Der Wunsch nach Abschluss: Was vom Pariser Terrorprozess bleibt

<p>Diese Gerichtsskizze zeigt den Hauptangeklagten Salah Abdeslam über einer Gesamtansicht des Gerichtssaals während des Prozesses gegen den Attentäter der Pariser Terroranschläge vom November 2015.</p>
Diese Gerichtsskizze zeigt den Hauptangeklagten Salah Abdeslam über einer Gesamtansicht des Gerichtssaals während des Prozesses gegen den Attentäter der Pariser Terroranschläge vom November 2015. | Foto: Benoit Peyrucq/afp/dpa

Es ging wohl ein kollektives Aufatmen in Frankreich, als der Vorsitzende Richter Jean-Louis Périès am Mittwochabend im Prozess um die Terroranschläge vom 13. November 2015 die langen Haftstrafen für die Beschuldigten verkündete. Nicht etwa, weil die Angst vor dem Terror nun gebannt wäre, sondern weil das Land auf eins hofft: endlich einen Schlussstrich ziehen zu können.

Mehr als neun Monate lang ließ der Prozess die Terrornacht, in der 130 Menschen getötet, 350 verletzt und eine ganze Nation schockiert wurde, immer wieder aufleben. An jenem Abend hatten Extremisten in der französischen Hauptstadt binnen weniger Stunden ein Massaker im Konzertsaal „Bataclan“ angerichtet und Terror in mehreren Bars und Restaurants verbreitet.

Drei Selbstmordattentäter sprengten sich während eines Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und Frankreich am Stade de France in die Luft. Fast alle Attentäter starben bei den Anschlägen selbst, einige bei einem Polizeieinsatz wenige Tage danach. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte die Anschläge später für sich.

Überlebende und Angehörige schilderten in Anwesenheit des wohl einzigen Überlebenden des Terrorkommandos, Salah Abdeslam, in schaurigen Details das Grauen, das die Anschläge über sie brachten. So schmerzhaft die Aussagen für viele sichtlich waren, war dies doch auch ein Moment, an dem die Überlebenden zusammenkamen, offiziell wahrgenommen und gewürdigt wurden.

Frankreich verfolgte das Mammutverfahren aufmerksam. Viele erhofften sich Antworten von den 20 Angeklagten, allen voran vom Hauptangeklagten Abdeslam. Die Erwartungen wurden enttäuscht. Wollte Abdeslam sich womöglich mit anderen in der Pariser Metro in die Luft sprengen? Sollte es auch an Flughäfen in Paris und Amsterdam am 13. November Attentate geben? Welche späteren Anschläge waren geplant? Und wer waren die Hintermänner? All diese Fragen bleiben auch nach 149 Prozesstagen bestehen.

Etliche der nun Verurteilten fielen eher durch Schweigen und widersprüchliche Aussagen auf als durch den Willen, zur Aufklärung beizutragen. Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Von Schuld und Reue ist bei Abdeslam keine Spur. Sein kalkuliertes Dichthalten hält sie vielmehr für eine ultimative Provokation.

Abdeslam beteuerte in dem Verfahren seine Liebe zum IS und sagte zugleich, er habe niemanden getötet, sei kein Mörder. Der Direktor der Nationalen Antiterrorismus-Staatsanwaltschaft, Jean-François Ricard, betonte indes, dass das Gericht es mit dem eigenhändigen Legen einer Bombe gleichgesetzt habe, dass Abdeslam drei Selbstmordattentäter zum Stade de France gefahren und dort abgesetzt habe. „Das ist ein Sieg des Rechtsstaats“, sagte Ricard dem Sender France Info. „Wenn Salah Abdeslam drei menschliche Bomben deponiert, tötet er stellvertretend. Die Strafe ist gerecht.“

Am Mittwochabend nach stundenlanger Verzögerung führte das Gericht das Verfahren dann zu einem Ende. Abdeslam soll lebenslang hinter Gitter. Eine Möglichkeit zu einer späteren Haftverkürzung kann er frühestens in 30 Jahren beantragen. Damit erhielt der wegen bandenmäßigen Mords mit Terrorbezug verurteilte Franzose die höchstmögliche Strafe. Insgesamt 19 der 20 Beschuldigten wurden wegen Terrorismus schuldig gesprochen. Für alle Angeklagten verhängte das Gericht Strafen zwischen zwei Jahren und lebenslang. Sechs Männer erhielten ihre Strafe in Abwesenheit: Einer sitzt in der Türkei in Haft, die fünf anderen sollen in Syrien gestorben sein.

Bei Überlebenden und Angehörigen herrschte nach den Urteilen Erleichterung. „Uff, es ist vorbei“, sagte Bruno Poncet, der den Anschlag im „Bataclan“ überlebte, dem Sender France Info. „Wir werden nun zu anderem übergehen.“ Der Prozess habe ihm geholfen, er sei nicht mehr der Gleiche wie zu Beginn im Herbst. „Das hat uns begeistert und das gibt mir wirklich Vertrauen in die Menschlichkeit zurück.“ Auch Emmanuel sagte dem Sender BFMTV: „Das ist eine schwere, aber rettende Seite, die nun umgeblättert wird.“

Olivier Fisher, der bei den Anschlägen in einer Bar verletzt wurde, hofft auch auf eine Signalwirkung. „Das ist eine extrem klare Botschaft an die Menschen, die der radikale Extremismus reizt.“ Ein weiterer Überlebender fürchtet hingegen, dass Abdeslam sich mit seinem Strafmaß nun brüsken könnte.

Frankreich wird bereits seit Jahren von islamistischen Anschlägen erschüttert. Mehr als 250 unschuldige Menschen wurden dabei getötet. Die Anschlagsserie vom 13. November war in den vergangenen Jahren die tödlichste. Zuletzt hatte es kaum Terroranschläge gegeben. Im Herbst hatte Präsident Emmanuel Macron gesagt, Sicherheitskräfte hätten seit 2017 insgesamt 36 Terroranschläge verhindert. Bleibt zu hoffen, dass die Behörden mittlerweile besser aufgestellt sind und Frankreich sich mit der Zeit von seinem Terrortrauma erholen kann - auch wenn schwer bewaffnete Soldaten auf den Straßen weiter an die Gefahr erinnern.

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