NATO sieht bei Erdogans geplantem Bruch des Völkerrechts tatenlos weg

<p>Die geplante sogenannte Sicherheitszone durchtrennt das kurdische Siedlungsgebiet. Rot markiert sind die von Damaskus kontrollierten, grün die von Rebellen gehaltenen Gebiete. Die grün-schwrz schraffierte Zone ist die von der Türkei besetzte Region Afrin.</p>
Die geplante sogenannte Sicherheitszone durchtrennt das kurdische Siedlungsgebiet. Rot markiert sind die von Damaskus kontrollierten, grün die von Rebellen gehaltenen Gebiete. Die grün-schwrz schraffierte Zone ist die von der Türkei besetzte Region Afrin. | Illustration: dpa

Erdogan, innenpolitisch in Bedrängnis, braucht einen Sieg. Er weiß, dass die Türken ihn beklatschen, wenn er die Kurden ins Visier nimmt, die ihr Siedlungsgebiet im Südosten der Türkei, in Nordsyrien, im Irak und Iran haben. Einen eigenen Staat hat man ihnen immer verweigert.

Obschon die Kurdenmiliz YPG einen wesentlichen Beitrag zur Niederschlagung des IS-Kalifats geleistet und dafür einen hohen Blutzoll gezahlt hat, lassen Trumps USA die Kurden jetzt wie die berühmte heiße Kartoffel fallen: Man zieht sich aus Nordsyrien zurück und überlässt der Türkei die Menschen vor Ort. Erinnerungen an Afrin werden wach, das Anfang 2018 unter zahnlosem westlichem Protest und völkerrechtswidrig von der Türkei erobert wurde. Zehntausende Kurden wurden in die Flucht geschlagen oder, schlimmer, von Islamisten durchsetzten arabischen Milizen überlassen.

Dass diese auch jetzt morden und brandschatzen werden, ist Teil des zynischen Kalküls Erdogans, dem nachgesagt wird, er unterhalte seit Jahren zumindest geschäftliche Beziehungen zur IS. Von den USA hat er ebenso wenig zu befürchten, wie von der EU. Erstere wollen den Wackelkandidaten Türkei an der Südostflanke der NATO nicht endgültig an Russland verlieren, während die EU fürchtet, Erdogan könne den „Flüchtlingspakt“ aussetzen. Mit Milliarden wäscht sich die EU hier die Hände in Unschuld, froh, dass Erdogan potenzielle Flüchtlinge am Übersetzen nach Griechenland hindert.

Auch wenn der deutsche Innenminister Seehofer die Hände über dem Kopf zusammenschlägt – die katastrophalen Zustände in den griechischen Auffanglagern sind Teil der neu interpretierten „Willkommenskultur“, der EU. Da fällt es kaum ins Gewicht, dass Erdogans Schergen deutsche Panzer fahren, belgische Waffen abfeuern und, ganz nebenher, die westlichen Werte unter ihre Kampfstiefeln nehmen. Das westliche Bündnis im postfaktischen Zeitalter: statt Friedensmission Völkerrechtsbruch.

Kommentare

  • Treffender Kommentar! Auch hier wird deutlich, dass es der westlichen „Wertegemeinschaft“ nicht um die Verteidigung von Werten sondern allein von Interessen geht. Welch‘ verlogener Haufen.

  • Wenn man sich vor Augen führt, dass all diese Kriege, dieser Tod und dieses Verderben nur darauf zurück zu führen sind, dass Männer darum streiten, welcher nun den größten... imaginären Freund (Gott) hat, kann man nur den Kopf schütteln und sich fragen, wie lange die Menschheit noch ihrem Verderben nachrennt, bevor sie es einholt... Freie Geiste, Aufklärung und Gleichstellung aller Menschen in ihrer unantastbaren Würde braucht die Welt! Wann endlich?

  • Hallo Alexander, Verblendeter religiöser Glaube ist tatsächlich eine Ursache für unzählige Kriege, Leid und Hass auf diesem Planeten. Aber machen wir uns nichts vor. Auch ohne Religionen würden den Menschen ausreichend Gründe einfallen, sich zu bekriegen. In diesem speziellen Fall sind es jedoch allein geo- und machtpolitische Gründe, die den Despoten Erdogan dazu veranlasst haben, völkerrechtswidrig seinen Nachbarn zu überfallen. Die ignorante Entscheidung des "stabilen Genies mit seiner unermesslichen und unvergleichbaren Weisheit" im Weißen Haus hat Erdogan als Einladung verstanden, seinen Plan zur ethnischen Säuberung Nordsyriens fortzusetzen. Angesichts der Abhängigkeit in die sich die Europäer gegenüber Erdogan begeben haben, ist von hier keine glaubhafte Reaktion zu erwarten. Nachdem die Annektion der Krim durch Russland weitreichende Sanktionen zur Folge hatte, müsste nunmehr gegen die Türkei doch die gleichen Maßstäbe gelten. Von Initiativen der UN ist bisher nichts zu hören. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und mit Falschinformationen hat G.W. Bush den Irakkrieg losgetreten, dessen direkte Folge die Gründung des Islamischen Staates war. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung überfällt Erdogan Nordsyrien. Dessen mögliche Folgen könnte ein Wiederaufleben und eine Rückkehr des IS sein, der in erster Linie von den von der Türkei ins Visier genommenen kurdischen Milizen zurückgedrängt und in Schach gehalten wurde. Die Destabilisiering der Region wird fortgesetzt mit der Folge weiterer Flüchtlingsbewegungen, Zerstörung, Tod und Hass. Von Politiker mit Weitsicht und Weisheit keine Spur.

  • Hallo Dieter, in der Tat sind viele Interessen in der Konfliktregion auf dem Spiel. Neben Ölreserven und potenziellen Atombomben geht es den Vorherrschenden allerdings auch und ich denke vorrangig darum, das Aufkommen des Schiismus als Interpretationsform des Islams zu verhindern... (Saudi-Arabien vs. Iran) Womit wir wieder bei der Religion als Hauptursache wären. Dazu kommt, dass Erdogan innenpolitisch/wirtschaftspolitisch etwas angeschlagen ist, und nun versucht, sich dadurch zu profilieren, der "Kurdenfrage" Herr zu werden, da er weiss, dass in Europa kaum einer - vor allem nicht die vorherrschenden konservativ-rechten Parteien, da sie migrationspolitische Konkurrenz vom rechten bis rechtsextremen Rand fürchten - der Gewalt des türkischen Machthabers und nebenbei unbequemen NATO-Bündnispartners ernsthaft Einhalt gebieten wird. Warum? Er selbst macht mittlerweile auch nicht einmal einen Hehl daraus, dass er der Raussschmeißer der EU ist und 3,6 Millionen Flüchtlinge hereinlässt, wenn Brüssel/Berlin nicht kuscht. Am Ende bleibt von Weitsicht und Weisheit wie du sagst wahrlich nichts mehr übrig, macht sich die EU doch immer mehr zum Spielball von Nationen wie die wankenden USA, der brüllende Teddy-Bär Russland und Stasi-China, die den Nahen Osten als Spielfeld für Stellvertreterkriege auserkoren haben.

  • In meinen Augen ein treffender Kommentar der es auf den Punkt bringt. Könnten sich gewisse Kommentatoren vielleicht bei einem Glas Bier oder Kaffee treffen und sich privat austauschen, statt die Tageszeitung für private Monologe zu nutzen ?

  • Ich muss mich korrigieren. Weise und weitsichtige Politiker gibt es doch noch. Zumindest in Äthiopien. Glückwunsch!

Kommentar verfassen

6 Comments