Einmal Tapas und ein Lächeln dazu

<p>Es war ein weiter Weg von Erbil im Nordirak bis nach Eupen. Mazen ist längst angekommen.</p>
Es war ein weiter Weg von Erbil im Nordirak bis nach Eupen. Mazen ist längst angekommen. | Foto: David Hagemann

„Es war nicht einfach“, sagt Mazen Kassab. Trotzdem weicht das Lächeln nicht aus seinem freundlichen Gesicht. Man kann es sich vorstellen. Mazen, das ist ein Vorname, den man seinem Kind eher nicht gibt, wenn es das Licht der Welt in Ostbelgien erblickt. Mazen ist im Nordirak geboren. und wenn er seine Heimat lieber Mesopotamien nennt, kann man erahnen, dass er ein Kurde ist. Als er zu einer langen Odyssee aufbrach, die ihn zufällig nach Belgien und letztendlich an den Eupener Marktplatz führte, war er noch fast ein Kind. Hier eröffnete er vor rund eineinhalb Jahren sein eigenes Restaurant und gab ihm damit den Vornamen seines Erstgeborenen, „Oscar“ .

Es ist eine „Bistro Bar“, spezialisiert auf Tapas. Und Spezialbiere. Mit einer Terrasse am Fuß der Nikolauskirche. Und weil der Laden gut läuft, bietet Oscar mittlerweile auch einen „Rundum-Catering-Service“ an. Doch der Weg bis hier war weit. Als Mazen als das jüngste von sechs Geschwistern Anfang der 90er Jahre in Mossul geboren wurde, war der zweite Golfkrieg gerade beendet, mit dem der Westen auf die Eroberung Kuwaits durch Saddam Hussein reagierte. Mazen war elf Jahre alt, als der dritte Golfkrieg ausbrach. Er lebte damals in Doruk, nahe der Stadt Erbil. Vier Jahre später, 2007, floh er aus dem Irak. „Mein Vater hatte Angst, dass ich zwischen die Fronten gerate.“ Es war höchste Zeit, ein Visum war schon nicht mehr zu bekommen. Also machte er sich einfach auf den Weg, ohne zu wissen, wo dieser enden würde. Ausgestattet mit viel Optimismus und mindestens ebenso viel Entschlossenheit, anzukommen.

Vom Flüchtling zum Tellerwäscher zum Restaurantbesitzer: Mazen Kassabs weiter Weg nach Eupen

Nach einer langen Odyssee landete er in Antwerpen und wurde als jugendlicher unbegleiteter Flüchtling in einem Kinderheim untergebracht. Nicht lange. Der junge Geflüchtete, der zu recht und mit Stolz darauf hinweist, dass er nie finanzielle Unterstützung bekam, nutzte seine Kontakte in die kurdische Gemeinschaft, so dass er nach ganzen 13 Tagen in Lichtenbusch ankam und dort seine gastronomische Karriere im „Palermo“, einem kurdisch geführten italienischen Lokal, als... Tellerwäscher begann.

Nach Feierabend lernte er Deutsch. Dazu schaute er sich auch die Serie „Michel aus Lönneberga“ rauf und runter an: „Heute schaut die mein Oscar“.

Rund zehn Jahre arbeitete sich Mazen langsam hoch und durchlief dabei verschiedene Stationen in Aachen, vor allem aber im Eupener Raum: bis er im Eupener Karting der Verantwortliche für den Horeca-Bereich wurde. Er lernte aber nicht nur Deutsch, sondern auch das Einmaleins des Berufs eines Restaurantbesitzers. So erwarb er Diplome als Koch, als Traiteur und Caterer. Dafür musste er Prüfungen in Namur ablegen. Dank seiner Erfahrung musste er dafür nicht zusätzlich die Schulbank drücken. In ihm reifte immer mehr die Idee, sein eigenes Restaurant zu eröffnen. „Das Konzept hatte ich im Kopf“: Mazen wusste aus vielen Gesprächen, was noch am Marktplatz und im Eupener Restaurationsangebot fehlte: sein „Oscar“. „Und es gab nur eine Richtung: nach vorne!“

