„Das Ziel: eine gewaltfreie Fußballkultur“

<p>Polizisten am 27. November in Brüssel nach der WM-Partie zwischen Belgien und Marokko.</p>
Polizisten am 27. November in Brüssel nach der WM-Partie zwischen Belgien und Marokko. | Foto: AFP

„Das Ziel: eine gewaltfreie Fußballkultur“ lautet der Titel des Beitrages von Stefanie Dens, Artemis Kubala und Yasmina Fadli.

Hier der Gastkommentar: Es überrascht nicht, dass der rechtsextreme Vlaams Belang nach den Krawallen in Brüssel von einem „Marokkanerproblem“ redete. Doch auch die Sozialdemokraten von Vooruit positionieren sich jetzt offen gegen „Ausländergruppen“, während die christdemokratische CD&V von „Jugendlichen, die unsere Kultur nicht teilen“ spricht. Mit solchen Schlagzeilen und kriegsähnlichen Bildern aus den Straßen Brüssels verstärkt die Presse eine von der Politik entfachte Polarisierung. In Bild und Sprache werden wir unserer vielfältigen Gesellschaft nicht gerecht.

Anlässlich der Krawalle nach dem Sieg der marokkanischen Fußballmannschaft im WM-Spiel gegen Belgien erschienen zahlreiche Beiträge in den Medien. Politische Propagandisten scheuten nicht davor zurück, ihre kurzfristigen Stellungnahmen bis hin zu fundamentaleren Positionen scharf zu formulieren. Bei der Sichtung der Aufmacher verschiedener Nachrichten-Apps stellt sich die Frage, ob wir uns bewusst sind, wie solche politischen Aussagen unser Bild der Gesellschaft buchstäblich färben. Wir sprechen doch auch nicht von „einheimischen Gruppen“ oder von einem „Belgierproblem“, wenn Fans bekannter belgischer Fußballvereine das Stadion anzünden? Es ist erstaunlich, dass wir in einer Zeit, in der über ein Drittel der Belgier internationale Wurzeln hat, Gruppen immer noch auf Grundlage ihrer ethnischen Herkunft ins Visier zu nehmen. Wie viele Generationen sind denn noch nötig, bevor unser öffentlicher und politischer Sprachgebrauch die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegelt und respektiert?

Überdies kann die Brüsseler Krawalldebatte nicht nur an ethnischer Herkunft oder Kulturdifferenzen aufgehängt werden. Führt man sich vor Augen, was sich bei einem beliebigen Fußballspiel zwischen Antwerpen, Anderlecht, Club Brugge oder Beerschot abspielt, so muss jeder Fußballlaie zu dem Schluss kommen, dass Randale und Krawalle ein typisches Fußballphänomen sind. Diese Kultur haben die jugendlichen Krawallmacher aus Brüssel und Antwerpen sehr wohl „mit uns“ gemein. Wenn wir wollen, dass die Ausschreitungen ein Ende haben, sollten wir nicht nur unseren Sprachgebrauch in den Medien unter die Lupe nehmen, sondern auch auf eine gewaltfreie Fußballkultur setzen, die die Ursachen des „Belgierproblems“ bekämpft.

Um das Ziel einer gewaltfreien Fußballkultur umzusetzen, sollte man an der Basis beginnen. Zunächst sollte im direkten Sozial- und Wohnumfeld, zu dem neben Familie und Freunden auch der Fußballverein gehört, grundlose Gewalt adressiert werden, und zwar unmittelbar nach Spielende. Die beeindruckenden Menschenketten in Brüssel und Antwerpen, die ältere Menschen bildeten und damit weitere Konfrontationen zwischen Jugendlichen und der Polizei verhinderten, waren in diesem Zusammenhang ein beeindruckendes Beispiel für zielführende Zivilcourage.

Zweifellos ist bei schweren Verstößen auch der Rechtsweg zu beschreiten. Jedoch anonymisieren und individualisieren nachträgliche Stadionverbote mitunter auch gewaltsame Verhaltensweisen. Es droht ein Gefühl der Straffreiheit und der Unbesiegbarkeit aufzukommen, denn schließlich ist das Stadion oft weiterhin durch zahlreiche Schlupflöcher zugänglich.

