„Der Rausch“: Beschwipste dänische Versuchsanordnung

<p>Mads Mikkelsen als Martin in einer Szene des Films „Der Rausch“</p>
Mads Mikkelsen als Martin in einer Szene des Films „Der Rausch“ | Foto: picture alliance/dpa/Weltkino

Mittelalte Männer, die sich zwei Stunden lang betrinken. Das klingt nach „Hangover“, das klingt wenig subtil. Die längst mit einigen Auszeichnungen (darunter der Oscar für den besten internationalen Film) bedachte Dramödie aber stammt aus der Feder eines viel gerühmten Regisseurs und Autors namens Thomas Vinterberg. Der Däne, der dem europäischen Kino mit seinem reduzierten und gerade deswegen so lebensnahen „Das Fest“ vor bald einem Vierteljahrhundert neuen Schwung injizierte. Auch damals spielte der Alkohol eine Rolle. Diesmal aber dominiert er einen ganzen Film. Es geht um die Überprüfung einer These: Ist der Mensch leicht angetrunken tatsächlich besser drauf, vermag er sein eigentliches Potenzial erst ab einem Blutalkoholwert von einem halben Promille wirklich zu entfalten? Für die Hauptrolle konnte Vinterberg mit Mads Mikkelsen („James Bond 007: Casino Royale“) einen wunderbaren Darsteller gewinnen. Der Streifen ist inzwischen in Deutschland angelaufen und steht zum Beispiel am kommenden Freitag (6. August, 20 Uhr) ebenfalls im Kino Scala in Büllingen auf dem Programm.

Schauspieler Mads Mikkelsen (Jahrgang 1965) gibt dabei Martin, einen frustriert-gelangweilten Mittfünfziger, der seine Stunden als Lehrer vor nicht minder gelangweilten Pennälern mehr absitzt denn gestaltet. Der mitansehen muss, wie sich seine Frau zur Beantwortung seiner Frage „Findest Du, ich bin langweilig geworden?“ erst einmal hinsetzen muss. Auch auf der Geburtstagsfeier eines Lehrerkollegen stellt Martin zunächst seine von Lebens-Ennui und manch Falte gezeichnete Miene zur Schau. Dann aber steht plötzlich die auf einen norwegischen Psychiater zurückgehende Idee mit dem konstanten Dauerschwips im exquisit ausgeleuchteten Raum (das Männerquartett sitzt in einem Lokal). Das Ziel: „ein entspannterer Gesamtzustand“. Das Mittel: Alkohol. Das Vorbild: Hemingway.

Schon an diesem Abend glätten sich Martins Gesichtszüge. Bald muss er konstatieren: „Lange her, dass es mir so gut ging“. Auch seine Schüler lernen ihn neu kennen. Martin ist plötzlich inspirierend und lustig. Die kurz vor dem Abi stehenden Mädchen und Jungen gieren förmlich nach seinen Ausführungen. Die drei Kollegen, die bei diesem Experiment mitmachen, berichten Ähnliches. Nach einer guten Dreiviertelstunde aber kursiert die bange Frage: „Sind wir Alkoholiker?“ Eindeutige Antwort: Nein, wir bestimmen ja selbst, wann wir trinken. Dass es so einfach nicht ist, auch das zeigt Vinterberg in seinem Film. Das Alkoholexperiment droht aus dem Ruder zu laufen; irgendwann werden die im Geräteraum der Schule versteckten Pullen entdeckt. Vinterberg jedoch enthält sich eines moralischen Urteils. Nie geht der Zeigefinger nach oben. Für eine unreflektierte Verharmlosung des Trinkens ist der Däne zu klug. Und doch: Ob sich (trockene) Alkoholiker in diesem Film wirklich wohlfühlen, sei einmal dahingestellt.

Sukzessive wird schließlich deutlich, dass es in „Druk“ (dänischer Originaltitel) weit weniger um Alkohol, um Bewusstseinserweiterungen und -verengungen geht, als die zwei Stunden zunächst nahelegen. Letztlich ist der Film erbaulich, teils sogar vergnüglich: Es geht um Lebensfreude, um wirkliche Spontaneität, die Feier des Moments, ums Loslassen. Dieser Film ist weniger das Dokument einer Midlife-Crisis als eine tiefe, wenn auch nicht jeden Moment gänzlich originelle Verbeugung vor der Jugend. Nicht ohne Grund hat Vinterberg, der kurz nach Beginn der Dreharbeiten seine Tochter auf tragische Weise hat verlieren müssen, dem „Rausch“ ein Zitat seines dänischen Landsmannes Søren Kierkegaard vorangestellt: „Was ist Jugend? Ein Traum. Was ist Liebe? Des Traumes Inhalt“. Vinterbergs verstorbener Tochter ist dieser Film gewidmet. (dpa/sc)

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