Jetzt sind konkrete Zahlen erforderlich

Liebe Redaktion, ich möchte mich zu ihrem Artikel „Chronologie eines kolossalen Fehlers“ zu Wort melden. Es ist sehr schade, dass es von Seiten der Talsperren Verwaltung bisher kein konkretes Zahlenmaterial und Fakten gibt, dennoch möchte ich hier ein paar Anmerkungen machen, die m.E. bisher so nicht oder nur zum Teil berücksichtigt worden sind:

Die Wesertalsperre ist primär ein Trinkwasser-Reservoir und sekundär ein Starkregen-Rückhaltebecken. Die baulichen Anforderungen an solche Systeme sind grundlegend verschieden. Ein Rückhaltebecken ist darauf ausgelegt, bei Bedarf „leer“ zu sein, um kurzfristig große Wassermassen auffangen zu können, um es danach kontrolliert wieder komplett zu entleeren. Die Wesertalsperre ist ein Kompromiss aus beiden mit Vorrang zum Trinkwasser-Reservoir. Sie speichert also primär Wasser, die Rückhaltefähigkeiten, d.h. die Kontrolle über einen „Reservestauraum“ ist jedoch begrenzt. Warum?

Die Wesertalsperre hat einen Überlauf, welcher mit einem Wehr mit einem Verfahrweg von ca. 4 Meter Höhe versehen ist. Man kann also maximal 4 Meter Wasser aufstauen und entsprechend ablassen. Mehr geht an dieser Stelle „konstruktiv“ nicht. Vier Meter Wasserstand entsprechen bei der Wesertalsperre - mit einer Oberfläche von 1,2 km² - ca. 4,8 Mio. Kubikmeter (cbm) Wasser. Mehr kann man über das Wehr nicht ablassen. Der einzige Weg, den Wasserstand der Talsperre dann präventiv noch weiter zu senken ist, nach meinem Verständnis, nur über die Turbinen des Stromgenerators, mit Auslass unten an der Staumauer, möglich: geschätzt ca. 7 bis 10 cbm/sec. (Was zu überprüfen ist!)

Angenommenes Szenario: Die Talsperre ist Montagmorgen rand- bzw. gut gefüllt. Man könnte eine Staumenge von 4,8 Mio. cbm, ohne die Unterstadt zu gefährden, mit (wie mit Prof. Ernst angegebenen) 43 cbm/sec innerhalb von 31 Stunden ablassen. (siehe auch Artikel GE vom 16.4.2008 weiter unten). Danach wäre es nur noch möglich, mit ca. 10 cbm/sec weiteres Wasser über die Turbinen abzulassen, d.h. in jeweils 24 Stunden zusätzliche 864.000 cbm.

Man hätte, je nachdem wie voll die Talsperre am Montagmorgen war, innerhalb von 55 Stunden somit einen Reservestauraum von 5,6 oder 6,4 Millionen cbm schaffen können. Mehr ist m.E. in dieser Zeitspanne technisch nicht möglich!

Hieraus und mit der Annahme von 150 Liter/m2 Regen innerhalb dieser 48 Stunden im Einzugsgebiet der Wesertalsperre (ca. 106 km2), ergibt sich ein Zulauf zum See von ca. 16 Mio. cbm. Das entspricht ca. 92 cbm/sec. Eine Diskrepanz zum Reserve-Stauraum von ca. 10 Mio. cbm!

Mit der Annahme, dass man während dieser „Regenzeit“ 40 cbm/s kontrolliert ablässt (das widerspricht jedoch den Zahlen von Prof. Ernst – er sagt man kann diese vom Hochwasser „abziehen“, d.h. die Weser läuft in seiner Rechnung überhaupt nicht mehr), bleibt immer noch ein Zuwachs von 52 cbm/s in den See. Der Reservestauraum der Wesertalsperre wäre somit nach ca. 27 Stunden vollgelaufen und dann mit besagten 92 cbm/sec übergelaufen, d.h. ca. Donnerstag im Laufe des Morgens.

Wenn die Talsperre einmal ihren maximalen Wasserstand erreicht hat, fließt zwangsläufig was hinten zufließt, vollständig über den Überlauf vorne ab. Man kann es dann nicht mehr kontrollieren!

