Erlebnisfahrten und Geisterkulissen: Erste Pokalrunde verliert ihren Charme

<p>Borussia Dortmund ist am Montag (20.45 Uhr) in der Duisburger Schauinsland-Reisen-Arena zu Gast.</p>
Borussia Dortmund ist am Montag (20.45 Uhr) in der Duisburger Schauinsland-Reisen-Arena zu Gast. | Foto: dpa

Ulkige Dorfplatzatmosphäre, ungewohntes Terrain für den Goliath und dazu ein aufmüpfiger David, der im Spiel des Lebens von seinen Anhängern enthusiastisch nach vorne gepeitscht wird: Genau diesen besonderen Charme der ersten DFB-Pokalrunde hat Corona im Jahr 2020 vertrieben. Hier ein Geisterspiel, da nur eine Teilzulassung von Zuschauern und andernorts sogar ein Heimspiel im Stadion des Gegners. Das Sensationspotenzial für die erste Pokalrunde sinkt in dieser Spielzeit auf ein Minimum. Selbst der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bedauert den damit verlorengegangenen Reiz und die Nachteile für die Amateurvereine, dabei nehmen die das teilweise gar nicht so tragisch. Viele machen die Not zur Tugend und nutzen das Spiel des Lebens als Erlebnisreise.

Nordost-Regionalligist VSG Altglienicke genießt nach dem Heimrechttausch seinen Ausflug zum 1. FC Köln: „Das ist ziemlich aufregend“, sagte Trainer Karsten Heine der Berliner Morgenpost. In einer der modernsten Arenen des Landes zu spielen, werde „für viele Spieler vielleicht das erste und letzte Mal sein“. Dementsprechend sei das viel mehr ein „Erlebnis“ als ein „Nachteil“, sagte der 65-Jährige. Auch für den FC Oberneuland wird das Duell mit dem Champions-League-Teilnehmer Borussia Mönchengladbach nach dem Heimrechttausch zum Event. Der 40-köpfige Tross des Nordost-Regionalligisten wird extra einen Tag vor dem Spiel mit einem Doppeldeckerbus anreisen, vor Ort gibt es erstmal eine Stadionführung und einen Besuch der FohlenWelt. Das in beiden Arenen nur 300 Zuschauer zugelassen sind, verkommt da fast zur Nebensache.

Insgesamt weichen elf Amateurvereine aufgrund der in der Kürze der Zeit kaum umsetzbaren Hygienekonzepte in die größere Arena des Gegners aus. Und so spielen der TSV Havelse in Mainz, der FV Engers in Bochum, Eintracht Celle in Augsburg und so weiter. Einzig der SV Todesfelde trotzt schier „todesmutig“ dem Trend. Als einziger Verein unterhalb der Regionalliga macht der Fünftligist aus dem 1.000-Seelen-Dorf bei Bad Segeberg in Schleswig-Holstein trotz der Corona-Pandemie von seinem Heimrecht Gebrauch. „So einen Tag kannst Du für Geld nicht kaufen. Das ist Herzblut, das ist Erinnerung und Identifikation mit der Region. Das, was bleibt, ist ja viel mehr als Geld“, sagte Klubchef Holger Böhm vor der Partie am Samstag gegen den Zweitligisten VfL Osnabrück dem NDR: „Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das nur aus wirtschaftlichen Gründen nicht machen würden.“

Das Corona-Konzept in Todesfelde sieht 500 Zuschauer vor, damit sind sie selbst einigen Bundesligisten voraus – denn der Corona-Flickenteppich offenbart gewaltige Lücken. Vielerorts bleiben aufgrund der behördlichen Vorgaben die Tribünen immer noch leer, insgesamt steigen zehn der 31 am Wochenende angesetzten Partien vor Geisterkulisse. Mehr als 1.000 Zuschauer sind lediglich im Osten zugelassen, dort dürfen die Stadien aufgrund der günstigen Entwicklung der Coronafallzahlen teilweise zu über einem Drittel ausgelastet werden.

So darf Dynamo Dresden gegen den Hamburger SV rund 10.000 Fans begrüßen, Hansa Rostock empfängt den VfB Stuttgart vor 7.500 Anhängern, in Magdeburg dürfen 5.000 Menschen ihren FCM gegen Darmstadt 98 vor Ort unterstützen – Kulissen, die den Teams zumindest etwas von ihrem Heimvorteil erhalten. Vielerorts wird davon jedoch gar keine Spur sein, Außenseitersiege werden zusätzlich erschwert.

Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit groß wie lange nicht, dass sich am 18. Oktober erstmals seit der Saison 2008/09 wieder alle Bundesligisten im Lostopf zur zweiten Pokalrunde befinden werden. (sid)

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