Höchster Kaltwassergeysir der Welt – Blubberndes CO2 am Rhein

Rheinkilometer 613 – hier beginnt der Ausflug zum höchsten Kaltwassergeysir der Welt. Wobei dieser Superlativ noch einer Erklärung bedarf, doch dazu später mehr. An Rheinkilometer 613 befindet sich direkt am Flussufer das Geysir-Zentrum mit jeder Menge Theorie zum Vulkanismus in der deutschen Eifel, mit Installationen über Vulkane und Dioramen schillernd aufbereitet. Der Bau wirkt von außen modern, ist fast fensterlos und thematisch passend aus Vulkangestein errichtet, seine Form ahmt die Gesteinsspaltung durch Wasserkraft nach. Im Innern erfahren die Besucher anschaulich, welche Kräfte unter der Erde wirken.

In die man auch gleich hinabfährt, simulierte 4.000 Meter tief: Durch einen stilisierten Vulkanschlot rauschen die Besucher in einem Aufzug durch die verschiedenen Gesteinsschichten, die auf Bildschirmen dargestellt werden – bis zur Magma, dem Ursprung des Geysirs. Erste Lektion: Kohlenstoffdioxid (CO2) vulkanischen Ursprungs ist der Antrieb des Geysirs von Andernach. Das C02, das die Fontäne auf Rheinhalbinsel Namedyer Werth antreibt, stammt aus den riesigen Magmakammern des Laacher-See-Vulkans. Der brach zuletzt vor 12.900 Jahren aus und verwandelte weite Gebiete mit verheerenden Glutlawinen und gigantischen Ascheströmen in eine Mondlandschaft.

„Heute zeigt uns das CO2 wie andernorts die heißen Quellen, dass das Innere der Erde noch nicht zur Ruhe gekommen ist“, erklärt Ralf Schunk, wissenschaftlicher Leiter des Geysir-Zentrums. Mehr noch: Seit 2013 messen Seismologen Beben in 10 bis über 40 Kilometer Tiefe. Die könnten darauf hinweisen, dass sich unter der Erdkruste wieder glutflüssiges Gestein bewegt. Doch keine Sorge vor einem Vulkanausbruch: „Bis die Magmakammern sich wieder gefüllt haben, können noch gut mehrere tausend Jahre vergehen“, beruhigt der Diplom-Geograph. Bis dato hat man jedenfalls den Kaltwassergeysir voll im Griff. In Andernach treibt zwar vulkanisches Kohlendioxid das Grundwasser aus bis zu etwa 350 Metern Tiefe explosionsartig 60 Meter über die Erde. Doch was sich hier bei Rheinkilometer 615 präsentiert, ist kein ganz und gar naturgemachtes Spektakel. Man kann die Fontäne gewissermaßen an- und abschalten. Ein Schieber vorgeschoben, und es herrscht Ruhe - zumindest oberflächlich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte man auf der Rheinhalbinsel Vorkommen von CO2 entdeckt. In den Gewässern nahe der Halbinsel blubberten die Mofetten genannten C02-Bläschen sichtbar hoch. Noch heute steigen in der Eifel und im Rheintal vulkanische Gase an die Oberfläche, vor allem dort, wo das Mittelrheintal die Osteifel begrenzt.

„CO2 entweicht durch Gesteinsklüfte und Spalten nach oben und trifft unter einer dichten Schieferdecke auf Grundwasser“, erklärt Schunk das Naturphänomen. Das Wasser reichert sich unter Druck mit dem Gas an. Wird der durch das kontinuierlich nachkommende CO2 zu groß, entweicht es unbemerkt an vielen Stellen an die Erdoberfläche. Auf der Suche nach Mineralwasser bohrte der Mensch auf dem Namedyer Werth die Erde 1903 erstmals an und erweckte damit den Geysir zum Leben. Vor Ort wurde Mineral- und Heilwasser sowie Kohlensäure industriell gefördert. Doch die CO2-Gewinnung lohnte nicht lange. Der Brunnen wurde geschlossen. Bis etwa ein Jahrhundert später erneut gebohrt wurde. Diesmal für den Tourismus. Seit 2006 zischt der „höchste Kaltwassergeysir der Welt“ in die Höhe, im Zweistundentakt 12 bis 15 Minuten lang. Höhe und Seltenheit haben der urgewaltigen Fontäne am Ufer des Mittelrheins 2008 sogar einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde eingebracht. Dabei gibt es weltweit durchaus höhere Fontänen.

