Das Geheimnis von Hillary und Norgay: Wer war zuerst auf dem Everest?

<p>Im Mai 1953 bewältigten Edmund Hillary (rechts) und der Sherpa Tenzing Norgay (links) als erste Menschen den Mount Everest.</p>
Im Mai 1953 bewältigten Edmund Hillary (rechts) und der Sherpa Tenzing Norgay (links) als erste Menschen den Mount Everest. | Fotos: afp / Collage: GrenzEcho

Dort vorne, ganz dicht vor ihren Augen, wölbt sich der letzte Hügel. Ein kleiner Höcker nur, kein steiler Anstieg, eher ein sanft geschwungenes weißes Band, breit genug, dass die zwei vermummten Männer nebeneinander herlaufen konnten: „Zehn Meter vorher hielten wir an und warteten einen Moment. Dann gingen wir los.“

So beschreibt Tenzing Norgay, der legendäre Sherpa von Sir Edmund Hillary, in seiner Autobiografie „Tigers of the Snow“ die letzten Schritte auf den Gipfel des Mount Everest. An jenem 29. Mai 1953 um die Mittagszeit sind der neuseeländische Imker Edmund Hillary und Norgay, der Sohn eines nepalesischen Yak-Hirten, die ersten Menschen auf dem Dach der Welt.

Knapp 15 Minuten bleiben sie dort, sitzen nebeneinander, essen ein bisschen Schokolade und beginnen den Abstieg. Das Wetter dreht, die gefürchteten Monsunstürme kündigen sich an, die Zeit drängt. Das einzige Gipfelfoto zeigt Norgay, den Eispickel in der erhobenen rechten Hand. Ein Bild von Hillary gibt es nicht, Norgay kann die Kamera nicht bedienen.

Wer tatsächlich der erste oben war, bleibt ungeklärt, obwohl Norgay in seinem Buch Hillary den Vortritt lässt: „Wir gingen nebeneinander, und ich denke, sein Fuß war zuerst oben.“ Hillary lässt das nicht unwidersprochen, er behauptet, es sei „sicher so gewesen, dass wir beide gleichzeitig oben waren“.

Hillary und Norgay sind Teil einer von dem britischen Offizier John Hunt geleiteten Expedition, es ist der neunte Versuch, den Everest endlich zu bezwingen. Zwei Zweierteams sind dafür vorgesehen, Hillary und Norgay sind nicht die erste Wahl. Das Alpha-Team, Tom Bourdillon und Charles Evans, dreht dicht unter dem Gipfel um, die Erschöpfung und damit das Risiko sind zu groß. Dann schlägt die Stunde von Hillary und Norgay.

Am 28. Mai ziehen die beiden los, der 33-jährige Hillary ist ein erfahrener Bergsteiger, Expeditionsleiter Hunt schätzt ihn als kraftvollen, bärenstarken Macher. Norgay, sechs Jahre älter, ist im Schatten des Everest aufgewachsen, er kennt den Berg und seine Tücken. Auf knapp 8500 m Höhe, 350 m unterhalb des Gipfels, schlagen die beiden ein letztes Nachtlager auf, am frühen Morgen des 29. Mai geht es weiter.

Die letzten 100 Meter werden zur letzten großen Herausforderung für Hillary und Norgay. Die zwölf Meter hohe vertikale Felswand, an der sich die beiden nur mit ihren Eispickeln hochziehen, geht als Hillary Step in die Geschichte ein. Heute gibt es diese Passage in der ursprünglichen Form nicht mehr, der Hillary Step wurde bei einem Erdbeben im Jahr 2015 fast komplett zerstört.

Die Rückkehr in ihren Alltag verläuft für Hillary und Norgay sehr unterschiedlich. Hillary wird schon kurz nach der Krönung der britischen Königin Elizabeth II wenige Tage später zum Ritter des britischen Empire geschlagen, Norgay bleibt diese Ehre verwehrt. „Ein paar Orden“ habe man ihm ans Revers geheftet, erinnert er sich später. Seine lebenslange Freundschaft zu Edmund Hillary bleibt bestehen.

Norgay stirbt 1986 mit 71 Jahren an den Folgen einer Gehirnblutung. Seine Asche wird im von ihm gegründeten und geleiteten Himalayan Mountaineering Institute im Zoo der indischen Stadt Darjeeling im Vorder-Himalaya begraben. Dort steht auch eine Statue von Hillary, der 2008 in Auckland mit 88 Jahren einem Herzinfarkt erliegt. Hillary bekommt ein Staatsbegräbnis, der Eispickel, mit dem er sich den Hillary Step hochgezogen hat, liegt auf seinem Sarg.

Die Nachkommen der beiden legendären Bergsteiger tragen den Traum ihrer Väter weiter. 1990 steht Peter Hillary auf dem Gipfel des Everest, 1996 Norgays Sohn Jamling, ein Jahr später sein Enkel Tashi. Mittlerweile haben fast 10.000 Bergsteiger das Dach der Welt bezwungen, Himalaya-Expeditionen sind zu einer Art Massentourismus verkommen.

Mehr als 300 Menschen verlieren ihr Leben auf dem Weg zum Gipfel, die meisten Leichen bleiben im ewigen Eis. “Viel wichtiger als oben zu stehen ist es, lebendig wieder unten anzukommen“, war schon Hillarys Credo. Dem ist er stets treu geblieben. (sid)

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