Jeremy Corbyn und der Brexit: Ja, nein, jein

<p>Beim Referendum über den EU-Austritt 2016 hat sich Jeremy Corbyn für den Verbleib in der Staatengemeinschaft ausgesprochen.</p>
Beim Referendum über den EU-Austritt 2016 hat sich Jeremy Corbyn für den Verbleib in der Staatengemeinschaft ausgesprochen. | Foto: dpa

„Oh, Jeremy Corbyn!“ Noch vor zwei Jahren schallte dem britischen Oppositionsführer von der Labour-Partei der eigene Name zehntausendfach entgegen beim Glastonbury-Festival, einer Art Woodstock im Südwesten Englands. Corbyn wurde gefeiert wie ein Rockstar. Bei der Wahl kurz davor hatte er den Konservativen mehr als zwei Dutzend Mandate abgejagt und sie damit in eine Minderheitsregierung gezwungen.

Nun wird wieder gewählt, doch die Corbyn-Begeisterung scheint weitgehend abgeebbt. Labour fiel in den Umfragewerten wieder zurück. Manche vermuten, dass es an der unklaren Haltung Corbyns zum Brexit liegt. Doch er ist auch wegen anhaltender Antisemitismusvorwürfe gegen seine Partei und ihn selbst immer wieder in der Kritik.

Beim Referendum über den EU-Austritt 2016 hat sich der 70 Jahre alte Altlinke für den Verbleib in der Staatengemeinschaft ausgesprochen, aber nur zaghaft für seine Position geworben. Corbyn galt schon immer als Europaskeptiker. An diesem Eindruck hat sich in den vergangenen drei Jahren kaum etwas geändert. Will Corbyn das Land aus der EU führen oder den Austritt verhindern? Niemand scheint es zu wissen.

Sein Plan ist, nach einer gewonnenen Wahl erneut mit Brüssel zu verhandeln. Dieses Mal soll aber eine engere Bindung an die EU vereinbart werden. Beispielsweise spricht sich Corbyn für eine Mitgliedschaft in der europäischen Zollunion aus. Er will das Land auch eng an den Binnenmarkt binden. Diesen Deal will er dann innerhalb von sechs Monaten den Briten in einem zweiten Referendum vorlegen. Die Alternative wäre, in der EU zu bleiben. Corbyn will dabei „eine neutrale Position“ einnehmen, ließ er vor Kurzem wissen.

Corbyn: „Das ist nicht mein Stil.“ Er gilt als prinzipientreu.

Wichtiger als der Brexit sind ihm aber ohnehin soziale Themen wie die Wohnungsnot, der schlechte Zustand des Gesundheitssystems und die Bildung. Bei seinem Wahlkampfauftakt drohte Corbyn: „Wir werden den Steuerhinterziehern auf den Leib rücken, den skrupellosen Vermietern, den schlechten Chefs.“

Seinen Anhängern gilt der dreifache Vater und in dritter Ehe verheiratete Politiker als ehrliche Haut, einer, der nicht mit den schmutzigen Tricks der politischen Konkurrenz kämpft. Persönliche Angriffe und Schmähungen beantwortet er nicht. Corbyn: „Das ist nicht mein Stil.“ Er gilt als prinzipientreu. Er soll sich vegetarisch und fast zuckerfrei ernähren, nicht rauchen und keinen Alkohol trinken.

Die Labour-Basis liebt ihn dafür. Doch dazu muss man wissen: Viele Corbynistas, wie seine Anhänger in der konservativen Presse genannt werden, sind der Labour-Partei erst vor Kurzem beigetreten. Manche gehen soweit zu sagen, der Altlinke habe die Partei gekapert. Viele gemäßigte Sozialdemokraten sehen in ihm einen Linksaußen mit gefährlichen Sympathien zu sozialistischen Diktaturen.

Auch bei der Gesamtbevölkerung kommt Corbyn nicht so gut an. Umfragen zeigen, dass ihm nur rund ein Viertel der Briten das Amt des Premierministers zutraut. Mehr als doppelt so viele glauben, dass sein Widersacher Boris Johnson dem Amt gewachsen ist.

Corbyns größtes Problem sind aber die Antisemitismus-Vorwürfe gegen seine Partei und teils gegen ihn selbst. Der 70-Jährige macht sich seit Langem für die Interessen der Palästinenser stark – einseitig, wie Kritiker finden. Zudem wird ihm vorgeworfen, nicht entschieden genug gegen antisemitische Auswüchse bei Labour vorzugehen. Ein Großteil der britischen Juden (87 Prozent) hält ihn einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Survation zufolge selbst für antisemitisch. Die knappe Hälfte erwägt demnach ernsthaft, Großbritannien zu verlassen, sollte Corbyn zum Premierminister gewählt werden.

Zu seinen umstrittensten Plänen gehört die Verstaatlichung verschiedener Bereiche der Grundversorgung – etwa die Energie- und Wassernetze sowie Post und Eisenbahn. Nur so ließen sich beispielsweise Klimaziele erreichen, argumentieren Labour-Politiker aus dem Corbyn-Lager. Unternehmerverbände laufen Sturm dagegen. (dpa)

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