Vor Kurzem wurde der Aktionsplan „Samen voor veilig voetbal“ (Gemeinsam für sicheren Fußball) unter der Federführung des belgischen Fußballverbands, der Fußballvereine, des Föderalen Öffentlichen Dienstes (des Föderalministeriums, A.d.R.) und der Polizei ins Leben gerufen. Leider bilden Sanktionen und Ordnungsmaßnahmen den Kern dieses Plans und schon jetzt steht dessen Wirksamkeit in Frage. Ein starker Fokus auf Jugendsozialarbeit und Streetwork sollte integraler Bestandteil eines derartigen Aktionsplans sein. Dort, wo der rechtliche Rahmen der Realität hinterherhinkt, kann gerade dies zum Wandel beitragen.

In den Straßen von Brüssel und Antwerpen, aber auch in der Berichterstattung ist so einiges schiefgegangen. Wir sollten die Nachspielzeit nutzen, um Verbesserungen herbeizuführen. Inklusion zu stärken und Polarisierung entgegenzuwirken wird in der Welt des Fußballs und der Gesellschaft nur dann gelingen, wenn wir Gewalt (im Fußball) thematisieren, mit gebündelten Kräften einen echten Aktionsplan für sicheren Fußball aufstellen und die Verwendung einer bewussteren Sprache in den Print- und digitalen Medien vorantreiben. Alle zusammen also, auf sportliche Weise, wie ein echter zwölfter Mann.


Stefanie Dens ist Ingenieurin/Architektin und Stadtplanerin sowie Mitglied der Freitagsgruppe.

Artemis Kubala ist Juristin, Network Designer, Innovationsexpertin bei Blenders und Co-Vorsitzende von LEVL, dem Inklusionspartner für Flandern und Brüssel.

Yasmina Fadli ist Business & Sales Strategist, Growth Architect, Keynote Speaker und Vorstandsmitglied von LEVL.

Kommentare

  • Vielleicht sollten wir endlich damit anfangen im Zusammenhang mit Krawallen nicht von Fußballfans zu reden. Das sind in der Regel Jugendliche die ihren Frust austoben und das mit Vandalismus und sinnloser Zerstörung.
    Bei politisch motivierten Krawallen, die mindestens genauso häufig vorkommen, reden wir ja auch nicht von Fans des Ministerpräsidenten oder seiner Partei.
    Es ist mittlerweile ein gesellschaftliches Problem. Es hat sich so viel Frust aufgestaut das der sich Bahn bricht, es braucht nur einen Auslöser.
    Bei den Coronakrawallen in Deutschland sind die Randalierer aus ganz Europa angereist.
    Der größte Teil der Festgenommenen im hamburger Schanzenviertel waren "Randaletouristen". Menschen die kilometerweit fahren um ihren Frust auszutoben. Da kam auch keiner auf die Idee das mit der Freude am HSV zu begründen.

  • " so muss jeder Fußballlaie zu dem Schluss kommen, dass Randale und Krawalle ein typisches Fußballphänomen sind"
    Sie sind es, leider, mal mehr mal weniger ausgeprägt.
    Wer schon mal bei Kinder- und Jugendmannschaften am Spielfeldrand stand, weiß, wie selbst dort die Gemüter der Zuschauer sich erhitzen.
    Weshalb sonst muss es da schon Richtlinien für das Verhalten von Eltern bei Jugendspielen geben?
    "Verbale oder gar körperliche Aggressionen gegen gegnerische Spieler, Betreuer oder
    Zuschauer tolerieren wir nicht."

    Es ist auch manchmal gut, ein gesellschaftliches Phänomen wie den Fußballsport und seine Randerscheinungen aus einer historischen Perspektive zu betrachten:
    Fußball und Ausschreitungen sind überall untrennbar miteinander verbunden, seit diese Sportart "populär" wurde.

