Religion und Schule?

<p>Isabelle Weykmans</p>
Isabelle Weykmans | Foto: privat

Seit vielen Jahren läuft eine Diskussion im Hintergrund des schulischen Alltags – Schüler, Lehrer, Eltern diskutieren es hinter vorgehaltener Hand. Aber keiner der Beteiligten kann oder möchte die Fragen offen aussprechen: Warum müssen die Schüler in konfessionelle Gruppen getrennt werden? Macht der getrennte Religionsunterricht heute noch Sinn? Gleichzeitig höre ich von jungen Menschen: „Ich hatte jetzt zwölf Jahre Religionsunterricht in der Schule, habe aber keine Ahnung, was ich in einem Mietvertrag beachten muss, welche Rechte ich als Lehrling habe, wie ein Steuerbescheid aussieht und wieso ich überhaupt Steuern zahlen muss!“

Zu Beginn dieses Schuljahres wurde ich ebenfalls mit der Frage des Religionsunterrichtes konfrontiert. Nach eingehender Diskussion haben wir uns dafür entschieden, unsere Tochter in den „Moral“-Unterricht einzuschreiben. Und das, weil wir der Überzeugung sind, dass die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft in der Schule nichts verloren hat. Die Schule ist ein neutraler Ort und erfüllt viele Aufgaben. Sie vermittelt Kompetenzen - Wissen, Werte des Miteinanders und sozialisiert die Kinder und Jugendlichen. Sie ist aber nicht dafür da, zum Glaubensbekenntnis zu führen. Das ist eine rein private Angelegenheit, die Eltern, die wir unseren Kindern mitgeben. Das Thema ist natürlich weitaus komplexer. Indem die Kinder ab der ersten Klasse in Religionsgruppen getrennt werden, bekommen sie vom Unterricht der anderen nichts mit. Dass alle gemeinsam Wissen über alle Religionen und andere Wertemodelle erlernen, ist meines Erachtens eine adäquatere Vorgehensweise. Zudem ist es unerlässlich, den Herausforderungen unserer Zeit in der Schule mehr Raum zu geben: miteinander Leben in multikulturellen Gesellschaften, Liebe und Freundschaft im virtuellen Raum, Lernen und Arbeiten in der digitalisierten Welt, unsere Verantwortung gegenüber der Natur, die Förderung von Empathie und Kreativität, usw.?

Deshalb schlage ich vor, den getrennten Religionsunterricht in seiner jetzigen Form durch einen gemeinsamen Werte- und Bürgerkundeunterricht zu ersetzen.

Es gibt viele Argumente, die dafürsprechen. Ein allgemeiner Werte- und Bürgerkundeunterricht – wie er zum Beispiel in Luxemburg vor vier Jahren eingeführt wurde – konzentriert sich auf die Gemeinsamkeiten, auf das Miteinander. Er beschäftigt sich aber auch mit den Herausforderungen einer wertepluralistischen Gesellschaft und fördert die kritische Auseinandersetzung mit ALLEN Religionen und ALLEN Lebensmodellen. In Luxemburg heißt dieser Unterricht „Leben und Gesellschaft“. Somit befasst er sich auch mit den Aufgaben und der Verantwortung eines Lebens nach der Schule und auch praktischen Fragen des Erwachsenenseins. Um Missverständnisse gleich auszuräumen. Es geht mir nicht darum, Religionen abzuschaffen. Ganz im Gegenteil. In der liberalen Weltsicht spielt die Religionsfreiheit und das individuelle Bekenntnis zu einem Wertesystem eine zentrale Rolle. Jeder ist frei seine Beziehungen, seine Vorlieben und seine Wertevorstellungen auszuleben, insofern er die Freiheiten der anderen respektiert. Jeder ist frei zu glauben oder nicht zu glauben, anders zu glauben, oder seinen Glauben zu ändern. Doch es gehört nicht zum Auftrag der Schule, Glauben zu lehren, religiöse Bekenntnisse zu interpretieren und zu vertiefen und religiöse Traditionen zu pflegen.

Wir wollen alle das Beste für unsere Kinder. Wir wollen, dass sie glücklich sind, dass sie selbstständig werden und dass sie für die große, weite, neue Welt vorbereitet sind. Die Werkzeuge, die wir ihnen mitgeben können, sind kritisches und freiheitliches Denken und die Grundzüge einer kulturellen Identität. Doch diese bildet erst feste Konturen und entwickelt sich weiter durch die Auseinandersetzung mit der Individualität und kulturellen Besonderheiten des Anderen. Deshalb ist ein gemeinsamer Werteunterricht, der auch Aspekte der politischen Bildung und der Alltagsbewältigung aufnimmt, so wichtig.

Die Herausforderungen, die wir in den kommenden Jahren bewältigen müssen, erfordern Brüche, ein Umdenken, ein kritisches Hinterfragen alter Gewohnheiten … auch in puncto Schule und Religion! Und was denkst du?

