Besondere Umstände: Wie es ist, in Corona-Zeiten Vater zu werden

<p>Dass grenzüberschreitende Familienbesuche nicht gestattet waren, war eine unangenehme Begleiterscheinung der Coronakrise.</p>
Dass grenzüberschreitende Familienbesuche nicht gestattet waren, war eine unangenehme Begleiterscheinung der Coronakrise. | Foto: David Hagemann

Meine Tochter wird ein „Corona-Kind“ sein – ob ich oder sie es will oder nicht. Genau eine Woche nach der Pressekonferenz der ostbelgischen Bürgermeister mit der DG-Regierung in St.Vith, die ich abdeckte, und zwei Tage nach dem vollständigen „Lockdown“ inklusive Ausgangssperre kam Clara zur Welt.

An diesem 20. März, als sich meine Tochter bereits auf den Weg machte, eilte ich am Morgen zu einer wichtigen Versammlung des Betriebs. Am Marktplatz angekommen, erfuhr ich, dass die Belegschaft in die Kurzarbeit muss. Gekümmert hat mich das in dem Moment kaum, denn jetzt wartete etwas, das wichtiger war: der erste Familienzuwachs.

Zeit fürs Kennenlernen: Die ersten Tage und Wochen verliefen dank der Coronakrise ruhig.

Wir hatten Glück. Nicht wie andere Eltern in diesen Zeiten sind wir im Krankenhaus von Stolberg, das wir aus gesundheitlichen Gründen wählten, bis auf eine Fieberkontrolle am Eingang ohne Corona-Unannehmlichkeiten zurechtgekommen.

Und auch im Kreißsaal selbst war zu diesem Zeitpunkt (wenige Tage später verschärfte auch dieses Spital die Schutzmaßnahmen) vom Trubel rund um Covid-19 nichts zu spüren. Mulmig war uns dennoch zumute, als wir nach der Geburt auf die Wochenbettstation mussten. Was ist, wenn hier das Virus grassiert? Und laut ist es auch noch. Wir entschieden uns, nach einer kurzen und von schönen Momenten geprägten Nacht gleich wieder über die Grenze (noch ohne Polizeikontrollen) nach Hause zu fahren. So weit, so „normal“ für viele frischgebackene Eltern.

Die ersten Tage und Wochen, in denen das strikte Kontaktverbot galt, haben wir genossen. Es war einfach mehr Zeit da, um Clara kennenlernen zu können. Und das sicherlich bewusster als ohne Pandemie. Statt Besuche zu koordinieren, konnte ich der Kleinen beim Einschlafen zusehen. Statt Gäste zu empfangen, füllten wir ausführlich eines dieser Bücher aus, die die ersten Lebensjahre des eigenen Kindes nachzeichnen sollen.

Doch bereits nach zwei Wochen fiel uns die Decke auf den Kopf. Niemand kann einem wohl verwehren, dass die eigenen Eltern, Geschwister und Paten den neuen Erdenbürger von Angesicht zu Angesicht sehen wollen. Wir verabredeten uns also mehr und mehr – mit einer bedrückenden Einschränkung: die Wahrung der sozialen Distanz. Eine Umarmung und ein Kuss für die stolzen Eltern oder eine Kuscheleinheit der Freunde und Verwandten für das Baby? Verboten. Und das stimmte uns schon traurig. Ich weiß, dass wir da in der gleichen Situation wie viele andere Paare waren, die während der Coronakrise Eltern geworden sind. Auch sie haben die Erfahrungen machen müssen, wie man mit Besuch von Freunden umgeht, wann die Oma das erste Mal den Nachwuchs in den eigenen Händen halten kann und wie es ist, dass in der Liste der Gesprächsthemen die Krise statt der Familienzuwachs auf Platz eins rangiert. Mir fiel auch die verhaltene Freude bei manchen auf, die vermutlich mit der Angst um das Virus einherging. Die Unbeschwertheit des Moments? Dahin. Vielleicht kommt sie noch einmal? Vielleicht darf man sich auch bald wieder umarmen und (nachträglich) gratulieren? Aber ist das dann so wie „normal“? Ich bezweifle es.

Dass man den Coronavirus nicht auf die leichte Schulter nehmen soll, machte uns die Kinderärztin mehr als klar. Mit Mundschutz und Kittel gewappnet, reichte allein schon ihr Anblick, um uns den nötigen Respekt vor Covid-19 einzuflößen. Hinzu schlugen die immer wiederkehrenden Enttäuschungen aufs Gemüt, nachdem der Nationale Sicherheitsrat getagt und Hoffnungen auf Lockerungsmaßnahmen im Keim erstickt hatte.

Man könnte im ersten Moment meinen, dass die Kurzarbeit ebenfalls nicht zur Verbesserung der Situation beigetragen hat. In meinem persönlichen Fall kann ich das aber verneinen. Das Mehr an Zeit mit meiner Tochter nimmt mir niemand mehr weg. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sich frischgebackene Papas derzeit über ihr Homeoffice freuen. Für die Mutter ist das sicherlich der Fall, sind sie doch froh, übertags nicht alleine mit dem Nachwuchs da zu stehen und - wie sonst üblich - „den Laden zu schmeißen“. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass derzeit viele Familien zusätzlichen Stress verspüren, weil der Vater oder die Mutter (oder sogar beide) Angst davor hat, infolge der Coronakrise den Job zu verlieren.

An der Schwelle der Legalität trafen wir uns an der Grenze mit meinem Vater.

Ende Mai, über zwei Monate nach der Geburt, war uns der x. Videochat mit dem Großvater nicht mehr genug. Noch bevor der Innenminister auf die Idee kam, endlich seinen Job zu machen und die Grenzen zumindest für Familienbesuche zu öffnen, trafen wir uns mit dem stolzen Opa in einem Waldstück an der belgisch-deutschen Grenze. An der Schwelle der Legalität und nach Vorgaben des Nationalen Sicherheitsrates konnte mein Vater Clara das erste Mal in Augenschein nehmen. Auch das ist die Coronakrise. Eben besondere Umstände.

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