Es brauchte etwas Zeit, am Ende siegte sein Charme, so dass Dimitri Antoniadis, ebenfalls zu dieser Zeit Restaurantinhaber am Marktplatz, ihm das Eckgebäude am Übergang des Marktplatzes in die Kirchstraße vermietete. „Dimitri suchte jemand, der nicht nur ein Restaurant betreiben wollte, sondern der sich um die Menschen kümmert“, erinnert sich Mazen. Der junge Kurde, der bis Mai dieses Jahres auf einen belgischen Pass warten musste und so nicht einmal zum Begräbnis seines Vaters in den Irak reisen konnte, machte sich an die Arbeit, um aus dem leerstehenden Gebäude ein ansprechendes Speiselokal zu gestalten. Vieles machte er selbst, immer geholfen von seiner Frau Caroline Schroers, die selbst unweit des Marktplatzes groß wurde. Die Arbeit half ihm auch, nicht nur in Ostbelgien anzukommen, sondern auch die Erinnerung an seine Heimat ein Stück weit aus seinem Kopf zu kriegen: „Ich hatte zwölf Jahre lang Heimweh“.

Parallel zu den Umbauarbeiten an dem denkmalgeschützten Haus mit der ansprechenden Architektur lernte Mazen all die Dinge, die ihm in seinem Wissen noch fehlten, wie Buchführung, wie man eine Mehrwertsteuernummer beantragt und was man an Sozialleistungen abführen muss. Und einiges mehr.

„Wenn man das Land verliert, in dem man seine Kindheit erlebt hat, dann schätzt man, was man ist und was man hat. Man hat es heute und kann es morgen verlieren.“

Dabei konnte er auf die Unterstützung und den Rat der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) zurückgreifen. Die beriet ihn auch in der Erstellung von Businessplänen, erklärte ihm, welche Behördengänge notwendig waren und begleitete ihn bei den vielen Schritten, die mit einer Unternehmensgründung einhergehen. „Wir arbeiteten Tag und Nacht mit meiner Frau“, erinnert sich Mazen an die intensiven Monate vor und nach der Eröffnung seines „Oscar“ im Frühjahr 2018. „Ohne Bank, ohne Kredit und ohne Brauerei“, fügt er hinzu. Und wieder erstrahlt das Blitzen in seinen wachen Augen. Heute, eineinhalb Jahre später, kann Mazen stolz zurückblicken, auch wenn sein Blick immer nach vorne gerichtet ist: „Wir haben in 18 Monaten einen tollen Erfolg erzielt, auch in finanzieller Hinsicht.“

Sie ist ihm wichtig, diese Unabhängigkeit, die er früh lernen musste. Und er weiß, dass er sich jeden Tag neu einbringen muss, will er den Erfolg absichern. Dabei hilft ihm das Verständnis von Gastfreundschaft, das er aus seiner Heimat mitgebracht hat und jetzt in seinem Restaurant pflegt. „Wenn Oscar und Marie einmal hier arbeiten können, dann haben wir es geschafft“, fasst er sein langfristiges Ziel zusammen. Seinen Optimismus gibt er gerne an junge Menschen in Ostbelgien weiter. So engagiert er sich im Integrationsrat und gibt Schülern seine eigenen Erfahrungen weiter. Dabei kommen auch die wichtigsten Elemente seiner Erfolgsgeschichte immer wieder zur Sprache: sein „Glaube an sich selbst“, das Bewusstsein, eine „Aufgabe zu haben“, die „Ehrlichkeit mit den Menschen“ und „ein Lächeln“. Auf die Frage, wer oder was ihm am meisten geholfen habe, kommt spontan die Antwort „meine Frau“. Er blickt über den Marktplatz, aber seine Gedanken scheinen weit weg: „Wenn man das Land verliert, in dem man seine Kindheit erlebt hat, dann schätzt man, was man ist und was man hat. Man hat es heute und kann es morgen verlieren.“ Mittlerweile hat Mazen, ausgestattet mit seinem neuen Pass, seine Heimat und seine Familie in Mesopotamien besucht. Seine neue Familie und seine neue Heimat sind hier. Dazu gehören für ihn auch seine Gäste im „Oscar“ , am fast schon herbstlichen Marktplatz.

Kommentare

  • So sieht man mal was man mit Arbeit erreichen kann... Könnte ein Vorbild sein für viele...sehr viele...

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