Klimabeschluss bei EU-Gipfel auf der Kippe

<p>„Ich hoffe, wir können uns einigen“, sagte Charles Michel in Brüssel.</p>
„Ich hoffe, wir können uns einigen“, sagte Charles Michel in Brüssel. | Foto: dpa

Vor dem EU-Gipfel hat der neue Ratschef Charles Michel bei allen Mitgliedsstaaten Unterstützung für das Ziel eines klimaneutralen Europa bis 2050 angemahnt. „Ich hoffe, wir können uns einigen“, sagte der Belgier am Donnerstag in Brüssel. Polen, Ungarn und Tschechien haben nach wie vor Einwände. Tschechiens Regierungschef Andrej Babis machte dabei eine neue Front auf und forderte, der Gipfel solle Atomkraft als Instrument bei der Klimawende anerkennen. Das wiederum trifft auf Widerstand.

Für das „klimaneutrale“ Europa hatte die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch ihren „Green Deal“ vorgelegt. Gemeint ist, dass ab 2050 keine zusätzlichen Treibhausgase aus Europa mehr in die Atmosphäre gelangen. Dafür müssen Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft komplett umgebaut werden. 25 der 28 EU-Staaten bekennen sich zu dem Ziel und wollen es beim Gipfel offiziell festschreiben. Um die übrigen drei Länder an Bord zu bekommen, versprechen sie finanzielle Hilfen.

Im Entwurf der Gipfelerklärung, der der dpa vorliegt, heißt es, Klimaneutralität zu erreichen sei eine ernsthafte Herausforderung. Es müssten Bedingungen geschaffen werden, von denen alle Staaten profitierten. Dazu gehörten „angemessene Instrumente, Anreize, Unterstützung und Investitionen“, um einen kosteneffizienten und fairen Übergang zu gewährleisten.

Doch gelang bei Verhandlungen vor dem Gipfel noch keine Einigung, wie Ratschef Michel einräumte. Er hoffe nun auf einen Durchbruch am Donnerstagnachmittag. „Klimaneutralität ist ein sehr wichtiges Ziel“, sagte er. „Es ist auch ein starkes Signal für die Zukunft Europas.“

In einem klimaneutralen Europa dürften keine Kohle, kein Öl und kein Gas mehr verbrannt werden. Einige osteuropäische Staaten tun sich schwer damit, weil sie bisher besonders hohe Anteile an Kohlekraft haben. Die rasche Umstellung auf Ökostrom aus Wind, Sonne und Co halten einige Staaten für unrealistisch und zu teuer.

„Ohne Atomenergie erreichen wir die Klimaneutralität nicht“, sagte Regierungschef Babis dem tschechischen Fernsehen vor seinem Abflug zum EU-Gipfel. Die EU-Kommission und der Gipfel müssten klar feststellen, dass die Kernkraft eine „saubere und emissionsfreie Energiequelle“ sei.

Tschechien will den Anteil der Atomkraft am Strom-Mix bis 2040 auf die Hälfte erhöhen und damit den Rückgang der heimischen Kohleförderung ausgleichen. Babis verlangte Garantien, dass Tschechiens Nachbarstaaten Ausbaupläne für die AKW-Standorte Temelin und Dukovany nicht blockieren. Temelin ist weniger als 60 Kilometer von der Grenze zu Bayern entfernt. Umweltschützer kritisieren die tschechischen Meiler als störanfällig und veraltet.

Ob Atomkraft in der Klimawende und bei „grünen Investitionen“ eine Rolle spielen soll, ist in der EU ein heißes Streitthema. Deutschland, Österreich und andere Länder wollen dies nicht. Wird dies bei der Grundsatzentscheidung für die Klimaneutralität nun einbezogen, dürfte die Debatte noch komplizierter werden.

Beim Gipfel – dem ersten für Michel und von der Leyen – ist dies nicht der einzige Punkt, über das sich die Länder entzweien. Noch schwieriger ist die Debatte über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027. Hier sind die Positionen total verkantet.

Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, jedes Land solle 1,11 Prozent seiner Wirtschaftskraft in den Gemeinschaftshaushalt zahlen. Länder wie Deutschland, Österreich und die Niederlande wollen jedoch maximal 1,0 Prozent ausgeben. Finnland, das derzeit den Vorsitz der EU-Länder führt, hatte als Kompromiss 1,07 Prozent vorgeschlagen. Die Debatte ist auch deshalb schwierig, weil einerseits neue EU-Aufgaben finanziert werden sollen, andererseits aber nach dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens Milliarden Euro fehlen werden.

Der Brexit ist am Freitag Thema beim Gipfel, ein Tag nach der britischen Parlamentswahl. Für Freitag ist zudem eine Debatte über Eurozonenreformen geplant. (dpa)

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