Der Premier ist beim König - Rücktritt oder Ausschluss der N-VA?

Ein bekanntes Fotomotiv bei einer Regierungskrise: Premierminister Charles Michel kommt am Königlichen Palais an, um das Staatsoberhaupt über den innenpolitischen Zustand zu informieren. Foto: belga | BELGA



„Ein Wort ist ein Wort. Darum werde ich Belgien bei der UN-Migrationskonferenz in Marrakesch vertreten. Die orange-blaue Regierung konzentriert sich auf Kontinuität, Verantwortung und Stabilität.“ Mit diesen Worten bei Twitter hatte sich Premierminister Charles Michel (MR) nach einem turbulenten politischen Abend in der Nacht zum Sonntag in seine Nachtruhe verabschiedet. Kein Wort  zunächst davon, zum König zu gehen und den Rücktritt seiner Regierung anzubieten.

Am Sonntagmorgen war es dann Vizepremierminister Reynders, der vor der Sitzung des Ministerrates den Journalisten mitteilte, dass der Premier vom König offiziell habe feststellen lassen, dass die N-VA-Minister nicht mehr Teil des Kabinetts sind. Der Premier habe damit „im Respekt für die konstitutionellen Prozesse gehandelt“, sagte Reynders.

Die Formulierungen sind dabei wichtig: Die eine Seite interpretiert die Handlung der N-VA als  Ultimatum mit der Konsequenz eines „Rücktritts“ aus der Regierung, die andere als „Ausschluss“ der N-VA-Minister aus dieser Regierung. Diese Frage ist vor dem Hintergrund der Frage interessant, wer nun letztlich für die politische Krise verantwortlich ist. Unter Umständen könnte das Staatsoberhaupt auch die N-VA-Minister abberufen, denn natürlich können deren Nachfolger nur ernannt werden, wenn diese nicht mehr im Amt sind.

Am Samstagabend hatte die N-VA eine Sondersitzung des Ministerrates nach kurzer Zeit verlassen. Bei einer eilends einberufenen Pressekonferenz erklärte deren Präsident Bart De Wever, dass man sich aus der Regierung gedrängt fühle. „Wenn der Premier nach Marrakesch reist, dann startet er als Premier einer Schweden-Koalition (CD-NV, Open VLD, MR und N-VA), aber er kehrt mit einer Marrakesch-Koalition zurück“, sagte er. Darunter versteht De Wever wohl eine Regierung ohne seine Partei, die aus dem Parlament bei der umstrittenen Abstimmung über den UN-Migrationspakt breite Unterstützung aus der Opposition erhalten hatte. Seine Worte wurden auch als letztes Ultimatum an die Adresse von Premierminister Michel gedeutet, dessen Abreise nach Marrakesch für Sonntag geplant ist.

Nach der Pressekonferenz der N-VA trat auch Charles Michel am späten Abend noch einmal vor die Presse und deutete an, dass seine Regierung ohne die flämischen Nationalisten weiter machen wolle. Im Juli und im September habe die Regierung Zustimmung signalisiert, sodass er selbst den Vereinten Nationen die Zustimmung Belgiens zum Migrationspakt Ende September zugesichert habe, so der Premier. Zu diesem Wort Belgiens stehe er, auch wenn de N-VA ihre Position jetzt verändert habe. Er gehe mit der Unterstützung der drei verbleibenden Regierungsparteien und des Parlaments nach Marrakesch, sagte er weiter.

Michel sagte, er stelle fest, dass die N-VA die Koalition verlassen habe und bedankte sich bei der N-VA für ihre „gigantische Arbeit in der Regierung während der letzten vier Jahre im Interesse Belgiens“. Michel deutete an, die drei Minister der N-VA durch zwei bisherige Staatssekretäre aus den anderen Parteien – Philippe De Backer (Open Vld) und  Pieter De Crem (CD&V) – ersetzen zu wollen und so – mit einer Minderheitsregierung – bis zum Wahltermin im Mai 2019 weitermachen zu wollen. Unmissverständlich sprach er von einer „orange-blauen Regierung“. Die drei verbleibenden Regierungsparteien müssten dann je nach Thema bei den Abstimmungen im Parlament durch andere Parteien unterstützt werden; in manchen sozio-ökonomischen Bereichen könnte diese Unterstützung durchaus auch weiter von der N-VA kommen, wie politische Beobachter analysierten.

Juristisch ist dieses Vorgehen aber nicht ganz einfach, denn die N-VA ist nicht formal aus der Regierung ausgetreten. Und solange deren Minister nicht ihren Rücktritt eingereicht haben oder von ihren Ämtern enthoben werden, kann Michel natürlich nicht deren Nachfolger ernennen.Auch gilt es, das sprachliche Gleichgewicht in der Regierung zu beachten.

Offiziell bleibt die Regierung also bisher im Amt – auf jeden Fall bis zum Antritt der Reise des Premiers nach Marrakesch. Der Ministerrat – ohne die N-VA – ist am Sonntagmorgen erneut zusammengetreten. Und der Premier kündigte politische Konsultationen nach seiner Rückkehr aus Marrakesch an.

Unterdessen gab es natürlich zahlreiche Reaktionen auf die aktuellen politischen Geschehnisse. Unter anderem sagte Elio Di Rupo im Namen der PS, der „Sturz der Regierung“ und das Ende der Schweden-Koalition bedeute für die Bürger die Chance auf einen neuen Sozialpakt. Mehrere Oppositionsparteien sprachen von „politischem Zirkus“ und zeigten sich nicht geneigt, eine orange-blaue Minderheitsregierung zu unterstützen. Auch wurde angesichts dieser Entwicklung eine Sondersitzung des Parlaments gefordert. Die drei verbleibenden Koalitionsparteien MR, Open VLD und CD-NV können in der Abgeordnetenkammer nur 52 von 150 Sitzen auf sich vereinigen.

Die inhaltliche Diskussion über den Umgang Belgiens – und besonders der N-VA – mit dem Thema Migration wurde ebenfalls in mehreren Stellungnahmen fortgesetzt. (belga/mako)

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