Kaum Wahlkampf, kaum Leidenschaft

<p>Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverluste für Präsident Macron erwarten, doch letztlich gehen die Umfrageinstitute davon aus, dass sein Lager zumindest eine relative Mehrheit im Parlament erneut schafft.</p>
Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverluste für Präsident Macron erwarten, doch letztlich gehen die Umfrageinstitute davon aus, dass sein Lager zumindest eine relative Mehrheit im Parlament erneut schafft. | Foto: Sebastien Nogier/EPA POOL/dpa

Von Wer als Tourist in diesen Tagen nach Frankreich kommt, wird kaum bemerken, dass das Nachbarland unmittelbar vor der Parlamentswahl steht. Dabei geht es den Französinnen und Franzosen kaum anders, denn der leidenschaftslos und auf Sparflamme geführte Wahlkampf steigert das ohnehin grassierende Desinteresse, wie Umfragen belegen. Nicht mal mehr jeder Zweite will zur Wahl gehen. So viel Politikverdrossenheit gab es in Frankreich selten. Das Land ist gespaltener denn je und die Unzufriedenheit bei vielen Menschen groß. Nur wenige Wochen ist es her, dass der liberale Präsident Emmanuel Macron mit Ach und Krach für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde. Zähneknirschend gaben auch viele von ihm enttäuschte und frustrierte Wählerinnen und Wähler dem Mitte-Politiker die Stimme, um seine rechtsnationale Herausforderin Marine Le Pen kurz vor dem Erklimmen der Stufen des Élyséepalastes noch auszubremsen.

Nun ist die Zweckunterstützung aber vorbei. Alles steht wieder auf Anfang - zumindest theoretisch. Denn die Parlamentswahl liegt ganz bewusst nur wenige Wochen nach der Präsidentschaftswahl, soll dem neugewählten Staatsoberhaupt ein Durchstarten mit eigener Mehrheit in der Nationalversammlung ermöglichen und wird in Frankreich quasi als Bestätigung der vorangegangenen Abstimmung gesehen - auch wenn am Ende auf keinem Wahlzettel Macron steht. Entsprechend gehen traditionell vor allem die Anhänger des Gewinners wählen, während die Wählerschaft der unterlegenen Kandidaten in Scharen zu Hause bleibt. Los geht die erste Runde am 12. Juni, in den französischen Überseegebieten teils früher. Französisch-Polynesien hat bereits am Wochenende einmal abgestimmt.

Dass es dieses Mal anders läuft, darauf hofft das linke Urgestein Jean-Luc Mélenchon. Bei der Präsidentschaftswahl kam er in der ersten Runde auf beachtliche knapp 22 Prozent der Stimmen, flog damit aber als Drittplatzierter raus. „Wählt mich zum Premierminister“, wirbt seitdem Mélenchon, dem nach der Präsidentschaftswahl der Coup gelang, die zersplitterte Linke mit den am Boden liegenden Sozialisten, Grünen und Kommunisten hinter sich zu vereinen.

Die Umfragen sehen dieses neue Linksbündnis enorm im Aufwind. Erhielte es eine Mehrheit, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier dieses Lagers zu ernennen. Mit diesem Hebel zur Macht wirbt Mélenchon gezielt und macht sich zum Gegenspieler von Macron. Doch der Linke, der bemüht ist, Schwung in den Wahlkampf zu bringen, trifft mit seinen Hieben ins Leere. Macron scheint öffentlich kaum einen Gedanken an die Abstimmung zu verschwenden und lässt seinen Kontrahenten so auflaufen.

Spielt der Staatschef mit dem Feuer und wägt sich erneut zu sehr in Sicherheit? Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverluste für den Liberalen erwarten, der nicht mehr neuer Hoffnungsträger, sondern von fünf Jahren Amtszeit voller Krisen deutlich gezeichnet ist. Doch letztlich gehen die Meinungsforschungsinstitute davon aus, dass Macrons Lager die Mehrheit im Parlament wieder holt. Vergeben werden die 577 Sitze in der Nationalversammlung nach einem komplizierten Mehrheitswahlrecht. Ins Gewicht fallen für die Verteilung am Ende nur die Stimmen für den Gewinner im jeweiligen Stimmbezirk. Ist das ein Grund für die Wahlmüdigkeit? „Die Franzosen haben sehr deutlich andere Dinge im Kopf“, sagte der Chef des Umfrageinstituts Ipsos, Brice Teinturier, dem Sender France Inter. Ein Wahlkampf finde zudem quasi nicht statt.

Auffällig ruhig geworden ist es dabei um die Rechte Le Pen, die innerhalb weniger Wochen von Mélenchon als Hauptkonkurrentin Macrons abgelöst wurde. Grund dafür ist aber kein plötzlicher Stimmungswandel in Frankreich, sondern die Besonderheit der Parlamentswahl. Im Gegensatz zur Präsidentschaftswahl zählt hier auch die lokale Verankerung, und die ist keine Stärke Le Pens. Zwar sind auch Macron und Mélenchon mit ihren Parteien in der Fläche nicht optimal verankert, aber sie haben geschickt Bündnisse geschmiedet. Die politische Dreiteilung, die bereits in der Präsidentschaftswahl deutlich sichtbar wurde, dürfte sich auch in der Parlamentswahl in zwei Runden am 12. und 19. Juni abzeichnen. Ein linker Block, ein weit rechter Block und Macron in der Mitte. Die konservativen Républicains, einst Volkspartei und noch stärkste Oppositionskraft in der Nationalversammlung, müssen mit herben Verlusten rechnen. Die zweite traditionelle Volkspartei der Sozialisten hat sich im Linksbündnis Mélenchon untergeordnet und dabei selbst einer eurokritischen Linie zugestimmt, die den Verstoß gewisser EU-Regeln billigt.

Das Ergebnis der Parlamentswahl entscheidet maßgeblich darüber, welchen Kurs Frankreich in den kommenden Jahren nehmen wird. Kann Macron mit seinem Kabinett quasi durchregieren, zwingen ihn die Machtverhältnisse dazu, Premier und Regierung aus einem anderen Lager zu bilden, oder wird das Parlament es ihm zumindest unbequem machen? Dass trotz der Unzufriedenheit im Land und der neuen Dynamik mit dem Linksbündnis kaum Interesse an der wichtigen Abstimmung besteht, dürfte auch daran liegen, dass Unmut in Frankreich traditionell eher auf der Straße als an der Wahlurne ausgedrückt wird.

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