Wenn Panzer sich im Blätterwald verirren

<p>Ein Panzer des Typs M1 Abrams der US Army fährt während einer multinationalen Übung auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels über eine Straße. Auch das Land USA will der Ukraine Kampfpanzer abgeben.</p>
Ein Panzer des Typs M1 Abrams der US Army fährt während einer multinationalen Übung auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels über eine Straße. Auch das Land USA will der Ukraine Kampfpanzer abgeben. | Foto: Nicolas Armer/dpa

Die Verniedlichung schwersten Kriegsgeräts spiegelt leider den Zeitgeist wider. Dabei rollen all die ins Spiel gebrachten Leopard-Panzer bislang nur durch den Blätterwald. Bis sie im Donbass der Ukraine helfen, sich gegen den russischen Aggressor zu wehren, werden Monate vergehen. Die US-amerikanischen Abram werden es womöglich überhaupt nicht bis an die Front im Donbass schaffen.

Zeitgenossen, die sich noch vor einem Jahr als Corona-Experten hervortaten, sind mittlerweile zu Panzer-Experten konvertiert. So wird am Stammtisch nicht mehr über die Trainerfrage bei der belgischen Fußballnationalmannschaft philosophiert. Thema sind vielmehr der horrende Spritverbrauch des US-amerikanischen Abram, das geringere Gewicht des Leopard 2 und die erhoffte Offensive der ukrainischen Truppen im Donbass.

Genau wie bei Fußballdiskussionen am Stammtisch, wo jeder der Beteiligten spätestens nach dem dritten Bier das Zeug zum Nationaltrainer in sich entdeckt, haben alle jetzt im Geiste bereits die olivgrünen Klamotten vom Militärdienst in Vielsalm oder in Spich übergestreift. Dabei vergessend, dass sie längst Größe 48 entwachsen sind. Nach dem fünften Glas ist jeder promovierter Militärexperte. Vergessen ist längst in der bierseligen Runde, dass Panzer schwerstes Kriegsgerät sind, das Menschen tötet und ein ganzes Haus auf einmal wegblasen kann.

Längst gibt es den unsäglichen Krieg in der Ukraine in zwei Versionen. Da wäre zum einen die bittere Realität, in der sich an der rund 1.300 Kilometer langen Front – das ist ungefähr die Länge des mächtigen Alpenbogens – im Süden und Südosten der Ukraine Soldaten auf beiden Seiten nahezu ohne Geländegewinne seit Wochen gegenüberstehen und noch bis in den April oder Mai hinein gegenüberstehen werden. Und wo die nicht einmal 50 schweren Panzer, die vom Westen in einer ersten Phase geliefert werden, bestenfalls für einen lokalen Durchbruch der tapferen und hochmotivierten ukrainischen Truppen reichen würden. Und da wäre zum anderen der Krieg für Volkes Ohr in Talkrunden und Abendnachrichten, der leider längst den Kampf um die Oberhand in der medialen Vorherrschaft gewonnen hat.

In diesem Krieg der Schlagzeilen und Schreihälse hat man den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz von Washington über Berlin, Paris und London wie die sprichwörtliche Sau durch das globale Dorf getrieben, ihm Zaudern und Zögern, mangelhaftes Strategieverständnis und miserable Kommunikationsfähigkeiten vorgeworfen. Nun steht allen Unkenrufen zum Trotz die von ihm gebetsmühlenartig geforderte Panzerkoalition. Zwar wird der Westen bei Weitem die 300 Panzer nicht zusammenbringen, die Militärexperten zufolge notwendig wären, um eine echte Veränderung in dem festgefahrenen Konflikt zugunsten der Ukraine herbeizuführen. Trotzdem hat es Scholz mit seiner Sturheit geschafft, auch die US-Amerikaner ins gemeinsame westliche Boot zu holen. Er hat genau das gemacht, was in dieser gefährlichen Situation das einzig Richtige war und ist: in stiller, hartnäckiger Diplomatie ein schwieriges Thema nach vorn gebracht, während andere vor jedem noch so belanglosen Mikrofon verbales Opium an das geifernde Volk verteilt haben.

Nein, dieser Krieg wird ganz sicher nicht an den Stammtischen entschieden. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht an der Front. Und er wird nicht mit einem Sieg und einer Niederlage, sondern mit einem Kompromiss enden. Wer genau hingehört hat, als der ukrainische Präsident Wolodymir Selenskyj seinen Amtskollegen in Washington besuchte, sollte registriert haben, dass US-Präsident Joe Biden in seiner Ansprache nicht einmal das Wort Sieg erwähnt hat. In der Diplomatie sind nicht selten die nicht ausgesprochenen Worte mindestens so wichtig wie die ausgesprochenen. Auch wenn im Moment kaum einer von Waffenstillstand und anschließenden Friedensverhandlungen spricht – in führenden Köpfen nimmt das Denkmodell bereits Form an: Ein bereits im März 2022 spruchreif ausgehandelter Text könnte die Grundlage sein. Statt lautstark nach noch mehr Waffen zu schreien, sollte man ihm eine ehrliche Chance geben.

An dieser Stelle kommentiert der ehemalige GE-Chefredakteur Oswald Schröder das aktuelle Zeitgeschehen.