    "Fußballkrawalle der zwanziger Jahre: Der Fanatismus war unberechenbar"
    Fans schlugen auf Spieler ein, Club-Funktionäre prügelten mit: In den Zwanzigern eskalierten Fußballspiele in Deutschland regelmäßig. Der Historiker Rudolf Oswald erklärt, weshalb Gewalt und der Sport seit damals untrennbar verbunden sind - und wie Mannheim wegen Sepp Herberger zur Krawall-Hochburg wurde."

    Das Fazit des Interviewten klingt nicht sehr optimistisch:
    "So lange Fantum zwangsläufig starke Identifikation mit einem Verein bedeutet, wird sich das Phänomen der Gewalt wohl nicht aus dem Fußball verbannen lassen. Ich denke, das ist ein aussichtsloses Unterfangen."

    Das ganze Interview vom 12.10.2012 kann auf SPON nachgelesen werden.

    Man wird der Sache ganz sicher nicht gerecht, wenn man die Krawalle in Brüssel, wie schon geschehen, zum Anlass nimmt, "Ausländer raus" zu fordern.

  • Dieser Artikel und auch Ihr Kommentar, Herr Schleck, zeigen, dass man sich auch differenziert und ohne Schaum vor dem Mund mit der Gewaltbereitschaft in und außerhalb der Fußballstadien auseinandersetzen kann. Danke dafür!

    Ohne gleich „Ausländer“ raus zu schreien und dieses Phänomen allein schlecht integrierten „Einwanderern“ zuordnen zu wollen (in welcher Generation auch immer), muss unabhängig von den Ausschreitung im Zusammenhang mit der WM bzw. Dem Fußball dennoch auch eine Hinterfragung der gesteigerten Gewaltbereitschaft unter nordafrikanischen jungen Männern - auf die in diesem Kontext hingewiesen wurde - möglich sein.

    Ein komplexes Thema, bei dem Integration, kulturelle vor allem aber sozio-ökonomische Gründe sicher eine Rolle spielen.
    Wen das nicht interessiert und wer immer nur die verbale Keule der „Kulturbereicherer“ schwingt, ist wohl eher Teil des Problems und nicht der Lösung.

  • Werter Herr Schleck,
    der Hooliganismus der 60er und 70er Jahre ist schon lange tot. Die meisten "Experten" die heute darüber urteilen waren zu der Zeit wahrscheinlich mit ihrem Abitur beschäftigt und betrachten das Ganze in der Rückschau.
    Klar, wenn man die Schilderungen derjenigen hört die das nur aus der Zeitung kennen kann einem schon das Gruseln kommen. Aber gegen das was heute von vielen Medien als "Fankultur" verkauftwird waren die Schlägereien der Hools ein Kindergeburtstag.
    Es gab nämlich Regeln. Man verabredete sich, traf sich ausserhalb, in Frankfurt war es der Parkplatz eines ehemaligen Hotels mitten im Wald und blieb unter Seinesgleichen.
    Am Boden Liegende wurden in Ruhe gelassen und nach der Schlägerei sassen beide "Fangruppen" in Alt Sachsenhausen in einer Apfelweinkneipe.
    Irgendwann hat sich das Ganze aber totgelaufen woran das "Medieninteresse" einiger Schmierblätter nicht geringen Anteil hatte.Die Jungs wollten "Spass" haben und Agressionen" abbauen aber nicht Auflagentreiber für die Bild-Zeitung sein.
    Als dann das ZDF (Züchtiges Deutsches Fernsehen) einige Pogo tanzende Jugendliche in einer Sportstudiosendung als Randalierende Fans diffamierte war das Mass voll.
    Der Pogo ist ein Tanz, der seine Ursprünge in der Punk-Szene der 1970er Jahre hat, also nix mit Randale und Auferstehung der Hools.
    Wenn Sie sich jetzt die Gewaltexzesse die wir heute beobachten können ansehen werden Sie, auch wenn Beteiligte das Trikot eines Fußballvereins tragen, feststellen das der Fußball nur der Trigger ist. Eine Möglichkeit mit Gleichgesinnten Randale zu machen. Dabei spielt es für diese Gruppe keine Rolle ob der Lieblingsverein gewonnen oder verloren hat, ob sich die Minister der G20 treffen oder ob eine Strasse gesperrt wird. Hauptsache Dampf ablassen.
    Interessierte Kreise "verkaufen" derartiges auch gerne mal als Protest gegen die soziale Situation, die Obrigkeit oder die eigene Lage.
    Auch zu glauben es handele sich um ein "Ausländerproblem" ist naiv. Bei den Ausschreitungen zum G20 Gipfel in Hamburg waren zwar Randaletouristen aus ganz Europa dabei aber es waren in der Hauptsache halt Mitteleuropäer die da ihr Mütchen kühlten.
    Auch bei den alljährlich stattfindenden und als "Maifestspiele" bekannten Krawalle zum ersten Mai sind es Europäer.
    Bei den Gelbwesten waren wenig Migranten involviert. Die Meisten waren Franzosen. Und kaum einer hatte etwas mit Fußball zu tun.
    Also hören Sie auf mit dem Unsinn von den gewalttätigen Fußballfans und benennen die Randalierer als das was sie sind. Randalierer.

