Belgien verschärft Maßnahmen gegen Coronavirus: Cafés und Restaurants geschlossen, kein Schulunterricht

<p>Pressekonferenz der föderalen Regierungsspitze und der Ministerpräsidenten nach der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. (2.v.r.: MP Oliver Paasch).</p>
Pressekonferenz der föderalen Regierungsspitze und der Ministerpräsidenten nach der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. (2.v.r.: MP Oliver Paasch). | Foto: belga

Der Nationale Sicherheitsrat, dem die föderale Regierungsspitze, die Ministerpräsidenten der Teilstaaten und ein medizinisches Expertenteam angehören, tagte am Donnerstagabend zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen. Drastische Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus drängten sich auf, und die wurden auch verkündet. Es dauerte allerdings länger als erwartet (fünf Stunden), bis alle Beteiligten auf derselben Wellenlänge waren.

Beschlossen wurde letztendlich, dass für drei Wochen alle Unterrichte in belgischen Schulen ausgesetzt, alle Cafés, Diskotheken und Restaurants geschlossen werden. Die Maßnahmen treten in der Nacht zum Samstag, um Mitternacht, in Kraft und gelten bis zum 3. April, dem Beginn der zweiwöchigen Osterferien.

Ein wichtiger Unterschied: Der Unterricht ist ausgesetzt, aber die Schulen sind nicht geschlossen: Sie müssen einen Auffang und eine Betreuung für die Schüler organisieren. Dies gilt in erster Linie für Kinder, deren Eltern im Pflege- und Sicherheitssektor arbeiten, aber nicht nur für sie, wie DG-Ministerpräsident Oliver Paasch (ProDG) uns auf Nachfrage erläutert: „Den Eltern wird empfohlen, ihre Kinder ab kommenden Montag nicht zur Schule zu schicken; wer das aber trotzdem will, kann es. Für alle Schüler wird eine Betreuung organisiert.“ Kinderkrippen bleiben offen. „Es muss vermieden werden, dass die Großeltern sich um die Kinder kümmern müssen“, betonte Premierministerin Sophie Wilmès (MR).

Ältere Menschen sind gebeten, zu Hause zu bleiben und, falls nötig, ihre Einkäufe zu ruhigeren Tageszeiten zu erledigen.

Ferner werden für drei Wochen auch alle Freizeitaktivitäten, gleich welcher Art (Sport, Kultur, Folklore,..., privat oder öffentlich) und unabhängig von der Besucherzahl, ausgesetzt.

Nur Geschäfte, die wesentliche Dienstleistungen anbieten, bleiben sowohl an Werk- als auch an Wochentagen geöffnet: Das sind die Lebensmittelgeschäfte (Supermärkte), Apotheken und Tierfutterläden. Alle anderen Geschäfte dürfen nur unter der Woche öffnen und bleiben am Wochenende dicht.

Der öffentliche Verkehr bleibt aufrecht. Die Arbeitgeber sind gebeten, dem Personal so gut es geht die Möglichkeit der Telearbeit anzubieten und die Bürostunden möglichst zu streuen, damit nicht alle Arbeitnehmer gleichzeitig in den Bussen und Bahnen sitzen.

All diese drastischen Maßnahmen wurden auf Basis alarmierender Berichte von Experten des Gesundheitsinstituts Sciensano, der belgischen Robert-Koch-Stiftung, getroffen. Sie hatten den Regierungen aufgrund der aktuellen Ausbreitung des Virus deutlich gemacht, dass, wenn nicht sofort solche Einschnitte erfolgen, die die Ansammlung von Menschen verhindern, in zehn Tagen italienische Verhältnisse in Belgien herrschen und ein Lockdown unvermeidbar wäre.

Mit den neuen Maßnahmen wurde die sog. föderale Phase des Notplans eingeläutet. Das bedeutet: Alle neuen Entscheidungen werden auf föderaler Ebene getroffen und gelten für das gesamte Land; die Föderalregierung hat das Kommando, die lokalen Behörden haben die Beschlüsse auszuführen. Das schafft Deutlichkeit und Einheit in der Kommunikation, was bei den Empfehlungen des Sicherheitsrates von Dienstag, u.a. Indoorveranstaltungen mit mehr als 1.000 Besuchern abzusagen, nicht der Fall war: Die Gemeinden im Land setzten die Empfehlungen unterschiedlich um. Flanderns Ministerpräsident Jan Jambon (N-VA) und sein Parteichef Bart De Wever forderten deshalb auch einen nationalen Katastrophenplan, damit die Föderalregierung alle Maßnahmen ergreift und koordiniert.

Bei einer Plenardebatte am Donnerstag in der Kammer beklagten sich auch die Fraktionen über einen Mangel an Deutlichkeit, Koordination und einheitlicher Kommunikation bei den am Dienstag getroffenen Maßnahmen und forderten deshalb einen solchen föderalen Notfallplan. „Die Föderalregierung muss mit Zwangsmaßnahmen Sicherheit schaffen“, sagte beispielsweise Jan Briers (CD&V). „Jeder wird Verständnis für einen klaren Standpunkt zeigen, nämlich die Absage aller Veranstaltungen“, so der Ex-Provinzgouverneur von Ostflandern. „Die Menschen verstehen nicht, wenn eine Schule schließt, eine andere aber nicht", sagte SP.A.-Fraktionschefin Meryame Kitir.

