„Demonstration der Stärke“ in Brüssel - Gewerkschaften erwarten 70.000 Teilnehmer

<p>Schon im September gab es in Brüssel eine Protestkundgebung gegen die „mickrige“ Lohnmarge von 0,4 %.</p>
Schon im September gab es in Brüssel eine Protestkundgebung gegen die „mickrige“ Lohnmarge von 0,4 %. | Foto: belga

Der Stein des Anstoßes für die Demonstration ist das Gesetz aus dem Jahr 1996, das den Rahmen für die Lohnentwicklung in Belgien bildet. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Löhne in akzeptablen Margen zu halten, um die Rentabilität bzw. Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Unternehmen im Vergleich zu denen in den Nachbarländern nicht zu gefährden. So ist im aktuellen Manteltarifvertrag, der zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften ausgehandelt wurde, die maximale Erhöhung der Löhne in der Privatwirtschaft für den Zeitraum 2021-2022 auf 0,4 % (ohne Indexierung) festgelegt. Für die Gewerkschaften hat diese Regel ausgedient. Sie würden sie gerne vor den nächsten Verhandlungen über ein Manteltarifabkommen 2023-2024 kippen, bei denen eine noch geringere maximale Marge befürchten.

„Jeder muss von seiner Arbeit leben können“, merkt Marie-Hélène Ska, Generalsekretärin der CSC, an. Vor allem, da es in einigen Sektoren an Arbeitskräften mangele. „Das Gesetz von 1996 hindert uns daran, zu verhandeln, und zwingt uns, bei den Friseuren mit der gleichen Marge zu rechnen wie bei Pfizer“, fasst FGTB-Präsident Thierry Bodson zusammen. „Die Regelung kann so nicht mehr angewendet werden“, schließt sich Olivier Valentin, Nationalsekretär der liberalen Gewerkschaft CGSLB, an. „Wir wollen unsere Verhandlungsfreiheit zurück.“ Diese Verhandlungsfreiheit sei vor dem Hintergrund der aktuellen Preisexplosion umso wichtiger. Die Nationalbank schätzt, dass die Inflation in Belgien im Jahr 2022 auf über acht Prozent steigen wird.

Die Gewerkschaften räumen ein, dass die Arbeitnehmer in Belgien im Gegensatz zu denen in den Nachbarländern von der automatischen Lohnindexierung profitieren, die die Löhne an die Lebenshaltungskosten anpasst. Aber „die Indexierung reicht nicht mehr aus“. „Man muss wissen, dass die Inflation in Belgien höher ist, vor allem weil die Energiekosten höher sind“, stellt Ska fest. „Es wird immer der Eindruck erweckt, dass Belgien einen Vorteil gegenüber anderen Ländern habe. Aber in Wirklichkeit, wenn man einen längeren Zeitraum berücksichtigt, gibt es einen Aufholprozess der Nachbarländer", fügt Bodson hinzu. „Und man darf auch nicht vergessen, dass die Kraftstoffpreise nicht in den Index einfließen.“

Am Montag brachte der flämische Arbeitgeberverband Voka die Idee vor, die automatische Indexierung auf fünf Prozent zu begrenzen – mit anderen Worten ein Indexsprung –, um den Wettbewerbsverlust für die Unternehmen zu begrenzen. Als Ausgleich schlugen sie eine einmalige Nettoprämie von 500 Euro vor. Dieser „erneute Angriff auf das System der automatischen Lohnindexierung“ kam bei den Gewerkschaften sehr schlecht an. „Wenn sie den Krieg wollen, dann bekommen sie ihn“, reagierte die CSC. „Wir befinden uns in einer Wirtschaft, in der die Löhne 20 % der Produktionskosten ausmachen“, meinte Thierry Bodson. „Wenn die Arbeitgeber vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit warnen, sollten wir das nicht vergessen.“

Über die Lohnverhandlungen hinaus erstrecken sich die Forderungen der drei großen Gewerkschaften auch auf die Kaufkraft im Allgemeinen. Die Arbeitnehmervertreter wollen, dass die Regierung die Energiepreise in den Griff bekommt, und sie fordern, dass der Arbeitgeberanteil an den Fahrtkosten erhöht wird. Sie wollen auch, dass die Verhandlungen über das vorgesehene Budget der Regierung zur Erhöhung der Sozialleistungen vom Manteltarifvertrag losgekoppelt werden.

Eine weitere Gelegenheit, um zu überzeugen, haben sie am 29. Juni im föderalen Parlament, wo sie angehört werden, nachdem sie 87.390 Unterschriften für „freie und solidarische Verhandlungen über die Bruttolöhne“ gesammelt haben. „Wenn die Mobilisierung gut ist, dann weil in den letzten sechs Monaten das Spektrum der Arbeitnehmer, die sich von der Kaufkraft angesprochen fühlen, stark gewachsen ist“, schätzt Thierry Bodson.

Die nationale Kundgebung am Montag ist die erste Großdemonstration seit der Coronakrise. Alle Wirtschaftszweige könnten betroffen sein, unabhängig davon, ob sie dem privaten oder dem öffentlichen Sektor angehören. Eine ähnliche Aktion war im September 2021 während der Gesundheitskrise organisiert worden und hatte nach Angaben der Polizei 7.000 und nach Angaben der Gewerkschaften 15.000 Menschen zusammengebracht. Von der SNCB wurden für Montag acht Sonderzüge gechartert. Der öffentliche Nahverkehr in Brüssel könnte stark beeinträchtigt werden. (belga/gz)

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