Man sollte zu dieser Überlegung nicht vergessen, die Hill kann man nicht (so leicht) über die Talsperre kontrollieren. Sie führte meines Erachtens aber mindestens so viel Wasser wie die Weser, wenn nicht mehr. Das ist nicht nur einem Rückstau durch die Weser geschuldet. Es wäre in diesem Zusammenhang sicherlich hilfreich zu erfahren, ob der „Hill-Tunnel“ zur Talsperre hin geöffnet oder geschlossen war.

Ein Artikel zu diesem Thema vom Grenz-Echo am 16.04.2008 ist hilfreich, da er Hinweise zu außergewöhnlichen Zu- und Abflussmengen gibt:

„Wir haben hier schon ganz andere Wassermengen abgelassen“, meinte ein Mitarbeiter. Es habe in der Vergangenheit Tage gegeben, an denen zwischen 30 und 40 Kubikmeter/Sekunde die Treppen hinunter gedonnert seien. Das komme beispielsweise vor, wenn über dem Venn besonders heftige Gewitter niedergehen. Dann flössen manchmal bis zu 100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den See ein. Soweit das GrenzEcho.

Es wäre begrüßenswert, würden von Seiten der Talsperrenverwaltung sowie der Medien (GE) konkrete Zahlen recherchiert und veröffentlicht. (Ich glaube nicht, dass die „hohe Politik“ die richtigen Ansprechpartner für solche Fakten sind). Es könnte jeder sich sachlich korrekt informieren. Es würde Klarheit geschaffen und die jetzigen „Spekulationen“ in der einen wie in der anderen Richtung würden sich versachlichen und Raum geben für Lösungen für die Zukunft. Die werden wir mit Sicherheit brauchen! Wir wiegen uns selbst in einer trügerischen Sicherheit, wenn wir schlussfolgern: Es hat jemand einen „kolossalen Fehler“ gemacht! Das hieße nämlich: „Wenn wir das beim nächsten Mal nicht tun, gibt es eine Katastrophe in der jetzigen Größenordnung nicht...“ Das wäre ein „kolossaler Trugschluss“”! Man kann mit den jetzigen baulichen Gegebenheiten solche Wassermassen nicht kontrollieren! (Genannte Zahlen zur Talsperre sind aus öffentlich zugänglichen Quellen bzw. Artikeln, wie Wikipedia, KMI, GrenzEcho, usw. entnommen.)

Kommentare

  • Sehr gut recherchiert, Herr Müller.
    Laut infocrue.wallonie.be gingen auf Ternell (stellvertretend für das obere Weserbecken) am 13. Juli 45mm und am 14. Juli 143 mm Regen nieder. Insgesamt also knapp 80% des Fassungsvermögens der Talsperre. Man hätte während 2-3 Wochen präventiv Wasser ablassen müssen um ein Überlaufen zu vermeiden.
    Sicher war das Szenario spätestens am 12. Juli für diejenigen, die über die Flut-Warnungen verfügten, vorhersehbar. Aber mal ehrlich: hätte man ihnen geglaubt?

  • Danke, Herr Müller, Ihre Berechnung und Einschätzung auch an dieser Stelle zu veröffentlichen!

    Selbstverständlich ist es Aufgabe der Wallonischen Region solche Berechnungen auf der Grundlage objektiv prüfbarer Fakten zu veranlassen und zu erklären, ob die Katastrophe durch eine angepasste Vorgehensweise hätte verhindert oder gemildert werden und ob dadurch Menschenleben hätten gerettet werden. Eigentlich hätte dies schon geschehen sollen und es werden sich wohl auch Gerichte mit dieser Frage zu beschäftigen haben.

    Minister Henry hat die zuständigen Dienste beauftragt, die Zahlen und Fakten innerhalb von 24 Stunde vorzulegen.

    Dem GE und in erster Linie ihrem Chefredakteur geht es in diesen Tagen jedoch scheinbar nicht um eine ergebnisoffene Aufarbeiten der Geschehnisse, sondern um Spekulation, adhoc Anklage und Verurteilung. Und dies auf Basis eigener fehlerhafter Recherche, mangelndem Verständnis und falscher Beurteilung. (z.B.: die „Talsperre war gestern voll“ …)

    Glücklicherweise distanzieren sich selbst Betroffene von dieser Art der Berichterstattung und Hexenjagd.

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