Wählerwillen gibt es nicht

Sehr geehrter Herr Collas, ich möchte Sie keinesfalls belehren, auch nicht ihr gutes Recht in Abrede stellen, unzufrieden mit politischen Entscheidungen zu sein. Und vermutlich nehmen Sie persönlich Stimmungen so wahr, wie Sie sie schildern (wobei hier das analoge und digitale Filterblasen-Phänomen nicht zu unterschätzen ist). Nichtsdestotrotz: einen Bürger-, Volks- oder Wählerwillen gibt es schlichtweg nicht. Entsprechend kann dieser weder befolgt noch missachtet werden. Den Wählerwillen gibt es nur in der Einzahl und nur in der Wahlkabine. Danach gibt es nur noch Stimmen, Mathematik und Politik. In jedem Fall aber ist jede aus diesem Ergebnis resultierende Bündelung von Stimmen und Sitzen in Form einer Koalition als legitim anzusehen. Und einzig darum geht es in der Demokratie. Natürlich gibt es viele andere Verfahren und Varianten, jede(s) einzelne mit Vor- und Nachteilen (so zählt beispielsweise ein luxemburgischer Wähler ungleich stärker bei der Europawahl als sein deutscher Nachbar, so hat Macron im ersten - die Präferenzen klarer abbildenden - Wahlgang nur ein Viertel der Franzosen, die zur Wahlurne gegangen sind, von sich überzeugt,...). Mir bereitet generell eines Sorge: wenn die - wie auch immer konkret ausgestaltete - Einhaltung demokratischer Verfahren als den Populismus fördernd bezeichnet wird, weil ein nicht existierender Wählerwillen nicht respektiert wird, wird gewissermaßen der Bock zum Gärtner gemacht. Wie in meinem letzten Leserbrief warne ich vor der Beschädigung von Institutionen. Institutionen haben (glücklicherweise) keine Emotionen und wehren sich nicht. Ihre Beschädigung oder Zerstörung wird meist dann bedauert, wenn es schon zu spät ist. Wenn Sie, Herr Collas, nun das Gefühl haben oder der Überzeugung sind, dass es bessere Verfahren für die ostbelgischen Demokratie gibt, werben Sie für diese. Nur bitte lassen Sie den Volks-, Wähler- oder Bürgerwillen außen vor, denn dies ist - gefährlicher - Unsinn.

Kommentare

  • Ein sehr pertinenter Kommentar Herr Förster, dem man nur beipflichten kann. Des Volkes vermeintlicher Wille ist die Parole mit der Populisten immer wieder Stimmung machen und dabei die Emokratie weiter anheizen. Wie weit so etwas führen kann hat man in der NS-Zeit ab 1935 mit dem "gesunden Volksempfinden" - der gesetzlich verankerten Willkür des Regimes - erlebt. Die Summe aller Meinungen ergibt noch keine Einheitsmeinung...

  • „Nur“ soviel: 50,46% der abgegebenen Wählerstimmen fielen auf die bisherigen Oppositionsparteien CSP, Vivant und ECOLO. Daraus lässt sich nicht DER Wählerwille ableiten, aber zumindest die Erkenntnis, dass die Mehrheit der Wähler nicht für Koalitionsparteien und somit de facto auch nicht für eine Fortführung der Koalition aus ProDG, PFF und SP gestimmt hat. Eine Mehrheit der Wähler! Immerhin! Bei einer begrenzten Anzahl zu vergebener Sitze (25) ist es p.D. schwierig, den genauen Proporz der Mandatsverteilung entsprechend dem Kräfteverhältnis der Parteien zu gewährleisten. Wenn das d’hondtsche System zum Ergebnis führt, dass eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen nicht dem Mehrheitsverhältnis im Parlament entspricht, so ist dies bedauerlich, aber zu akzeptieren, solange es nicht durch ein besseres System abgelöst wird. Richtig! Diesen demokratischen „Unfall“ einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen ist rechtens und legitim, zeugt aber nicht von ausgeprägter demokratischer Gesinnung. Es geht nicht um die Frage der „Einhaltung demokratischer Verfahren“ sondern um den Respekt gegenüber „den“ Wählern, deren Beteiligung an politischen Entscheidungen ohnehin allein auf seine Stimmabgabe alle 5 Jahre begrenzt ist. Legitim ist es zudem zu kritisieren, dass fragwürdige, dem Machterhalt dienende Vorwahlabkommen oder Vorwahlvereinbarungen (wo liegt der Unterschied?) zwischen den Parteien, letztlich Ausschlag über die Bildung von Mehrheiten im Hauruck-Verfahren geben, statt einer fundierten, zeitlich angemessen Analyse der Wahlergebnisse und einer Konzertierung zwischen demokratischen Parteien (Ja, dies hätte auch auf Ebene der Gemeinde Eupen so stattfinden sollen). Die Vorwahlvereinbarung besagte dem Vernehmen nach, die Koalition fortzusetzen... wenn sie vom Wähler bestätigt würde. Genau dies wurde sie weder mathematisch noch strikt demokratisch, allenfalls „zufällig“ rechtens. Den Wählerwillen gibt es im Prinzip „nur im Einzelfall und nur in der Wahlkabine“. Aber aus der Summe der einzelnen Wählerentscheidungen lassen sich Rückschlüsse ziehen. Bei der PDG-Wahl besagen diese Rückschlüsse - nochmal - dass eine Mehrheit der Wähler nicht für die alte Koalition gestimmt hat und somit auch nicht für deren Fortsetzung. Dies ist tatsächlich einfach nur Mathematik. Ob dies einem Beamten der DG nun passt oder nicht.

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