Premierministerin Wilmès appellierte in der Kammer an die Bürger: „Wenn es eine Zeit gibt, in der wir unser Zusammengehörigkeitsgefühl und unsere Solidarität unter Beweis stellen und Verantwortung übernehmen müssen, dann ist es jetzt.“ Sie wiederholte die bekannten Ratschläge: „Waschen Sie Ihre Hände regelmäßig mit Wasser und Seife, halten Sie sozialen Abstand, begrüßen Sie sich ohne Körperkontakt, bleiben Sie zu Hause und rufen Sie den Arzt an, wenn Sie krank sind, und befolgen Sie bitte seine Anweisungen“, so die Premierministerin. „Es liegt in der Verantwortung eines jeden, die Verbreitung des Virus so weit wie möglich zu verhindern. Passen Sie auf sich selbst und andere auf“, empfahl die Premierministerin abschließend.

Finanzminister Alexander De Croo (Open VLD) informierte die Abgeordneten über die Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden, um die Unternehmen vor den allzu schwerwiegenden Folgen der Corona-Krise zu schützen. Seine Botschaft: „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, damit unsere Unternehmen nicht pleitegehen und die Menschen nicht unnötig ihren Arbeitsplatz verlieren.“ Er hat die Nationalbank beauftragt, eine „Kerngruppe“ einzurichten, die die wirtschaftlichen und finanziellen Schäden der Corona-Krise aufmerksam verfolgt und der Regierung konkrete Maßnahmen zur Abfederung der Folgen vorschlägt.

Inzwischen bieten auch schon private Unternehmen Coronavirus-Tests gegen eine Gebühr an, wie die PTB-Abgeordnete Sofie Merckx zu berichten wusste. Gesundheitsministerin Maggie De Block (Open VLD) appellierte an die Patienten, nicht zu zahlen. Der Coronavirus-Test sei kostenlos, wenn er laut Prozedur durchgeführt wird. Laut De Block werden in belgischen Labors mehr Corona-Tests als in jedem anderen europäischen Land durchgeführt.

Das Netzwerk des belgischen Referenzlabors hatte am Mittwoch 806 Proben analysiert: 85 davon wurden positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet: 66 in Flandern, drei in Brüssel, 16 in der Wallonie. Seit Beginn der Epidemie liegt die Gesamtzahl der Infektionen in Belgien nun bei 399. In einem Altenheimin Watermael-Boitsfort (Brüssel) wiesen zwölf Bewohner verdächtige Symptomen auf. Sie wurden ins Krankenhaus gebracht, zwei von ihnen befinden sich in einem kritischen Zustand. Zwei Corona-Infektionen wurden schließlich identifiziert. Das Wohn- und Pflegeheim, eines der größten der Hauptstadtregion, wurde unter Quarantäne gestellt. Erstmals wurde eine Infektion in einem Gefängnis (in Mons) identifiziert.

Alle frankofonen Universitäten haben inzwischen beschlossen, auf virtuelle Fernkurse umzuschalten. Immer mehr Krankenhäuser im Land schränken die Krankenbesuche ein. Die Kinos der Gruppe Kinepolis in Belgien bleiben bis 31. März dicht.

Die Luftfahrt erlebt derweil einen Albtraum. Die Fluggesellschaft Brussels Airlines sagt für März 35 % und für April fast die Hälfte ihrer Flüge ab. Gleichzeitig führt das Unternehmen ab dem 16. März Kurzarbeit (Reduzierung der Arbeitszeit um 20 bis 25 %) für seine gesamte Belegschaft (4.000 Personen) ein. Billigflieger Ryanair setzt sowohl in Zaventem als auch in Charleroi bis Ende Mai weniger Flugzeuge ein.

Der Einzelhandelsverband Comeos empfiehlt, Bargeldzahlungen in Geschäften und Supermärkten zu vermeiden. Die elektronische oder kontaktlose Zahlung garantiere die Abwesenheit von physischem Kontakt zwischen dem Kassierer und dem Kunden.

Besorgt über die Verbreitung des Coronavirus sind auch die Zugbegleiter der SNCB. Damit bestmöglich vermieden wird, dass sie sich infizieren, sind sie von der Gewerkschaft CGSP angehalten, das Kontrollieren von Tickets zu reduzieren.

Corona-Kollaps an den Börsen: Nach heftigen Verlusten am Montag ging es an den Märkten weiter bergab. Der BEL20 brach am Donnerstag um 14,21  % ein: um mehr als 400 auf 2.701 Punkte. Es war der größte Verlust in der fast 30-jährigen Geschichte des Brüsseler Aktienindexes, der seit dem 17. Februar mehr als 35 % verloren hat

Kommentare

  • Das sind die Lebensmittelgeschäfte (Supermärkte), Apotheken und Tierfutterläden. Alle anderen Geschäfte dürfen nur unter der Woche öffnen und bleiben am Wochenende dicht.

    Das sind aber auch Bäckerein, Metzgereien, usw. die öffnen dürfen und nicht nur Supermärkte!!
    Danke Grenz-Echo, das könnten ihr auch erwähnen anstatt nur (Supermärkte) zu schreiben!!!!!!!!

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