Bildung einer neuen Föderalregierung: Lange Reise durch die Wüste

Bei Redaktionsschluss lagen die definitiven Ergebnisse der Wahlen für die Abgeordnetenkammer noch nicht vor, vor allem in der Wallonie verzögerte sich die Auszählung der Stimmen. Fest stand: Flandern hat am Sonntag extremistisch (vor allem rechts, aber auch links) gewählt, während der frankofone Landesteil (Wallonie und Brüssel) von einer grünen Welle erfasst wurde.

Die extremistischen Parteien sind die großen Gewinner der Kammerwahl in Flandern: der rechtsradikale Vlaams Belang und die kommunistische Arbeiterpartei PVDA (PTB). Alle traditionellen Parteien (Christdemokraten, Liberale und Sozialisten) verlieren. Mit einem Plus von 14 Prozentpunkten bzw. 15 Sitzen ist der Belang der große Gewinner. Die Rechtsextremisten um Parteichef Tom Van Grieken, die auf ein zweistelliges Ergebnis gehofft hatten, kommen auf rund 20 % und werden mit voraussichtlich 18 Sitzen die zweitstärkste Kammerfraktion nach der N-VA. Das Rekordergebnis vom „Schwarzen Sonntag“ 2004, als jeder vierte Flame (24 %) für die Partei stimmte, wurde zwar nicht erreicht, aber die Rechtsradikalen feiern ein spektakuläres Comeback, nachdem sie bei den letzten Kammerwahlen vor fünf Jahren auf sechs Prozent abgestürzt waren. Beim ersten „Schwarzen Sonntag“ im Jahr 1991 hatte Vlaams Belang mit zehn Prozent den Durchbruch geschafft.

Die Kluft zwischen den beiden großen Sprachgemeinschaften im Land scheint unüberbrückbar.

Neben den Rechtsradikalen können in Flandern nur noch die Linksextremisten mit dem Ausgang dieser Wahl zufrieden sein. Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert wählt Flandern Kommunisten in die Kammer. Die marxistische PVDA schafft mit 6,7 Prozent die Fünfprozenthürde und ist erstmals in der niederländischen Sprachgruppe der Kammer (mit fünf Sitzen) vertreten, während ihr frankofones Pendant PTB sich spektakulär von zwei auf elf Sitze verbessert. Die einzige Oppositionspartei, die nicht gewinnt, ist die SP.A. Die flämischen Sozialisten verlieren drei Prozentpunkte und kommen auf gut 11 Prozent (9 Sitze, minus 4).

Der Vlaams Belang knöpfte fast allen Parteien Stimmen ab, vor allem aber der N-VA, die um fast fünf Prozentpunkte auf 27,8 % und 25 Sitze (minus 8) zurückfällt, aber stärkste politische Kraft des Landes bleibt. Größter Verlierer aber ist die CD&V, die 15 Prozent oder 13 Sitze erzielt, ein Verlust von 3,5 Prozentpunkten bzw. fünf Sitzen. Open VLD verliert ebenfalls: gut 14 Prozent (minus 1,4 %) oder 11 Sitze (minus 3). Groen surft nicht mit auf der grünen Welle, die Ecolo im frankofonen Landesteil ausgelöst hat: plus 1,6 % auf 10 Prozent (8 Sitze, plus 2).

Wenn es so läuft wie nach den Wahlen von 2014, werden zunächst die Regionalregierungen gebildet. Ironisch genug ist in Flandern die N-VA von Bart De Wever trotz ihres Verlustes unentbehrlicher als je zuvor. Solange der Cordon sanitaire um den Vlaams Belang (Ausschluss von jeglicher Regierungsbeteiligung) nicht gebrochen wird, wird es keine Alternative zu einer flämischen Regierung der Verlierer geben. Eine Verschiebung nach links ist keine Option.

In der Wallonie erleidet die PS Verluste, bleibt aber mit voraussichtlich 18 Sitzen (minus 5) stärkste frankofone Fraktion in der Kammer. Diese Klatsche wird auf der linken Seite durch Ecolo ausgeglichen. Die Grünen sind der große Gewinner mit 13 Sitzen (plus 7). Die MR schneidet besser ab, als die jüngsten Umfragen befürchten ließen: 15 Sitze (minus 5) und zweitstärkste Kraft. So dürfte auch in Namur relativ schnell eine Regierung gebildet werden: eine linke Achse, ergänzt durch die CDH, die auf Platz vier liegt (7 Sitze, minus 2). Die PS verliert auch Stimmen an die PTB, die auf elf Sitze (plus 9) kommt und die CDH überholt. In Brüssel lieferten sich Ecolo und PS ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Aber was bedeutet das für die Bildung der neuen Föderalregierung? Das ist die große Frage. Die Kluft zwischen den beiden großen Sprachgemeinschaften im Land scheint unüberbrückbar. Angenommen, der Vlaams Belang bleibt im Abseits, gibt es nicht viele Koalitionsmöglichkeiten. Ein Bündnis aus Sozialisten, Liberalen und Grünen wäre eine Option, aber die Mehrheit wäre knapp (zwischenzeitlich war sie am Sonntagabend sogar unmöglich). Ergänzt durch die Christdemokraten käme das Bündnis auf 89 Sitze. Eine zweite Möglichkeit wäre ein „Olivenbaum“ mit Christdemokraten, Sozialisten und Grünen, ergänzt durch PTB/PVDA. Eine solche Koalition hätte einen Sitz Überschuss. Eine Ergänzung durch die liberale Familie wäre auch möglich.

Schweden-Koalition aus N-VA, Open VLD, CD&V und MR ist tot und begraben.

Jede dieser Koalitionen würde aber auf große Einwände auf flämischer Seite stoßen. Sie sind nicht nur Monsterkoalitionen, sie haben keine Mehrheit auf der flämischen Seite und widersprechen dem allgemeinen (rechten) Trend in Flandern. Theoretisch möglich wäre, dass ein rechter Block auf der flämischen Seite - zum Beispiel N-VA, Open VLD und CD&V - mit einem linken französischsprachigen Block zusammenarbeitet, dessen Achse von PS und Ecolo gebildet würde. Bart De Wever hat deutlich zu verstehen gegeben, dass dies unweigerlich zu neuen Diskussionen über Staatsreform und Konföderalismus führen wird. Der N-VA-Chef schließt im Übrigen eine Föderalregierung ohne Mehrheit auf flämischer Seite aus.

Keine Option ist eine Fortsetzung der Schweden-Koalition aus N-VA, Open VLD, CD&V und MR. Die ist tot und begraben. Selbst mit CDH auf der französischsprachigen Seite fehlen einer solchen Allianz drei Sitze.

Unmöglich ist auch, Vlaams Belang mit ins Boot zu nehmen. Das würde keine französischsprachige Partei akzeptieren. Für die flämische Koalitionsbildung fordern die Rechtsextremisten einen Bruch des Cordon sanitaire. N-VA-Chef Bart De Wever wollte am Sonntag die Tür nicht zuschlagen.

Flandern wählte rechts und flämisch-nationalistisch (deutlicher als je zuvor), Wallonien und Brüssel links. Es ist fast schon Tradition, „aber nie lagen die Realitäten so weit auseinander“, wie De Wever sagte. Die Bildung einer neuen Föderalregierung wird nach der Wahl von diesem Sonntag noch schwieriger als in der Vergangenheit. Es wird eine lange Reise durch die Wüste erwartet.

Kommentare

Kommentar verfassen

0 Comment