Kommentare

  • Sinn kann nicht gemacht werden. Allenfalls kann etwas sinnvoll sein oder sogar Sinn haben...

  • Bravo! Ein richtiger und mutiger Vorschlag, Frau Weykmanns!

    Hätte nicht gedacht, dass ein/e PolitikerIn in der Deutschsprachigen Gemeinschaft den Mut aufbringt, diese längst überfällige Diskussion einmal öffentlich anzustoßen.
    Vielleicht ist die Zeit dafür jetzt reif.

    Der konfessionsabhängige Bekenntnis-Religionsunterricht an unseren Schulen hat schon lange ausgedient und sollte - wenn schon nicht ganz abgeschafft - einem konfessionsübergreifenden neutralen Religionskunde- bzw. Ethik-Unterricht Platz machen. Ich habe dies in den vergangenen Jahren an dieser Stelle wiederholt gefordert.

    Ihre Argumente sind überzeugend und man könnte ergänzen, dass auch der vor 60 Jahren beschlossene Schulpakt keine heilige Kuh sein darf.

    Ihnen wird bewusst gewesen sein, dass sie sich mit diesem Vorschlag nicht nur Freunde machen werden, im Gegenteil.
    Wenn eine Politikerin jedoch ungeachtet der Popularität eines Vorschlages, und ungeachtet möglicher Kritik oder gar Anfeindungen den Mut aufbringt, notwendige Diskussionen anzustoßen, kann man ihr nur Respekt zollen.
    Danke dafür.
    Auf die Resonanz darf man gespannt sein.

  • Ausgezeichnete und etwas überfällige Initiative.

    Sinn gibt man - Herr Hilgers - seinem Dasein jeden Tag durch das, was man tut und denkt. Alle Menschen sind frei geboren, nur durch das Auferlegen Anderer werden wir zu "Gläubigen", zu Menschen, die etwas als "wahr" annehmen, auf der Grundlage, dass man es ihnen gesagt hat (das "Autoritätsargument"), ohne dass dies eigenständig überprüft wurde.
    Ein freier Mensch - wie jedes Baby und Kleinkind - erkundet unvoreingenommen die Welt. Daher denke ich, dass Religionsunterricht für zukünftige Generationen zumindest bedenklich ist, denn er lehrt den Heranwachsenden, sich damit zufrieden zu geben, dass sie nichts wissen (Richard Dawkins), beziehungsweise dass das, was jemand sagt wahr ist, ohne es faktenbasiert zu hinterfragen.
    Wir fliegen in Urlaub, nicht weil jemand gesagt hat, dass Flugzeuge fliegen, sondern weil viele Menschen gemeinsam danach gesucht haben, wie wir es den Vögeln nachahmen können und auch fliegen können, und dies, indem sie ihre Erkenntnisse gegenübergestellt haben und festgestellt haben, welche wahr sind, und welche nicht.
    Weder "Über-Wasser-gehen", noch UFOs, noch Homöopathie, noch Religion haben sich als "wahr" im Sinne von "tatsächlich" erwiesen... Unserer Jugend sollte also kritisches Denken, nicht Zweifel beigebracht werden.

  • „Das Christentum wird entsorgt, der Islam gefördert.“

    Der Herr François als „Defensor fidei‘, der die „Entsorgung des Christentums beklagt?
    Dabei steht seine eigene Weltanschauung der natürlichen Grausamkeit in krassem Widerspruch zu dieser Religion, die doch die Nächsten-, ja sogar die Feindesliebe predigt.

    Auch schwärmt er bekanntlich für Friedrich Nietzsche, dessen Hass auf das Christentum geradezu sprichwörtlich ist: „Das Christentum hat die Partei alles Schwachen, Niedrigen, Missratenen genommen, es hat ein Ideal aus dem Widerspruch gegen die Erhaltungs-Instinkte des starken Lebens gemacht.“

    Ganz konkret gefragt:
    - Wer „entsorgt“ das Christentum, wenn nicht seine Anhänger selbst?
    - Was kann man dagegen tun? Was tut Herr François persönlich dagegen?
    - Wo wird der Islam „gefördert“?
    Auf die Antworten darf man gespannt sein.

  • Ach, du und die "mutigen" Kommentare, Dieter... Das Christentum wird entsorgt, der Islam gefördert. Zeig mal Mut und stelle dich gegen den Todeskult, der immer mehr wütet, hier.
    Vielleicht erhälst du dann einen Einblick in "Mut".

  • Sehr geehrte Frau Eichten,

    der Flyer, den sie per Post erhalten haben, dient als Information an unsere Mitglieder. Denn als Partei, die die Reihe „Und was denkst du“ ins Leben gerufen hat, unterstützen wir die Initiative von Isabelle Weykmans, genauso wie von allen anderen Mandataren, die in dieser Reihe Themen setzen werden. In diesem Zusammenhang ist es uns wichtig, unsere Mitglieder zu informieren und in den Dialog miteinzubeziehen.

