„Doppelmoral“ in der Königsklasse

<p>Der neue Kurs in Dschidda aus der Vogelperspektive bei Nacht.</p>
Der neue Kurs in Dschidda aus der Vogelperspektive bei Nacht. | Foto: dpa

81. 81 Hinrichtungen an nur einem Tag vermeldete Saudi-Arabien – wo Weltmeister Max Verstappen, Mercedes-Star Lewis Hamilton und Co. am Wochenende fahren – zuletzt. „Wenn wir solche Nachrichten hören, ist das ziemlich alarmierend“, sagte Formel-1-Geschäftsführer Stefano Domenicali vor dem zweiten Rennen des Jahres (Sonntag, 19.00 Uhr MESZ/Sky) bei Sky Sports.

Einen Grund, das Spektakel in Dschidda wegen der Menschenrechtsverletzungen in der absoluten Monarchie abzusagen, sieht Domenicali aber nicht. Im Gegenteil. Die Formel 1 helfe dabei, dem Thema „einen anderen Stellenwert in den Nachrichten“ zu geben, die Missstände könnten so in „ein intensives Rampenlicht“ gestellt werden, sagte der Italiener.

Domenicalis Argumentation wird von Sport-Managern, die das viele Geld aus Saudi-Arabien gerne einnehmen, immer wieder verwendet, um ihre Events in zweifelhaften Staaten zu rechtfertigen. Laut Menschenrechtsorganisationen nutze unter anderem Saudi-Arabien internationale Großveranstaltungen aber vor allem dazu, „von seinen weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen abzulenken“, wie es von Human Rights Watch heißt – das so genannte Sportswashing. Das Image des Wüstenstaates soll international aufpoliert werden.

Beim Formel-1-Debüt in Saudi-Arabien Ende vergangenen Jahres legten sich die Macher dafür mächtig ins Zeug. Justin Bieber, Jason Derulo, A$AP Rocky und David Guetta sorgten neben den Boliden für Stimmung, es war ein Teil der „Vision 2030“ des hochumstrittenen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Es ist eine sündhaft teure Strategie, um die Wirtschaft unabhängiger vom Öl zu machen und ausländische Investoren sowie Touristen anzulocken.

Verstöße gegen Menschenrechte, Unterdrückung Oppositioneller, Einschränkung der Meinungsfreiheit

Doch die Wirklichkeit in Saudi-Arabien sieht so aus: Unterdrückung von Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten und Geistlichen. Die Duldung von Homosexualität, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung sind laut Menschenrechtsorganisationen „stark gefährdet bis nicht vorhanden“. Unvergessen auch die brutale Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi, der 2018 in der saudischen Botschaft in Istanbul von einem Spezialkommando aus Riad getötet wurde.

Saudi-Arabien gab vor vier Monaten als vierter Gastgeber dieser Weltregion sein Formel-1-Debüt. Auch Abu Dhabi, Bahrain und Katar haben langfristige Verträge mit der Rennserie geschlossen. Auch diesen Ländern werfen Organisationen wie Amnesty International Verstöße gegen die Menschenrechte, die Unterdrückung Oppositioneller und die Einschränkung der Meinungsfreiheit vor.

Hamilton fordert Kollegen, auf Missstände hinzuweisen

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte die Formel 1 gehandelt und das Rennen in Sotschi abgesagt. Warum nicht auch im Fall von Saudi-Arabien oder anderen Ländern? Das fragten 90 Abgeordnete des Europaparlaments nun auch Mohammed Ben Sulayem, den Präsidenten des Weltverbandes FIA. Sie werfen der FIA und der Formel 1 vor, das Sportswashing aktiv zu fördern und bei Russland eine „starke Doppelmoral“ an den Tag zu legen. Auch anderen „blutigen Geschäften“ solle ein Ende gesetzt werden. Doch darauf wird sich Domenicali wohl nicht einlassen.

Rekord-Weltmeister Lewis Hamilton hat zu diesem Thema seine eigene Meinung und drängt seine Fahrerkollegen, ihre Reichweite bei Fans zu nutzen, um auf Missstände hinzuweisen. „Es muss unsere Priorität sein, gemeinsam Druck für einen langanhaltenden Wandel zu machen“, fordert der Mercedes-Pilot. (sid/dpa/leo)

Kommentare

Kommentar verfassen

0 Comment