Putin entscheidet Machtkampf für sich - Keine Spur von Prigoschin

<p>Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, landete am Freitag, 26. Mai, mit einem Hubschrauber auf einem Hubschrauberlandeplatz im Zentrum von St. Petersburg.</p>
Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, landete am Freitag, 26. Mai, mit einem Hubschrauber auf einem Hubschrauberlandeplatz im Zentrum von St. Petersburg. | Foto: AP/dpa

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die bislang größte interne Herausforderung in bald einem Vierteljahrhundert an der Macht überstanden. Der Chef der berüchtigten Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, brach am Samstagabend nach etwa 24 Stunden einen Marsch seiner Truppen auf Moskau überraschend wieder ab – etwa 200 Kilometer vor der Hauptstadt. Im Gegenzug verkündete der Kreml, dass Prigoschin und seine gesamte Truppe trotz des gewaltsamen Aufstands straffrei ausgehen werde. Zuvor hatte Putin mit Blick auf seinen Ex-Vertrauten noch von „Verrat“ gesprochen.

Prigoschin selbst soll nun weg aus Russland und sich im Nachbarland Belarus niederlassen. Von dem 62-Jährigen, der Moskau über Wochen hinweg mit Kritik am Ukraine-Krieg gereizt hatte, war am Sonntag allerdings überhaupt nichts mehr zu hören und zu sehen. Trotz des Erfolgs im Machtkampf sehen viele Experten Putin (70) geschwächt. Der Westen verfolgte das Geschehen in Russland genau, hielt sich mit Stellungnahmen aber auffallend zurück.

Unklar ist, wie sich die neue Lage in Russland auf den inzwischen schon mehr als 16 Monate dauernden Krieg in der Ukraine auswirken wird. Dort gab es auch am Wochenende wieder Tote und Verletzte. Die Wagner-Söldnern gehörten im Ukraine-Krieg bislang zu Russlands wichtigsten Truppen. Kiew hofft darauf, dass die eingeleitete Gegenoffensiver nun besser vorankommt.

<p>Kämpfer sitzen in Rostow am Don in einem Panzer mit einer Flagge der Wagner-Gruppe, während sie einen Bereich am Hauptquartier des südlichen Militärbezirks bewachen.</p>
Kämpfer sitzen in Rostow am Don in einem Panzer mit einer Flagge der Wagner-Gruppe, während sie einen Bereich am Hauptquartier des südlichen Militärbezirks bewachen. | Foto: AP/dpa

Das plötzliche Ende der Revolte am Samstagabend kam nach einem Tag mit vielen Gerüchten sehr überraschend. Kremlsprecher Dmitri Peskow versprach, dass die aufständischen Wagner-Kämpfer angesichts ihrer Verdienste an der Front nicht strafrechtlich verfolgt würden. Zuvor hatte nach offizieller Darstellung der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Prigoschin zum Aufgeben gebracht.

In Videos war zu sehen, wie der Söldnerchef am Samstag in einem schwarzen SUV das Zentrum der Stadt Rostow am Don verlässt. In der Millionenstadt hatte der Aufstand am Freitagabend begonnen. Nähere Informationen, wo er sich dann aufhielt, gab es zunächst nicht. Nach Berichten unabhängiger russischer Medien erklärte die Wagner-Pressestelle, keinen Kontakt zu haben. Der russischsprachige Sender RTVi erhielt die Auskunft: „Er lässt alle grüßen und wird auf Fragen antworten, wenn er wieder normalen Empfang hat.“

Der Einigung zwischen Söldnerchef und Kreml waren aufsehenerregende 24 Stunden vorangegangen. Prigoschin und seine Söldner hielten ganz Russland in Atem. Es gab auch Sorgen vor einem Bürgerkrieg. Anlass für den Aufstand war Prigoschin zufolge, dass ein Wagner-Lager im Hinterland mit Raketen, Hubschraubern und Artillerie angegriffen worden sei. Dabei seien viele Söldner getötet worden. Den Befehl dafür habe Verteidigungsminister Sergej Schoigu gegeben, behauptete Prigoschin. Das Verteidigungsministerium bestritt dies vehement.

