Bye-bye Britain: Wehmut zum EU-Austritt Großbritanniens

<p>Britische Flaggen wehen auf dem Parliament Square. Mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum der Briten wird Großbritannien die EU am 31.01.2020 um 24.00 Uhr (MEZ) verlassen.</p>
Britische Flaggen wehen auf dem Parliament Square. Mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum der Briten wird Großbritannien die EU am 31.01.2020 um 24.00 Uhr (MEZ) verlassen. | Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

Am Tag des britischen EU-Austritts nach fast 50 Jahren Mitgliedschaft haben Politiker auf beiden Seiten des Ärmelkanals am Freitag die Zukunftschancen und die eigene Stärke betont. Gleichwohl schwang zum Abschied in Brüssel und auch in Berlin viel Wehmut mit, auch in London herrschte kaum Feierlaune. Am lautesten bejubelte die Brexit-Partei die historische Zäsur.

<p>Die Titelseiten der Londoner Zeitungen zum Brexit.</p>
Die Titelseiten der Londoner Zeitungen zum Brexit. | Foto: Olle Millington / Rmv/RMV via ZUMA Press/dpa

Bis Jahresende gilt eine Übergangsfrist, in der sich fast nichts verändert. In der Zeit wollen Brüssel und London klären, wie sie künftig im Handel und vielen anderen Politikfeldern zusammenarbeiten. Die Frist ist allerdings sehr knapp.

„Wir gehen in diese Verhandlungen in dem Geist, dass alte Freunde einen neuen Anfang suchen“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem gemeinsamen Auftritt mit EU-Ratschef Charles Michel und Parlamentspräsident David Sassoli. Die drei hatten sich bereits am Freitagmorgen mit einem Zeitungsbeitrag überall in Europa zu Wort gemeldet. Die Botschaft: Die EU wolle eine möglichst enge Partnerschaft, doch werde sie auch die eigenen Interessen schützen.

<p>Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli und der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel geben eine Pressekonferenz im Parlamentarium in Brüssel.</p>
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli und der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel geben eine Pressekonferenz im Parlamentarium in Brüssel. | Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

Mit gutem Willen werde man eine „dauerhafte, positive und sinnvolle Partnerschaft“ aufbauen können, schrieben die drei Präsidenten. Aber: „Ohne gleiche Wettbewerbsbedingungen bei Umwelt, Arbeit, Steuern und staatlichen Beihilfen kann es keinen qualitativ uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt geben.“

Ein hartes Ringen ist absehbar. Wie der britische Premierminister Boris Johnson bereits durchsickern ließ, will er sein Land von der Anbindung an EU-Regeln möglichst frei machen, selbst wenn dies Handelsschranken wie Zölle bedeuten könnte. Souveränität sei wichtiger als reibungsloser Handel, will er nach einem Bericht des „Telegraph“ nächste Woche als Ziel ausgeben.

<p>Der britische Premierminister Boris Johnson sitzt während eines Besuchs im Industriezentrum der Universität Sunderland in einem Fahrzeug.</p>
Der britische Premierminister Boris Johnson sitzt während eines Besuchs im Industriezentrum der Universität Sunderland in einem Fahrzeug. | Foto: Scott Heppell/PA Wire/dpa

Die drei EU-Präsidenten zeigten sich bei ihrem gemeinsamen Auftritt auch selbstkritisch – immerhin ist Großbritannien der erste EU-Staat der Geschichte, der die Staatengemeinschaft verlässt. Als Lehre aus dem Brexit werde sich die EU mehr um die Unterstützung ihrer Bürger bemühen und den Wert des Projekts im Alltag sichtbarer machen, sagte Michel.

Gleichwohl betonten sie das Selbstbewusstsein der EU. „Die Geschichte ist hier nicht zu Ende“, sagte Sassoli. Kein Staat könne die Herausforderungen wie die Digitalisierung oder den Klimawandel alleine so gut bewältigen wie gemeinsam. Von der Leyen sagte, angesichts historischer Erfolge könne die EU stolz auf sich sein.

Souveränität ist wichtiger als reibungsloser Handel.

Ein hartes Ringen bei den anstehenden Verhandlungen ist absehbar. Wie der britische Premierminister Boris Johnson bereits durchsickern ließ, will er sein Land von der Anbindung an EU-Regeln möglichst frei machen, selbst wenn dies Handelsschranken wie Zölle bedeuten könnte. Souveränität sei wichtiger als reibungsloser Handel, will er nach einem Bericht des „Telegraph“ nächste Woche als Ziel ausgeben. Auch die Regierung in Dublin will einen harten Kurs fahren. Das sagte Irlands Premierminister Leo Varadkar am Freitag dem irischen Rundfunksender RTÉ. Hart will er vor allem auch beim Thema Fischerei bleiben, sagte der irische Regierungschef, der sich in der kommenden Woche einer Neuwahl stellt.