    Sollten Sie wünschen, aus der Partei auszutreten, so können Sie gerne eine dementsprechende Email an: info@pff.be richten. In diesem Falle tut es uns leid, dass sie die Information erhalten haben.

  • Heute in der Post musste ich feststellen, dass es sich sich bei dieser Aktion einfach nur um eine PR-Aktion handelt. Frau Weykmans lässt Prospekte zu diesem Thema versenden unter dem Motto "Und was denkst du?"

  • Hallo Damien,
    Habe meine Meinung zum Thema Religion allgemein und zum Thema Islam speziell an dieser Stelle und auch an dich adressiert, mehrfach deutlich geäußert.
    Dass du dies immer wieder vergisst und neu einforderst zeigt, worum es dir in Wirklichkeit geht.

    Ich habe auch mehrfach erwähnt (heute wieder), welch‘ hanebüchener und auch gefährlicher Unsinn z.T. im Islamunterricht an Schulen in der DG unterrichtet wird. Und dies ohne staatliche Kontrolle. Vergessen?

    Deshalb auch meine Unterstützung für den „Vorstoß“ von Frau Weykmans, den Religionsunterricht zu reformieren und der Verantwortung der Kultusträger zu entziehen!
    Zum Thema Islam: Ich stimme in vielen (nicht allen) Kritikpunkten dem Islamkritiker Hamed Abdel-Samad überein, der mit seinen streitbaren Büchern den Finger in islamische Wunden legt.
    Dies hat ihm Morddrohungen verblendeter Glaubenshüter und Polizeischutz eingebracht.

    Dennoch ist es unangebracht Religionen gegeneinander auszuspielen, denn jede hat ihre Leichenberge im Keller und keine steht der anderen in ihrem Dogmatismus und ihrem Anspruch auf den Besitz der Wahrheit nach.

    „Alle Religionen erscheinen den Ignoranten göttlich, den Politikern nützlich und den Philosophen lächerlich.“
    (Lucretius, röm. Philosoph, 94-49)

  • Einige Anmerkungen, nicht zum Inhalt, Inhalt, sondern eher zu den Begleitumständen dieser Meinungsäußerung von Frau Frau Weyckmans.

    - Sie erschien unter der Rubrik „Gastkommentar“ auf Seite 2 des GE. Hätte sie nicht eher auf die monatliche Seite „Das Wort den Parteien“ gehört?
    - Ein „Gastkommentar“ ist kein bloßer Leserbrief, sondern einen Gast lädt man ein, sonst ist es ein ungebetener. Wurde Frau Weyckmans eingeladen?
    - In der Einleitung wird die Autorin ausdrücklich als „DG-Ministerin (PFF)“ vorgestellt. Mithin konnte jeder davon ausgehen, dass es sich nicht um eine rein private Ansicht handelte, auch wenn es keine formelle Regierungsmitteilung war.
    - Auf ihrem Internetportal ( http://www.isabelle-weykmans.be/ )liest man: unter „Aktuelles“: „Initiativreihe – Und was denkst du?“ Eine Reihe verlangt doch wohl nach Fortsetzungen? Werden wir nun Frau Weyckmans regelmäßig auf Seite 2 als Gastkommentatorin lesen können?
    - Wenn ja, würde es die Gleichbehandlung nicht erfordern, reihum alle Minister und Politiker zu Wort kommen zu lassen?
    - Dass ein Regierungsmitglied sich derart massiv in den Kompetenzbereich eines Kollegen einmischt, dürfte wohl nicht alltäglich sein. Minister Mollers hat ja auch umgehend mit einer eindeutigen Stellungnahme reagiert. Ein Nachspiel hinter geschlossenen Kabinettstüren dürfte sicher sein.
    - Die nachgeschobene Entschuldigung, es handele sich um eine private Meinung, ist unglaubwürdig. Ein Politiker, vor allem ein Minister, ist nie ganz privat, was auch umgekehrt gilt. Ohne Persönlichkeitsspaltung könnte man beide Bereiche auch nicht komplett trennen. Aber vielleicht sollte Frau Weyckmans dann mal erläutern, was denn ihre offizielle Auffassung dazu ist, unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Grundlagen?
    - Was Ministerin Weyckmans mit ihrer Tochter macht, sollte eigentlich privat bleiben. Das geht niemanden etwas an.

    P.S. Ein interessanter Link auf der Webseite von Frau Weyckmans: https://www.dw.com/de/religionsunterricht-in-europa/a-1551342
    Europa, ein bunter Flickenteppich in Sachen Religionsunterricht und auch in Sachen Trennung von Kirche und Staat.

    P.S. Für diejenigen, die Frankreich als absolut laizistischen Staat preisen: Selbst dort gibt es ein konfessionelles oder freies Unterrichtswesen, das gar nicht so unbedeutend ist.: https://fr.wikipedia.org/wiki/Enseignement_priv%C3%A9_en_France

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