Dürrenmatt, die Physiker und unsere Verantwortung

<p>Gesichtsmasken würden draußen nichts nützen, erklärten manche Wissenschaftler. Mittlerweile steht fest, dass das eine Schutzbehauptung war: Die wenigen, die es gab, musste man für die Pflegekräfte sichern.</p>
Gesichtsmasken würden draußen nichts nützen, erklärten manche Wissenschaftler. Mittlerweile steht fest, dass das eine Schutzbehauptung war: Die wenigen, die es gab, musste man für die Pflegekräfte sichern. | Foto: Photo News

Jedes Land, jede Regierung, sogar mancher Politiker wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hat seinen oder seine wissenschaftlichen Berater.

Kein Wunder, dass uns Bürgern der Blick über den Tellerrand etwas schwerer fällt, wenn sich der Lebensraum, staatlich verordnet, auf die eigenen vier Wände beschränkt. Doch langsam gelingt doch der eine oder andere Blick über die Grenze hinweg, wo schon mal, bei gleichen Voraussetzungen, anders analysiert und gemaßregelt wird. Zwangsläufig stellt sich die Frage: Wie kann das sein? Wenn doch DIE Wissenschaft die Vorgaben macht.

Bei näherem Hinsehen merkt man schnell, dass selbst ein Coronavirus, präziser das Covid-19, oder, wie es die Vereinten Nationen nennen, das Sars-Cov2, es nicht geschafft hat, Einigkeit unter den Wissenschaftlern herzustellen. Man ist sich uneins, man widerspricht sich, man korrigiert sich. Die souveränen unter den Wissenschaftlern geben gar zu, dass sie die eine oder andere Frage nicht zu beantworten wissen. Und dass auch sie im Modus „Trial and error“, zu deutsch „Versuch und Irrtum“ unterwegs sind. Das Covid-19 ist nun einmal ein neuartiges Virus – und da sind Irrtümer halt möglich: Sie sind sogar eher die Regel. Sonst hätten wir wahrscheinlich schon ein Gegenmittel und einen Impfstoff.

Und genau hier schließt sich der Kreis mit Dürrenmatts Physikern in ihrem Irrenhaus. Es geht im Theater wie im wahren Leben um Verantwortung. Und dieser können sich weder die Wissenschaftler, denen nie zuvor so viel Sendezeit in TV und Radio eingeräumt wurde wie in diesen Tagen, noch die Politiker, die sich von ihnen beraten lassen, und selbst nicht wir als Bürger entziehen. Die Wissenschaft hat ihre Grenzen, auch wenn manche von einer von Wissenschaftlern und Technokraten geführten Welt träumen: Es würde eine Katastrophe. Wissenschaftler, die in diesen außergewöhnlichen Zeiten ihr ureigenes Terrain verlassen und die Grenze zur Politik überschritten haben, durften diese Erfahrung bereits machen. Sie haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Politiker, die sich hinter der Wissenschaft versteckt hatten, sind schon entlarvt worden oder werden es bald. Sie und niemand anders trägt die Verantwortung für die Entscheidungen, von denen wir mit jedem Tag sehen, dass sie nicht nur gesundheitsrelevante, sondern gesamtgesellschaftliche und wirtschaftlich-finanzielle Auswirkungen haben. Und sie werden dafür in unserer repräsentativen Demokratie Rechenschaft vor den jeweiligen Parlamenten und vor den Bürgern ablegen müssen, die sie gewählt haben. Denen werden sie auch erklären müssen, wo sie das Geld einsparen wollen, das derzeit inflationär geschöpft und, ohne Preisschild, auf uns herabrieselt.

Wir als Bürger werden wohl oder übel anerkennen müssen, dass die Wissenschaft nicht das Allheilmittel einer aus den Fugen laufenden Welt ist. Und dass wir letztendlich die individuelle und kollektive Verantwortung für unser Staatswesen tragen. Je mehr wir von der Politik verlangen, umso mehr wird die geneigt sein zu liefern. Auch wenn sie längst wissen müsste, dass man Geld nicht zwei Mal ausgeben kann. Selbst nicht solches, das man gar nicht hat.

Kommentare

  • Wenn man im Grenzecho 10.4. die Seite 3 gelesen hat, fällt mir der Spruch ein, wenn ich nicht mehr weiter weiss, bild ich einen Arbeitskreis. Hat Belgien wirklich eine Regierung? Corona ist seit Februar bekannt, und schon jetzt wird in den Altenheimen getestet. Die Vorsorge hat doch schon gefehlt.