Großbritannien will seine Fischgründe künftig nicht mehr ohne weiteres mit Fischern aus EU-Staaten teilen. Gleichzeitig wird aber mehr als 70 Prozent des Fangs britischer Boote in die EU exportiert. Der freie Marktzugang für britischen Fisch müsse daher mit dem Recht auf Zugang für EU-Fischer in britische Gewässer verbunden werden, so Varadkar.

Johnson betonte seinerseits die Chancen des Neuanfangs für sein Land. „Es ist ein Moment der echten nationalen Erneuerung und des Wandels“, erklärte der Premier vorab aus einer Videobotschaft, die für den Abend (23 Uhr MEZ) vorgesehen war. Seine Aufgabe sei es nun, das Land zu einen und voranzubringen.

Unterdessen möchte die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon die Unabhängigkeit Schottlands nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs noch stärker vorantreiben. Ihre Partei sei bereit, ihre Unabhängigkeitskampagne noch einmal zu verstärken, das Budget dafür solle im laufenden Jahr verdoppelt werden, sagte Sturgeon am Freitag in Edinburgh. Die Trauer über den Brexit werde in Schottland „mit Wut gefärbt“ sein. Ein unabhängiges Schottland hätte eine „andere, bessere“ Zukunft vor sich, sagte Sturgeon. „Unsere Aufgabe ist es, eine Mehrheit der Menschen in Schottland davon zu überzeugen.“

Schottische Unabhängigkeit

In einer am vergangenen Donnerstag veröffentlichten YouGov-Umfrage hatte sich erstmals seit dem Jahr 2015 eine knappe Mehrheit der befragten Schotten für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Erst am Mittwoch hatte das schottische Regionalparlament mehrheitlich für ein zweites Referendum gestimmt. Erzwingen kann Sturgeon ein Referendum aber nicht, sie braucht die Zustimmung Londons. Dass die Zentralregierung den Schotten ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum verwehre, sei kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche, sagte Sturgeon dazu am Freitag.

Boris Johnson hat bereits klargemacht, dass er keine zweite Volksabstimmung zulassen wird. Die Frage sei beim ersten Referendum 2014 für eine ganze Generation geklärt worden, begründete Johnson seine Haltung. Damals hatten 55 Prozent der Schotten gegen eine Abspaltung gestimmt.

Historische Zäsur

Die britische Regierung hatte nur Feiern ohne viel Pomp zum Zeitpunkt der historischen Zäsur um 23.00 Uhr Ortszeit angesetzt – ohne Geläut des Big Ben, nur mit britischen Flaggen am Parliament Square und einem projizierten Countdown am Regierungssitz. In der Downing Street sollen englischer Schaumwein und britische Spezialitäten gereicht werden.

Ausgelassene Feiern vor dem Parlament hatten nur die Brexit-Partei und ihr Chef Nigel Farage unter dem Motto „Leave means Leave“ für Freitagabend organisiert. Ein Feuerwerk wurde Farage allerdings untersagt. Die EU-Abgeordneten der Brexit-Partei feierten schon am Morgen ihren „Brexodus“ aus Brüssel. „Heute ist der Tag, an dem Großbritannien nach mehr als 40 Jahren wieder frei wird“, sagte die Abgeordnete Ann Widdecombe.

<p>Ann Widdecombe (r.), Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP) für Südwestengland, und andere Mitglieder der Brexit-Partei verlassen das Europäische Parlament in Brüssel.</p>
Ann Widdecombe (r.), Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP) für Südwestengland, und andere Mitglieder der Brexit-Partei verlassen das Europäische Parlament in Brüssel. | Foto: Yui Mok/PA Wire/dpa

Brexit-Gegner in Dover hielten dagegen. „We still love EU“ („Wir lieben die EU noch immer“) schrieben sie auf einem riesigen Banner in der britischen Hafenstadt. Irlands Premierminister Leo Varadkar betonte in der „Welt“ (Freitag): „Was auch immer geschieht, ich hoffe, dass die Tür immer offen steht, sollte das Vereinigte Königreich jemals entscheiden, zurückkehren zu wollen.“ (dpa)

<p>Demonstranten protestieren vor dem britischen Parlament gegen den Brexit mit europäischen Flaggen und einem Schild mit der Aufschrift „We'll be beack“ (Wir kommen wieder).</p>
Demonstranten protestieren vor dem britischen Parlament gegen den Brexit mit europäischen Flaggen und einem Schild mit der Aufschrift „We'll be beack“ (Wir kommen wieder). | Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

Kommentare

  • ... wieso Wehmut, die werden sich noch wundern was ihnen in den nächsten Jahren passieren wird, nur schon Angefangn im eigenen Königreich und dann geht es weiter ......

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