Leben in der Kälte – mit Helfern in die Aachener Nacht

<p>Ein ehrenamtliches Team junger Leute fährt in der kalten Jahreszeit zentrale Punkte in der Stadt an und versorgt wohnungslose und bedürftige Menschen mit Kleidung, Schlafsäcken, Decken, einer warmen Mahlzeit und engagiert sich gegen die Ausgrenzung.</p>
Ein ehrenamtliches Team junger Leute fährt in der kalten Jahreszeit zentrale Punkte in der Stadt an und versorgt wohnungslose und bedürftige Menschen mit Kleidung, Schlafsäcken, Decken, einer warmen Mahlzeit und engagiert sich gegen die Ausgrenzung. | Fotos: Fabian Strauch

In diesem Moment gibt es für den Mann nur die Gulaschsuppe. Er löffelt und steht dabei tief über seinen Teller gebeugt – die Kappe ins Gesicht gezogen. „The Best“ steht auf der Schirmmütze, darüber noch eine Kapuze. Seine Finger tunken die Scheibe Brot in die Suppe: Die Zähne sind bei den Leuten hier nicht so gut, erklärt eine Helferin der Johanniter. Darum nimmt auch kaum jemand an dem Abend von den angebotenen Äpfeln. Unterwegs mit den Kältehelfern der Johanniter in Aachen.

5.000 Menschen leben in NRW zeitweise oder ganz auf der Straße.

Vor allem die Nächte sind jetzt empfindlich kalt. Organisationen wie Johanniter, Malteser, Sozialdienst katholischer Männer oder die Caritas bieten landesweit Hilfen für Menschen an, die kein eigenes Zuhause haben.

An diesem Abend haben die Johanniter 30 Liter heiße Suppe in ihrem Transporter, Brote, heißen Tee und auch Kleidung, Decken, Schlafsäcke und Iso-Matten. Kurz nach Geschäftsschluss kommen die Letzten aus der Fußgängerzone mit ihren Einkaufstüten an dem hell erleuchteten Transporter mit dem Grüppchen davor vorbei.

Als Sarah Everhartz (25) und Tim Hermanski (27) vor ein paar Jahren gesehen haben, wie sich Obdachlose draußen für die Nacht fertig machten, haben sie sich gefragt: Wie kann man nur in einer solchen Kälte übernachten? Das war der Start ihrer „Kältehelfer“-Gruppe, die mittlerweile auf 40 Ehrenamtliche angewachsen ist. Mindestens zwei Mal die Woche fahren sie mit dem voll beladenen Hilfstransporter raus – und treffen auf Menschen wie Sascha (39). Sobald die Temperaturen in den Minus-Bereich gehen, werden die Kältehelfer jeden Tag unterwegs sein.

Sascha kennen sie hier, den zurückhaltenden Mann mit der schmalen Statur. Zwei Brötchen hat er bisher an diesem Tag gegessen. Hier reden die Leute wenigstens mit ihm. „Auf der Straße muss ich 30 Leute ansprechen, bis mir mal jemand die Uhrzeit sagt“, sagt er. Er selbst hat keine Uhr. Die Kältehelfer bedeuten für ihn Austausch, Aufmerksamkeit, Zuwendung und Respekt.

<p>Ein Mann isst eine warme Suppe. Am Monatsende merken die Helfer, dass bei vielen das Geld nicht mehr fürs Essen reicht.</p>
Ein Mann isst eine warme Suppe. Am Monatsende merken die Helfer, dass bei vielen das Geld nicht mehr fürs Essen reicht. | picture alliance/dpa

Seit Jahren lebt er auf der Straße, erzählt er. In Notunterkünfte will er nicht mehr: zu viele Menschen, zu eng und immer die Angst, von anderen beklaut zu werden. Da schläft er lieber draußen - zur Zeit drüben im Parkhaus, mit einem Kumpel. Dem wird er auch gleich etwas zu Essen bringen. Der Kumpel kann nicht gut laufen. Die feuchten Schuhe, die nicht trocknen, haben ihm die Füße kaputt gemacht.

Sascha und sein Kumpel sind NRW-weit zwei Menschen von 5.000, die nach Einschätzung der Caritas zeitweise oder ganz auf der Straße leben. Und es werden wohl noch mehr, wie der Vorstand der katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Andreas Sellner von der Caritas sagt. Nach einer Erhebung des NRW-Sozialministeriums hatten im Sommer 2018 über 44.000 Menschen keine eigene Wohnung und damit rund 37 Prozent mehr als im Vorjahr. Sie wurden in Unterkünften von Kommunen oder freien Trägern untergebracht. Da immer weniger bezahlbarer Wohnraum da sei, seien Einrichtungen überfüllt, sagt Sellner. Bei jedem weiteren Wohnungsverlust landeten die Betroffenen auf der Straße, weil die Unterkünfte belegt seien. Das Land packe das Problem in 20 besonders betroffenen Kreisen und Kommunen mit seiner Initiative „Endlich ein Zuhause“ an. Dabei gehe es unter anderem um Prävention und auch um die Wohnungsakquise.

Mattias (63) will eine eigene Wohnung. Aufrecht steht er am Stehtisch und löffelt seine Suppe. Aber mit einem Auge hat er immer seine Plastiktasche am Boden im Blick – eine, wie man sie oft bei Flaschensammlern sieht. „Ich halte mein Geld zusammen, damit ich später mal die Kaution bezahlen kann.“ Deshalb nimmt er auch das Essen an, das ihn hier nichts kostet.

Die Helfer fragen nicht, warum jemand kommt. „Wer sich zu uns an den Bus stellt, ist bedürftig“, sagt Initiatorin und Kältehelferin Sarah: Wie der junge, zurückhaltende Mann im Rollstuhl, der – nachdem er etwas Warmes im Bauch hat – wortlos seine Verpflegungstüte in der Tasche am Rolli verpackt und verschwindet. Die drei Männer aus Kasachstan, die kaum ein Wort Deutsch sprechen. Oder die junge Frau, die gerade knallrote gefütterte Stiefeletten aus dem Transporter bekommen hat und vor Freude ein paar Tanzschritte andeutet.

Im Schnitt kommen an einem Abend rund

70 Menschen.

Am Monatsende müssen sie mehr in den Transporter packen, erzählt Sarah. Dann merken die Helfer, dass bei vielen das Geld nicht mehr fürs Essen reicht, sagt die angehende Sozialarbeiterin. Im Schnitt kommen an einem Abend rund 70 Menschen – zunehmend auch Frauen. „Man lernt in den Gesprächen, wie schnell sich das Leben ändern kann.“ In einigen Stunden wird Sarah Everhartz mit ihrem Partner Tim Hermanski nach Hause fahren und sie werden sich aufwärmen. Für die beiden keine Selbstverständlichkeit mehr. (dpa)

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