Wie deutsche Schriftsteller auf die NS-Machtergreifung reagierten

<p>Nach der Machtübernahme lassen die Nationalsozialisten in Universitätsstädten die Bücher verfemter Autoren verbrennen. Zehntausende Bücher wurden allein in der Nacht des 10. Mai 1933 ein Raub der Flammen. In einem spannenden Sachbuch erzählt Uwe Wittstock, wie deutsche Schriftsteller auf die Machtergreifung der Nazis reagierten.</p>
Nach der Machtübernahme lassen die Nationalsozialisten in Universitätsstädten die Bücher verfemter Autoren verbrennen. Zehntausende Bücher wurden allein in der Nacht des 10. Mai 1933 ein Raub der Flammen. In einem spannenden Sachbuch erzählt Uwe Wittstock, wie deutsche Schriftsteller auf die Machtergreifung der Nazis reagierten. | Foto: dpa

Am 21. Februar 1933 verlässt ein älterer Herr sein Haus in der Berliner Fasanenstraße. Nur mit einem Schirm ausgestattet fährt er mit der Straßenbahn direkt zum Bahnhof. Er ist ohne Gepäck, um keinen Verdacht zu erregen. Denn hier kehrt einer der bekanntesten und von den Nazis meistgehassten deutschen Schriftsteller heimlich, still und leise seiner Heimat den Rücken, um nie wiederzukommen. Über Frankfurt am Main fährt Heinrich Mann nach Kehl und geht von dort zu Fuß über die Grenze. In Frankreich kann er aufatmen. Er ist in Freiheit und in Sicherheit. Heinrich Mann wird die NS-Diktatur überleben. Aber glücklich wird er im Exil nicht. Es werden harte, bittere und von finanzieller Not geprägte Jahre für ihn. Als Heinrich Mann aus Deutschland flüchtete, war die Machtergreifung der Nationalsozialisten erst drei Wochen her. Viele Schriftsteller wurden wie er von dem Ereignis überwältigt. Wer links und liberal dachte, sah sich vor die schmerzliche Entscheidung gestellt: Aufgeben oder durchhalten.

In seinem Buch „Februar 33. Der Winter der Literatur“ beschreibt Uwe Wittstock die dramatische Situation vieler Autoren in diesen historischen Wochen. In lebendigen Erzählungen lässt er die wichtigsten Tage Revue passieren, als sich das Leben der Schriftsteller auf eine unheimliche Art beschleunigte und in kürzester Zeit aus den Fugen geriet: „Für die Zerstörung der Demokratie brauchten die Antidemokraten nicht länger als die Dauer eines guten Jahresurlaubs. Wer Ende Januar aus einem Rechtsstaat abreiste, kehrte vier Wochen später in eine Diktatur zurück.“ Wie brutal diese Diktatur aussah, verdeutlicht er mit eingestreuten Zeitungsmeldungen über Straßenkrawalle, politische Morde und blutige Ausschreitungen. Wie jeder einzelne Autor mit dieser Situation umging, hing von vielen Faktoren ab, vom Charakter, vom Grad der Gefährdung, von den finanziellen und familiären Verhältnissen, nicht zuletzt von den Verbindungen ins Ausland.

Es gab die Blitzmerker wie Joseph Roth, der schon am Morgen des 30. Januar, dem Tag der Machtergreifung, den erstbesten Zug nach Paris nahm und sehr klarsichtig die Lage erkannte: „Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen.“ Dann gab es diejenigen - es waren viele -, die meinten, dass alles nicht so schlimm kommen werde. Manche gingen in dem festen Glauben ins Exil, in wenigen Wochen sei der Spuk vorbei und sie könnten wieder zurück. Und dann waren da die Unbeirrbaren wie Carl von Ossietzky, der alle Warnungen in den Wind schlug und sich in Sicherheit vor der SA wähnte, weil er an seiner Tür kein Namensschild angebracht hatte. Erich Kästner wiederum wollte wegen seiner alten Mutter die Heimat nicht verlassen und meinte als Demokrat die Stellung halten zu müssen: „Wir können doch nicht alle auf und davon!“ Ein bezeichnendes Schlaglicht wirft Wittstock auf die Machtverschiebung innerhalb der Preußischen Akademie der Künste. Nachdem die politisch unliebsam gewordenen Mitglieder Käthe Kollwitz und Heinrich Mann ihren Rücktritt eingereicht hatten, geriet die Akademie immer mehr in nationalsozialistisches Fahrwasser. Gottfried Benn drückte schließlich eine Unterwerfungserklärung der Literaten durch. Nach dieser peinlichen Selbstentmachtung verlor die Akademie jegliche künstlerische Relevanz. Übrig blieben nur noch literarisch unbedeutende, dafür politisch linientreue Autoren. Benn war vom Ergebnis seines Wirkens so entsetzt, dass er die Akademie nicht mehr betrat.

„Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum!“

Es gab aber auch eine Heldin, die Zivilcourage und Haltung zeigte: Ricarda Huch, eine konservative Schriftstellerin, wurde sogar von den Nationalsozialisten verehrt. Doch die alte Dame warf ihnen den Fehdehandschuh hin und erklärte mit Aplomb ihren Austritt aus der Akademie: „Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum!“ Huch überlebte Diktatur und Krieg in der inneren Emigration. Viele Schriftsteller machten im Exil eine schwere Zeit durch. Einige wenige waren erfolgreich. Für die meisten bedeutete Deutschlands Abdriften in die Diktatur jedoch einen unheilbaren Bruch in ihrer Biografie. Ihre Konflikte, Nöte, aber auch ihre Courage und ihren Durchhaltewillen führt dieses Buch eindringlich und mitfühlend vor Augen.

Uwe Wittstock: Februar 33. Der Winter der Literatur,

C.H. Beck Verlag, München,

288 Seiten, 24,00 Euro,

ISBN 978-3-406-77693-9

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