Yves Delhez: Das tragische Ende eines Kunstwerks

Die Flammen schlugen 30 Meter hoch in den Himmel, die Rauchwolke über der Eupener Unterstadt war kilometerweit zu sehen. In der Kügelgasse, unterhalb des Spitzbergs, wurde ein Gebäude Opfer eines infernalischen Feuers, das in dem mit viel Holz errichteten und nicht fertiggestellten Bau reichlich Nahrung fand. Das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder, ohne dass die Feuerwehr viel hätte ausrichten können. „Teufelscheid“ heißt die Flur, auf der Yves Delhez Ende der 1980, Beginn der 1990er Jahre anfing, seinen Lebenstraum zu verwirklichen. Wobei Flur nicht der richtige Begriff ist. Es war ein Felsen mit einem schroff zur Hill abfallenden Gelände, das der Feuerwehr die Löscharbeiten zusätzlich erschwerte.

Eine Schildkröte, die sich gegen die Last des Himmels stemmt

Delhez hatte irgendwann in den 1980er Jahren angefangen, die Ideen und Skizzen, die so manchen seiner Ausbilder an St.Luc in Lüttich zum Staunen gebracht hatten, in richtige Gebäude umzusetzen. Es brauchte mutige Bauherren, um seiner Formensprache der organischen Architektur grünes Licht zu geben. So entstand Anfang der 1990er das erste private Wohnhaus für einen Kunden unweit der Kügelgasse, im Selterschlag.

Zuvor hatte Delhez an den Unteren Ibern sein eigenes Wohnhaus errichtet, das sich wie eine Schildkröte unter der Last des Himmels zu beugen scheint. An einem Wochenende der offenen Architektur 1993 wollten mehr als 1.200 erstaunte Besucher im Selterschlag sehen, was der junge Künstler dort ersonnen hatte. Einige Jahre später heimste das Haus einen Architektenpreis für das schönste Wohnhaus der Wallonie ein. Es sollte nicht der einzige bleiben. Auch das Haus eines bekannten Fußballtrainers im Langesthal, der sich von der Kunst des jungen Architekten aus der Eupener Oberstadt begeistern ließ, wurde ausgezeichnet. Es folgten viele weitere Projekte, manche in klassischem Baustil, doch auch zahlreiche in der Yves Delhez eigenen Formensprache. Dabei legte der Architekt Wert auf die Kombination von geraden Linien und den vielfältigen Formen, die man in der Natur findet.

Hat der (Feuer)Teufel sich den Teufelscheid zurückgeholt?

Meist ließ sich Delhez von der direkten Umgebung des Gebäudes inspirieren. So stellt das Haus im Selterschlag den Wirbel dar, der entsteht, wenn ein kleiner Wasserlauf, der früher eine öffentliche Viehtränke speiste, und ein Feuer (als Symbol einer menschlichen Wohnstätte) aufeinandertreffen. Bekanntlich vertragen sich Feuer und Wasser nicht... Es riecht nach Schicksal, dass wenige Monate nachdem die Flut die Unterstadt zu Füßen der „Kathedrale“, wie manche Leute das imposante Kunstwerk auf dem Felsen nannten, heimgesucht hat, nun ein Feuer dem Lebenswerk Yves Delhez’ den Garaus machte. Oder war es ein (Feuer)Teufel, der sich den Teufelscheid zurückholen wollte? Die Staatsanwaltschaft ermittelt, konnte aber wegen des Löschschaums und des Löschwassers die Spurensicherung noch nicht abschließen. So bleibt offen, was das verheerende Feuer auslöste, das die ungewöhnlichen Formen auslöschte, die Delhez in organischer Bauweise nach und nach an der Kügelgasse zu einem Kunstwerk hatte verschmelzen lassen, wie es in Belgien, wahrscheinlich in Europa, kein zweites gibt. Jahrzehnte lang hatte Delhez zuerst alleine, dann mit der Hilfe unzähliger Architekturstudenten, die gerne nach Eupen kamen, um auch ihre Hände an das Kunstwerk anzulegen, gebaut. Auch seine Familie half mit. Der Vater ließ seinen Helfern freie Hand, ihre eigenen Ideen in einem von ihm vorgegebenen Rahmen zu verwirklichen. So entstand ein Gesamtkunstwerk, in dem grobe Steine aus der Region sich mit Fliesen, Stahl, Glas und sehr viel Holz sowie anderen Materialien, viele in einem zweiten oder gar dritten Leben, vermischten, um ein harmonisches Ganzes zu ergeben.

Wer Anfang der 1990er regelmäßig an der Hill entlang durch den Selterschlag fuhr, konnte Delhez in jeder freien Minute massive, aber formvollendete Fundamente hochziehen sehen. Es sollte Jahre dauern, bis nach mehreren technischen Kellerebenen und einem Untergeschoss endlich die Höhe des Spitzbergs erreicht war, sodass die von dort strahlende Sonne die ungewöhnlichen Räume mit Licht durchfluten konnte.

Die Stunden, die der Architekt bis zu seinem viel zu frühen Unfalltod an diesem Kunstwerk verbrachte, kann kein Mensch zählen. Und zahlen erst recht nicht. Der ideelle Wert liegt um ein Vielfaches über dem Marktwert des Gebäudes, das jahrelang leer stand und kurz davor stand, den Besitzer zu wechseln. Dessen Pläne werden nicht mehr verwirklicht werden. Es sollte, so heißt es, ein Kunstwerk werden, das, in Yves Delhez’ Sinn zu Ende gebaut, von möglichst vielen Menschen erlebt werden sollte: als Gäste für einige Tage, aber auch von Besuchern von Vernissagen und anderen Veranstaltungen.

„Chamäleon“ hatte Yves Delhez sein Projekt gegenüber einer Online-Plattform für Architekturprojekte bezeichnet. Es sollte sich organisch in seine Umgebung, ein kleines Waldstück am Fuße des Hertogenwaldes, einfügen. Einige der Dächer waren so angelegt, dass dort Samen von den umstehenden Bäumen den notwendigen Boden zum Wachsen finden konnten. Auch mit den Jahreszeiten sollte das über 16 Meter hohe Gebäude sich verändern. Yves Delhez selbst hatte in dem Turm sein eigenes Atelier auf zwei Ebenen geplant, zwischen den Baumwipfeln auf dem Teufelscheid, mit einem unvergleichlichen Blick über die Unterstadt.

Nun liegt das Kunstwerk in Asche. Es brannte an einem Aschermittwoch nieder. Das wackelige Gerüst ragt wie ein Mahnmal in den Himmel, so, als wollte es uns, in diesen verflixten Zeiten, an unsere Vergänglichkeit erinnern.

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  • Toller Artikel Oswald!

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