So schleudert der Giant Geysir im Yellowstone-Nationalpark die Wassermassen 83 Meter in die Höhe. Doch die Springquelle in Wyoming zischt nur selten aus der Erde und ist wie alle anderen etwa tausend Geysire rund um den Erdball durch Magma verdampftes heißes Wasser. In Andernach aber drückt CO2 nach oben, und das Grundwasser ist allenfalls leicht temperiert. „Den Takt bestimmt das Gas-Wasser-Gemisch, das sich immer wieder neu in der Erde bildet„, erläutert Schunk. „Übersteigt sein Druck das Gewicht des mit Wasser gefüllten Bohrbrunnens, löst sich das Gas. Es steigt im Brunnenrohr nach oben, schiebt das dortige Wasser vor sich her − und der Geysir spuckt wieder“. Nur nachts, bei Hochwasser und im Winter schiebt der Mensch dem Ausbruch den Riegel vor.

Doch ist die Fontäne aktiv, werden Besucher Zeuge eines Naturspektakels, wie man es oft nur exotischeren Reisezielen zuschreibt. Mit dem Dampfer „Namedy“ geht es zum Ortsbesuch. Die Anlegestelle befindet sich gleich gegenüber dem Museum. Eine Viertelstunde dauert die Überfahrt zur Geysir-Halbinsel. Nach einem Fußmarsch von 200 Metern, der an seltenen Schwarzpappeln vorbei führt, erreichen die Gäste die mit Basaltsteinen verkleidete Ausbruchstelle. Das eisenhaltige Wasser hat die Steine rostrot überzogen. Dass es aus der Tiefe auch etwas Schwefel mitbringt, ist manchmal zu riechen. Die Rekordfontäne baut sich zaghaft auf und entwickelt sich zum mächtig zischenden Geysir und ebbt zum CO2-Geblubber ab. Je nach Windrichtung kann man eine ordentliche Mineralwasserdusche abbekommen, vor allem bei Kindern ist das im Sommer als Erfrischung beliebt. Was Andernach heute für Besucher bietet, ist ein langwierig ausgehandelter Kompromiss zwischen Naturschutz und Tourismus: Seit Mitte der Achtziger ist der Namedyer Werth mit seinem 21 Hektar großen Auenwald, Lebensraum seltener Tier- und Pflanzenarten und Brutplatz vieler Vögel, Naturschutzgebiet. Die Anzahl der zugelassenen Fahrgäste auf dem Schiff reguliert die Besucherzahl für das Naturschauspiel, damit der urwüchsige Wald erhalten bleiben kann. Der Geysir ist in der Region aber nicht das einzige sichtbare Relikt aus turbulenten Erdzeitaltern. Maare und Calderen sind ebenfalls Zeugen des Vulkanismus in der Eifel. Die einen sind einst durch Wasserdampfexplosionen beim Zusammentreffen vom heißen Magma mit Wasser entstanden und dienen zum Teil heute als idyllische Badeseen. Die anderen sind Kessel infolge des Absinkens entleerter Magmakammern. So ist der Laacher See – ebenfalls Naturschutzgebiet, aber Baden ist erlaubt – die mit Wasser gefüllte Caldera des letzten großen Vulkanausbruchs in der Osteifel von vor 12.900 Jahren. Mehr als zwei Kilometer östlich des hochmittelalterlichen Klosters Maria Laach, mit seiner sechstürmigen Kirche selbst eine Sehenswürdigkeit, ploppen noch heute Mofetten in Ufernähe auf. Die Geysir-Saison startet am 27. März und geht bis Ende Oktober. Der Geysir-Besuch ist ein Komplettpaket inklusive Schiffstransfer; Eintritt regulär: 16 Euro.

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