  • Erinnert irgendwie an die Einschätzung des amerikanischen Präsidenten, der auf die Frage eines Journalisten, welches denn seine Maßstäbe zur Bewertung der Frage seien, wann das Land wieder geöffnet werden sollte, auf seinen Verstand verwieß.
    Dieser Verstand hat ihn (und nicht nur ihn) offensichtlich schon unzählige Male im Stich gelassen. Zuletzt als er wochenlang - entgegen der Expertise der Wissenschaftler - die durch das Virus drohenden Gefahren herunterspielte oder Corona als Erfindung der Demokraten abtat.
    Trump trägt mit dem Herunterspielen der Gefahr und seinem fehlgeleiteten Verstand, die Verantwortung für die Massengräber in New York.

    Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, politische Entscheidungen zu treffen. Richtig!
    Sehr wohl ist es ihre Aufgabe, die Politik zu beraten.
    Bereits vor Jahren haben Wissenschaftler (wie auf die Folgen des anthropogenen Klimawandels) immer wieder vor einer weltweiten Pandemie gewarnt und auf die ungenügende materielle und organisatorische Vorbereitung hingewiesen. Vergebens!

    Die Politiker haben sich in den vergangenen Jahren vor allem von der Wirtschaftslobby leiten lassen, um ihr kapitalistisches Kartenhaus immer höher zu bauen und mit neo-liberaler Politik gesellschaftliche Verwerfungen zu befördern.
    Eine Wirtschaftsform, die nicht in der Lage ist, eine zeitlang auf Sparflamme zu funktionieren, ohne zu kollabieren, beinhaltet wohl einen Systemfehler. Ein Reset wird da nicht helfen.

    Wie kommt der Chefredakteur des GE eigentlich auf die absurde Idee, mit größerer Einigkeit der Wissenschaft könnte schon bald ein Impfstoff bereit stehen?
    Offensichtlich besitzt O. Schröder eine Glaskugel, die ihm mehr über wissenschaftliche Prozesse verrät, als der Wissenschaft selbst.

    Ich möchte auch in Zukunft nicht von Wissenschaftlern regiert werden, sondern von Politikern, die sich auf Fakten und Expertisen stützen und Abwägungen treffen, die den Menschen und nicht allein wirtschaftlichen Interessen dienen. Dies betrifft vor allem auch die Gestaltung des Gesundheitswesens.

    Von Journalisten darf erwartet werden, dass sie insbesondere den Politikern auf die Finger schauen, die wiederholt ihre Inkompetenz demonstrieren oder weiterhin ihrem egomanen Tanz um das Goldene Kalb frönen, statt ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.

    Wissenschaftsbashing ist hier völlig fehl am Platz.

  • Herr Leonard,
    1. Sie schreiben "Ich möchte auch in Zukunft nicht von Wissenschaftlern regiert werden", aber in Sachen Klima wird dies so gehandhabt, und soviel ich Ihre Meinung kenne, akzeptieren Sie dies ohne grosse Kritik.
    2. Sie schreiben "...die absurde Idee, mit größerer Einigkeit der Wissenschaft könnte schon bald ein Impfstoff bereit stehen". Einigkeit in der Wissenschaft nach Mehrheit nennt sich 'Konsens'. Der (angeblich) menschengemachte Klimawandel wurde bis heute nie bewiesen, sondern auch dies ist eine Konsens-Meinung innerhalb der Wissenschaft. Aber diesen Wissenschaftlern trauen Sie zu, ein Heilmittel gegen eine scheinbare Klimakatastrophe finden.
    3. Sie schreiben "Bereits vor Jahren haben Wissenschaftler... immer wieder vor einer weltweiten Pandemie gewarnt". Damit ist die Vogelgrippe und die Schweinegrippe gemeint. Und was war passiert? nichts, ausser eine gesellschaftliche Hysterie und der Vorwurf an die Politiker und an die WHO, dass hunderte von Millionen Euro und Dollar für sinnlose Impfdosen verschwendet wurde und dass die Pharma-Industrie sich daran eine goldene Nase verdient hat. Viele haben über diese Pleiten danach nur über weltweite Krankheits-Epidemien gedacht "wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht". Das Resultat in der öffentlichen Meinung: Wir sind alle nachlässig geworden, nicht nur Politiker.
    4. Frohe Ostern.

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