Kommentare

  • Wer noch vor Jahresfrist den massiven Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze als “Hilferuf” (!) Putins verstanden wissen wollte, sollte sich besser nicht über den Stammtischen verorten. Er sitzt im gepflegten Hofbräuhaus oder der “Noble Bar” möglicherweise selbst daran, um das ferne Ostbelgien mit seinen tiefsinnigen wöchentlichen Einsichten zu beglücken.
    Die von einem ehemaligen Chefredakteur verbreitete Meinung ist weder mehr Wert noch fundierter, als die interessierter Normalbürger, wo auch immer sie diese äußern.

    Einen Vorschlag, wie, außer mit Waffen und Panzern, die Ukraine sich gegen den russischen Aggressor verteidigen soll oder wie man einen zu allem bereiten Despoten an den Verhandlungstisch bringt, der als Bedingung dafür die Anerkennung der völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Gebiete (immerhin fast 20% der Ukraine) stellt, hat auch der beredte Kampagnen-Journalist erneut nicht auf Lager.

    Die Chefredakteurin von “Le Soir” erinnerte heute an das Jahr 1938, als man, um den Frieden in Europa nicht zu gefährden, Hitler die Grenzgebiete der Tscheslowakei zugestand. Was dieses Zugeständnis und die Appeasement-Politik westlicher Staaten gegenüber einem Diktator genützt hat, muss man nicht weiter erörtern.

    Die Lieferung von modernen Waffensystemen ist für die Menschen in der Ukraine - und möglicherweise für Europa - zum jetzigen Zeitpunkt dieses barbarischen Krieges eine Freiheits- und Überlebensfrage. Und bei der aktuellen Kriegssituation gibt es für Verhandlungen mit Putin nach überwiegenden Meinung von wirklichen… Experten jenseits des journalistischen Feuilletons leider einfach keine Basis.

    Wer mit verklärtem und selbstverliebten Seitenblick in den Spiegel und ohne ein Mindestmaß an notwendiger journalistischer Objektivität auf eine Pandemie, eine Hochwasserkatastrophe und einen Krieg schaut und jahrelang das Meinungsmonopol für sich beanspruchte, sollte anderen nicht weiter ihre Meinung und deren Äußerung absprechen. Auch eine Stippvisite am Luxemburger Hof geben dafür keine Legitimation.

  • Erst zum Ende seines langen Artikels kommt Herr Schröder nach vielem Beiwerk auf die Kernpunkte, die da wären:

    „Nun steht allen Unkenrufen zum Trotz die von ihm gebetsmühlenartig geforderte Panzerkoalition.“[…] Trotzdem hat es Scholz mit seiner Sturheit geschafft, auch die US-Amerikaner ins gemeinsame westliche Boot zu holen. Er hat genau das gemacht, was in dieser gefährlichen Situation das einzig Richtige war und ist: in stiller, hartnäckiger Diplomatie ein schwieriges Thema nach vorn gebracht,[…]“

    Schröder lobt also ausdrücklich den Bundeskanzler, das „einzig Richtige“ getan zu haben, indem er mit seiner sprichwörtlichen norddeutschen Sturheit die Amerikaner davon überzeugt hätte, sich an den Panzerlieferungen zu beteiligen.
    (Wobei Schröder allerdings unterschlägt, dass es der wachsende Druck der Alliierten, besonders der Osteuropäer war, die ihn eher wie einen Getriebenen als einen beharrlichen Treiber erscheinen ließen. Aber sei’s drum.)

    „Nein, dieser Krieg wird ganz sicher nicht an den Stammtischen entschieden. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht an der Front.“

    Woher hat Herr Schröder diese Gewissheit?
    Da seiner Meinung nach die zukünftigen realen oder hypothetischen (Abrams), in jedem Falle unzureichenden Panzerlieferungen nicht kriegsentscheidend sein werden, sprich zum Sieg der Ukraine führen werden, ist es wirklich undenkbar, dass eine Frühjahrsoffensive der Russen ihrerseits erfolgreich sein und den Krieg entscheiden wird?

    Zusatzfrage: Wenn die Panzerlieferungen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nichts bewirken werden, wieso lobt Herr Schröder sie denn als das „einzig Richtige“?
    Diesen Widerspruch sollte er doch mal erklären.

    „Auch wenn im Moment kaum einer von Waffenstillstand und anschließenden Friedensverhandlungen spricht – in führenden Köpfen nimmt das Denkmodell bereits Form an: Ein bereits im März 2022 spruchreif ausgehandelter Text könnte die Grundlage sein. Statt lautstark nach noch mehr Waffen zu schreien, sollte man ihm eine ehrliche Chance geben.“

    In welchen Köpfen? In denen von Putin und seinen Spießgesellen?
    Wo gibt es Anzeichen dafür? Hat Herr Schröder Einblick in die Pläne der Russen?
    Wo kann man den „spruchreifen“, also wohl unterschriftsreifen Text vom März 2022 finden, der angeblich ausgehandelt wurde, mitten in der russischen Offensive auf Kiew vom 24.02.2022?

    Die Russen als Aggressor setzen dem Angegriffenen das Messer an die Kehle, und Herr Schröder verlangt, man solle dem vom Angreifer formulierten Diktat eine „ehrliche Chance“ geben?
    Und verlangt zudem, diejenigen, die dem Bedrängten zu Hilfe kommen, sollten sich gefälligst heraushalten, um den Angreifer nur ja nicht zu „demütigen“ (So Herr Schröder in einem früheren Kommentar).

    Interessant, wie Henry Kissinger die Dinge sieht: „Weltwirtschaftsforum: Wie Henry Kissinger den Krieg in der Ukraine beenden würde“
    So, wie er den Vietnamkrieg beendet hat?
    (Süddeutsche 17.01.2023)

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