsste sie auf den Mund.

Plötzlich war ihr alles klar: Die beiden hatten Klara aus dem Weg geschafft, ermordet! Dann war Jutta, die Ähnlichkeit der beiden war ja wirklich erstaunlich, mit Klaras Pass nach Thailand geflogen. Niemand am Schalter der Fluggesellschaft oder der Passkontrolle würde den Betrug bemerkt haben. Anschließend war sie dann mit ihrem eigenen Pass wieder nach Belgien zurückgekehrt.

Hätte sie Jutta und Phillip nicht zufällig zusammen gesehen, wären sie mit ihrer Schandtat garantiert durchgekommen. Christoph hatte sicher nicht kontrolliert, ob Jutta das Land ebenfalls verlassen hatte und am nächsten Tag mit einem Flieger nach Belgien zurückgekommen war, das konnte ja auch niemand ahnen.

Sofort rief sie auf der Polizeiwache an und ließ sich mit Christoph verbinden. Sie erzählte ihm von ihrer Entdeckung und ihrer Vermutung, was mit Klara passiert sein musste. Er versprach, sich sofort darum zu kümmern. Zehn Minuten später rief er zurück, es war genau so wie Maria gedacht hatte. Christoph wollte sich alle Beweise schicken lassen, die Tickets und auch die Aufnahmen von den Überwachungskameras. Dann würde er die beiden zur Wache bestellen und sie mit den Beweisen konfrontieren. Maria war, trotz ihrer Trauer um Klara, zunächst zufrieden. Aber dann kamen ihr doch Zweifel, konnte Phillip sich nicht noch irgendwie herausreden? Er hatte bestimmt einen guten Anwalt und wenn sie Klaras Leiche nicht finden würden, kam er vielleicht sogar damit durch.

Das war keine Option! Am nächsten Abend, sie war wieder in ihrem Imbisswagen, kam Christoph zu ihr und machte eine ernste Miene. „Stell dir vor, als wir Phillip und Jutta zum Verhör abholen wollten, fanden wir ihn mitten unter seinen Schweinen. Tot. Der Gerichtsmediziner vermutet, er ist beim Füttern ausgerutscht und unglücklich mit dem Kopf aufgeschlagen. Die Schweine, bekanntlich Allesfresser, haben sich über ihn hergemacht. Sein Kopf war praktisch nicht mehr vorhanden, letztendlich ist er am Blutverlust gestorben.

Jutta war total geschockt und hat gleich ein umfassendes Geständnis abgelegt. Sie haben Klara erschlagen und ihre Leiche den Schweinen zum Fraß vorgeworfen. Natürlich gibt sie Phillip alle Schuld, der Plan, der Mord, alles seine Idee. Aber für Beihilfe zum Mord wird sie sich verantworten müssen und sicher ein paar Jahre in den Knast wandern. Die Spurensicherung hat ein paar Knochen und Haare von Klara gefunden. Und Phillip ist seltsamerweise genau so umgekommen wie seine Frau. Ist dass nicht total irre?

„Man könnte meinen, dass der Liebe Gott Gerechtigkeit hat walten lassen.“ Nachdem sich Christoph verabschiedet hatte, nahm Maria ihre schwere Pfanne vom Haken an der Wand und betrachtete die große Beule auf der Unterseite. Es war tröstlich zu wissen, dass der Liebe Gott für Gerechtigkeit sorgte, aber wenn er gerade keine Zeit hatte, musste man ihn schon mal unterstützen.

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