  • „Also hören Sie auf mit dem Unsinn von den gewalttätigen Fußballfans und benennen die Randalierer als das was sie sind. Randalierer. »
    Nein, ich höre nicht auf.

    „Sechs Verletzte bei Massenschlägerei in Kreisliga - Betreuer, Spieler, Zuschauer - alle sollen sich geprügelt haben: Ein Fußballspiel der Kreisliga in NRW ist nach Polizeiangaben eskaliert. Ein Torhüter sei bewusstlos geschlagen worden,[…] als in Hilden die zweiten Mannschaften des AC Italia Hilden und des Düsseldorfer SFD Süd gegeneinander antraten.» (SPON 09.10.2020)
    Hilden? Wer kennt Hilden?

    Dass es auch nicht nur um fanatisierte Fans oder gewaltbereite „Randalierer“ am Spielfeldrand oder vor den Stadien geht, das zeigt ein anderer Vorfall:
    „Nürnberg - Fußballtrainer muss nach Attacke auf Jugendspieler zweieinhalb Jahre in Haft - Er schlug und trat einen gegnerischen Spieler nach einer Kreisligapartie und verletzte ihn schwer: Nun muss ein Fußballtrainer aus Bayern ins Gefängnis.“ (SPON 17.09.2020)

    Hier bei uns sei an die Massenpanik erinnert, die ausbrach, als fanatisierte Liverpool-Fans den Nachbarblock mit Fans von Juventus Turin stürmten. Bilanz: 39 Tote.
    Und die Randale während und nach dem Spiel Standard-Anderlecht? Auch alles ohne Beteiligung der jeweiligen "Supporter"?
    "Fumigènes, débordements devant le stade, blessés et joueurs bloqués aux vestiaires" (LE SOIR 14/10/2022)

    Man kann nicht so tun, als seien solche Exzesse nicht das Werk von „Fans“ und hätten eigentlich nichts mit Fußball zu tun.
    Fußball ist eben der perfekte Katalysator, - ein „Spiegel der Gesellschaft“, wie er schon mal genannt wurde - früher wie heute. Keine Sportart eignet sich so gut dazu: ein Volkssport, sowohl was die Teilnehmer als auch die Zuschauer betrifft, Kampf zweier Mannschaften um den Sieg, Identifikationsmöglichkeit, Überlegenheitsgefühl, Emotionen, Zugehörigkeit zu einer Gruppe, bis hin zu einer verschworenen Gemeinschaft. Die ideale Mischung.

    Dass es, früher wie heute, keines Fußballspieles bedarf, um Randale auszulösen, keine Frage:
    Als typischer "Halbstarkenkrawall" galt etwa, was sich im August 1956 in Braunschweig zutrug: Rund 1100 "Halbwüchsige" rotteten sich an zwei Abenden zusammen, sie "blockierten den Fahrzeugverkehr, in dem sie mit Fahrrädern und Mopeds die Fahrbahn sperrten, einen Fahrradständer auf die Fahrbahn warfen, mit den Fäusten auf die Dächer der Pkw trommelten, […]". (SPON 10.08.2020)

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