Endspiel für Deutschland: Bloß keine Angst vor der „schwarzen Bestie“

<p>Deutschland gewann nur einen der letzten sieben Vergleiche mit Spanien. Im EM-Finale 2008 machte Fernando Torres mit seinem 1:0 den Unterschied.</p>
Deutschland gewann nur einen der letzten sieben Vergleiche mit Spanien. Im EM-Finale 2008 machte Fernando Torres mit seinem 1:0 den Unterschied. | Foto: dpa

Hansi Flick hat sich in seinem Trainerzimmer an der blauen Lagune regelrecht den Kopf zerbrochen, jetzt steht sein WM-Plan gegen das nächste historische Desaster fest: Mit Mut, Charakter und klarem Kopf sollen die Dämonen von 2018 vertrieben und das drohende Aus im schwerstmöglichen „Endspiel“ gegen Spaniens Tormaschine verhindert werden. „Wir haben die Qualität, um zu gewinnen“, redete der Bundestrainer seine Japan-Verlierer stark. Doch die „rote Furie“ ist für die DFB-Elf zur furchteinflößenden „schwarzen Bestie“ geworden.

Der letzte Pflichtspielsieg gegen Spanien gelang vor 34 (!) Jahren, das demütigende 0:6 im November 2020 hätte Joachim Löw beinahe den Job gekostet. Jetzt steht sein Erbe Flick im Feuer – und vor seiner größten Bewährungsprobe. Zieht er die richtigen Schlüsse aus dem bitteren 1:2 gegen Japan? Kann Flick die Mannschaft mental wappnen für den aufreibenden Kampf gegen Zauberfüße wie Gavi, Pedri oder Ferran Torres am Sonntag (20 Uhr)?

Der Eindruck am Freitag: ja, er kann! „Jeder weiß, worauf es ankommt“, betonte Kai Havertz nach der langen Analyse am Vorabend in der Wüstenoase von Al-Ruwais. „Rumort“, betonte Oliver Bierhoff, habe es dabei nicht in der Mannschaft, eine „gewisse Reibung“ sei positiv. Es sei an der Zeit gewesen, „sich die Wahrheit zu sagen, von Angesicht zu Angesicht, das macht uns stärker“, sagte Havertz. Julian Brandt bestätigte: Alle seien „mit dem Gefühl aus dem Besprechungsraum rausgegangen“, gewinnen zu können.

Spanien im Al-Bayt-Stadion von Al-Khor „kann der Turnaround für uns sein“, betonte Havertz. Brandt ergänzte fast flehend: „Wir müssen davon wegkommen, immer davon zu reden, dass wir in einer Scheiß-Situation sind!“ Kapitän Manuel Neuer sprach von einer „riesigen Chance“.

Gut zureden statt draufhauen: Flick gab diese Linie vor und streichelte die verwundeten Seelen seiner Stars. Den Besuch der Frauen und Familien ließ er auf zwei Nächte ausdehnen. „Es gibt nichts Schöneres als seine Liebsten um sich herum zu haben“, schwärmte Brandt. Deshalb zu behaupten, Flick sei zu nett, sei „vollkommen falsch“, meinte Havertz. Der Bundestrainer erläuterte die lange Leine in seiner Trutzburg im Norden Katars so: „Wir müssen die Mannschaft so hinkriegen, dass sie den Glauben hat, das Ding am Sonntag in die richtige Richtung zu schieben.“

Begeht er denselben Fehler wie Löw in Russland? Der Weltmeister-Trainer lehnte nach der Auftaktpleite demonstrativ lässig an einer Strandlaterne – und bekam letztlich die Quittung für seine „Arroganz“. Flick will von einem Déjà-vu nichts wissen. „Ich war 2018 nicht dabei, das interessiert mich auch nicht.“

Er hat im Hier und Jetzt genug zu tun, muss seine Startelf umbauen. Dass er Mittelfeld-Chef Joshua Kimmich nach hinten zieht, um die Harakiri-Abwehr zu stabilisieren, ist nicht mehr auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Eher dürfte Thilo Kehrer rechts für Stabilität sorgen und Japan-Sündenbock Niklas Süle für den wackligen Nico Schlotterbeck ins Zentrum rücken. Sollte Leroy Sane (Knie) rechtzeitig fit werden, könnte Flick Künstler Jamal Musiala nach innen schieben. Im Sturm ist Niclas Füllkrug die erste Alternative zu Havertz, der sich gegen Japan „nicht zu 100 Prozent integriert“ sah.

Der Chelsea-Profi appellierte wie Neuer an die Fans, die DFB-Elf zu unterstützen. Der Spott und die Häme nach dem Fehlstart hätten laut Bierhoff „geschmerzt“. Es werde „immer viel gegen uns geschossen“, sagte Havertz, „aber ich mache mir nullkommanull Sorgen“. Ähnlich hatte sich Toni Kroos 2018 geäußert. Damals kam das Aus „erst“ im dritten Spiel. Sollte Japan am Sonntag gegen Costa Rica punkten, wäre die DFB-Elf im Falle einer weiteren Niederlage nach zwei raus – so früh wie nur 1938.

Die Dauerdebatte um „One Love“ soll kein Störfaktor mehr sein. Der DFB ließ den Slogan anstelle des Logos vom abtrünnigen Sponsor Rewe auf seine Werbetafel im Medienzentrum drucken. Ansonsten, betonte Havertz, läge der Fokus voll „auf dem Fußball“.

Die Spanier, meinte Bierhoff schon vor Monaten, „sind nicht gerade unser Wunschgegner“. In fünf Pflichtspielen seit dem 2:0 bei der EM 1988 gelang kein Sieg. Von den jüngsten sieben Duellen wurde nur eines gewonnen, im EM-Finale 2008 und im WM-Halbfinale 2010 gab es schmerzhafte Niederlagen.

Aus dem DFB-Kader wissen nur Antonio Rüdiger, Mario Götze und Thomas Müller, wie man Spanien schlägt. Das Trio stand beim 1:0 im November 2014 in Vigo auf dem Platz. Dort regnete es in Strömen. „Fritz-Walter-Wetter“? In der katarischen Wüste auszuschließen. (sid/tf)

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