Prigoschin erklärte in einer Sprachnachricht, er habe 25.000 Männer unter Kommando. Wer Widerstand leiste, werde sofort getötet. Der Inlandsgeheimdienst FSB leitete daraufhin Ermittlungen ein und rief die Söldner auf, ihren Anführer festzusetzen. Binnen weniger Stunden überquerte Prigoschin erst die Grenze nach Russland und nahm dann die wichtigsten militärischen Einrichtungen der südlichen Stadt Rostow am Don ein. Dort befindet sich auch das Militärhauptquartier für die Region Süd - eine Kommandozentrale für den Krieg gegen die Ukraine.

Weitere Kolonnen seiner Kämpfer machten sich auf den Weg nach Moskau und lieferten sich in der Region Woronesch Kämpfe mit Sicherheitskräften. In der Hauptstadt wurden eilig Straßen aufgerissen, Sandsäcke gestapelt, Kontrollpunkte errichtet und der Anti-Terror-Notstand ausgerufen. Putin sprach in einer TV-Ansprache von einem „Stoß in den Rücken“ und rief die Wagner-Truppe auf, sich zu ergeben. Daraufhin hielt Prigoschin dem Kremlchef vor, die Lage völlig falsch einzuschätzen. Über seine aufständische Truppe sagte er: „Wir sind Patrioten unserer Heimat.“

Ebenso überraschend wie der Ausbruch der Krise beorderte der Söldnerchef seine Truppen dann wieder zurück. Offiziell begründete er das damit, „Blutvergießen“ verhindern zu wollen. Möglicherweise erkannte er auch, dass seine Erfolgsaussichten gering waren. Putin konnte sich Beobachtern zufolge schlussendlich relativ rasch durchsetzen. Es habe auch keine Absetzbewegungen wichtiger Persönlichkeiten aus der Politik oder dem Militär gegeben, hieß es. Als große Schwäche wird dem Kremlchef allerdings ausgelegt, dass es überhaupt zu einem solchen Aufstand kommen konnte.

Westliche Politiker hielten sich auffallend zurück. In den meisten Erklärungen hieß es lediglich, man beobachte die Situation. US-Außenminister Antony Blinken sagte am Sonntag, der Aufstand werfe „eindeutig neue Fragen auf, mit denen Putin umgehen“ müsse. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nutzte die Gelegenheit, um die Russen auf Russisch zum Sturz ihres Staatsoberhauptes aufzurufen. „Je länger dieser Mensch im Kreml ist, desto größer wird die Katastrophe“, sagte er.

<p>Dieses von Ostorozhno Novosti via AP veröffentlichte Foto zeigt bewaffnete Personen in Uniform, die eine Straße in Rostow am Donblockieren.</p>
Dieses von Ostorozhno Novosti via AP veröffentlichte Foto zeigt bewaffnete Personen in Uniform, die eine Straße in Rostow am Donblockieren.

US-Medienberichten zufolge gab es bereits seit längerem Hinweise auf einen Aufstand. Der „Washington Post“ zufolge erhielten die US-Geheimdienste Mitte Juni Informationen, dass Prigoschin eine bewaffnete Aktion gegen die Militärführung plane. Darüber sei auch das Weiße Haus informiert worden, hieß es unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen. Der „New York Times“ zufolge unterrichtete der US-Geheimdienst am Mittwoch hochrangige Militärs darüber, dass Prigoschin militärische Maßnahmen gegen die eigene Führung vorbereite.

Weitgehend unklar blieb das Ausmaß der Kämpfe im Zuge des Aufstands. Nach Angaben prorussischer Militärblogs kamen mehrere Piloten der russischen Luftwaffe ums Leben. Die Angaben zur Zahl der Todesopfer schwankten zwischen 13 und mehr als 20 Soldaten, wie das unabhängige Internetportal currenttime berichtete. Insgesamt seien von Wagner sechs Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug abgeschossen worden. Von den russischen Behörden gab es dafür keine Bestätigung.

Nach Einschätzung des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) aus Washington hat der Aufstand massive Schwächen des russischen Sicherheitssystems aufgedeckt. Dies könne die Moral der russischen Soldaten an der Front schwächen, hieß es. Nach Einschätzung des ISW hätten die Wagner-Söldner bei ihrem Vorstoß die Vororte von Moskau erreichen können, wenn Prigoschin dies gewollt hätte.

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