Ein Jahr vor den Spielen: Wie Japan Olympia retten will

<p>„Es liegt eine Mammutaufgabe vor uns“, schätzt IOC-Präsident Thomas Bach die Lage ein.</p>
„Es liegt eine Mammutaufgabe vor uns“, schätzt IOC-Präsident Thomas Bach die Lage ein. | Foto: Photo News

Die Uhr tickt wieder. 365 Tage zeigte sie am Donnerstag am Tokioter Zentralbahnhof an. Nach der Verlegung der Olympischen Spiele beginnt der Countdown von vorne. „Nur noch ein Jahr. Es liegt eine Mammutaufgabe vor uns“, so Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, am Donnerstag.

Die Japaner haben aktuell andere Sorgen: Von Olympia-Fieber ist keine Spur mehr. Vor einem Jahr war es noch die brutale Sommerhitze, die den Olympia-Machern die größte Sorge bereitete – jetzt ist es die Coronakrise. Am Donnerstag meldete Tokio erstmals mehr als 300 Neuinfektionen. Ein Rekord, der die Aussichten weiter trübt. Dennoch bleiben die Organisatoren der Tokio-Spiele zuversichtlich, die Probleme in den Griff zu bekommen. OK-Chef Yoshiro Mori gab zwar zu, dass bei einem Anhalten der aktuellen Lage Spiele nicht möglich wären, betonte aber: „Ich glaube nicht, dass diese Situation noch ein Jahr anhalten wird.“ Auch Bach bleibt optimistisch.

Während alle Welt angesichts der Pandemie zweifelt, ob die Spiele 2021 überhaupt stattfinden können, nutzen Japans Verantwortliche derzeit einen Teil der 43 Olympia-Wettkampfstätten als eine Art gigantisches Laboratorium: Vor Ort wollen sie testen, welche Maßnahmen zum Schutz von Athleten, Zuschauern und anderen Beteiligten ergriffen werden könnten. Experimente, wie sie noch kein Olympia-Gastgeber durchführen musste. So wurden in der Saitama Super-Arena, wo Basketball gespielt werden soll, die Mixed-Zonen für Interviews der Medien mit Athleten umstrukturiert. Dazu gehört die Installation von Trennscheiben aus Akryl zwischen Reportern und Athleten. Außerdem ist angedacht, die Sportler zum Training und zu den Wettkämpfen auf Busse zu verteilen, um Abstand halten zu können.

Zu den rund 400 Vorschlägen für mögliche Corona-Maßnahmen gehören auch bargeldloses Bezahlen an Verkaufsständen in der Arena, die Pflicht zum Tragen von Masken sowie eine Reihe von Verboten: Kein lautes Anfeuern der Mannschaften, keine lauten Durchhalteparolen, Gesänge sowie Umarmungen unter den Athleten selbst sowie Trink- und Essensverbote in den Umkleidekabinen. Im Olympischen Dorf, wo bis zu 11.000 olympische und 4.400 paralympische Athleten unterkommen sollen, könnten ebenfalls Bewegungseinschränkungen eingeführt werden. Zumal die Athleten Zimmer, Cafeterias und Busse mit anderen teilen müssen. Auch Japans wieder gestartete Baseball- und Fußballligen dienen als Experimentierfelder. So wie die Fans dieser Sportarten werden sich auch Olympia-Fans möglicherweise an neue Regeln anpassen müssen: Kein Skandieren, kein „High-Five“-Abklatschen, keine Umarmungen und keine Finger benutzen beim Pfeifen. Die Idee, Wettkämpfe ganz ohne Zuschauer abzuhalten, wies Mori zurück. Die Erwägung von Bach, nur eine reduzierte Zuschauerzahl in die Arenen zu lassen, ist für den OK-Präsidenten das absolute „Worst Case“-Szenario.

Ein Jahr vor den geplanten Spielen gibt es mehr Fragen als Antworten – auch zur Einreise ins Land oder die horrenden Zusatzkosten in Folge der Verschiebung. Schätzungen gehen von zwei bis sechs Milliarden Dollar aus. So ist unklar, wie die Käufer der mehr als 41.000 Wohnungen, die aus den Unterkünften der Athleten im Olympischen Dorf entstehen sollen, entschädigt werden. Diese können nun erst ein Jahr später bezogen werden. Es gibt für die Organisatoren aber auch positive Nachrichten: Erstmals seit der Verschiebung konnte laut örtlichen Medien wieder ein Vertrag mit einem neuen Sponsor abgeschlossen werden: dem Betreiber des „Tokyo Sky Tree“, dem höchsten Fernsehturm der Welt, Tokios neues Wahrzeichen. Zugleich haben die Olympia-Macher damit begonnen, die Sponsoren um zusätzliche Mittel zwecks Deckung der Zusatzkosten wegen der Verlegung zu bitten.

Was aber, wenn die Spiele am Ende doch nicht 2021 stattfinden können? Rund die Hälfte der nationalen Sportverbände in Japan hofft nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo, dass das IOC und Japans Olympia-Macher noch in diesem Jahr entscheiden, ob die Spiele abgehalten oder abgesagt werden. Eine nochmalige Verschiebung soll es nicht geben. Japans Organisatoren bevorzugen jedoch eine abschließende Entscheidung eher im Frühjahr. (dpa)

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