„Weltuntergangsuhr“ warnt seit 75 Jahren, aber hört noch jemand zu?

<p>Jerry Brown (links), der ehemalige Gouverneur von Kalifornien, und Ex-US-Verteidigungsminister William Perry enthüllen im Januar 2019 die „Weltuntergangsuhr“, die zwei Minuten vor Zwölf anzeigt.</p>
Jerry Brown (links), der ehemalige Gouverneur von Kalifornien, und Ex-US-Verteidigungsminister William Perry enthüllen im Januar 2019 die „Weltuntergangsuhr“, die zwei Minuten vor Zwölf anzeigt. | Foto: Cliff Owen/FR170079 AP/dpa

Die „Weltuntergangsuhr“ tickt nicht und ist auch sonst eigentlich gar keine richtige Uhr. Die „Doomsday Clock“ ist ein Design entworfen ursprünglich von der 2013 gestorbenen US-Künstlerin Martyl Langsdorf. Für die Fachzeitschrift der Atom-Wissenschaftler, das „Bulletin of the Atomic Scientists“, sollte Martyl Langsdorf, deren Ehemann Alexander im „Manhattan Project“ der USA an der Entwicklung der Atombombe mitgearbeitet hatte, im Juni 1947 ein Titelbild entwerfen - und entschied sich für das obere linke Viertel einer Uhr mit dem Zeiger sieben Minuten vor Mitternacht. „Das sah für mein Auge gut aus.“

Mit dem Titelbild wollten Langsdorf und die Herausgeber der Zeitschrift kurz nach den verheerenden Atombombenabwürfen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki deutlich machen, wie groß die Gefahr durch die neue Waffentechnik sei und wie dringend sie in den Griff bekommen werden müsse.

Seitdem bewerten Wissenschaftler und Herausgeber des Mitteilungsblatts der Atom-Wissenschaftler den Stand des Minutenzeigers der Uhr jedes Jahr neu, um zu zeigen für wie gefährdet sie den Fortbestand der Menschheit halten - angesichts von Atomwaffen, inzwischen aber auch angesichts von Klimawandel und weiteren Bedrohungen.

Am Donnerstag (20. Januar) wollen die Wissenschaftler den diesjährigen Stand verkünden, im 75. Jubiläumsjahr der „Doomsday Clock“. Zuletzt hatten sie die Gefahren für die Menschheit als so groß eingeschätzt, dass schon gar nicht mehr in Minuten gerechnet werden konnten. Stand die Uhr noch 2018 und 2019 auf jeweils 2 Minuten vor Mitternacht, wurden ihr Zeiger 2020 erstmals auf 100 Sekunden vor Mitternacht vorgeschoben. Die Gefahr, dass sich die Menschheit durch einen Atomkrieg oder Klimawandel selbst auslösche, sei so groß wie niemals zuvor seit Erfindung der Uhr, hieß es zur Begründung. Mitternacht würde den Weltuntergang bedeuten. Als besonders gefährliche Faktoren sehen die Wissenschaftler neben der Möglichkeit eines Atomkrieges inzwischen die Coronavirus-Pandemie sowie die Erderwärmung und digitale Falschinformationen an. Auch 2021 wurden die Zeiger auf 100 Sekunden vor Mitternacht belassen. „Die Pandemie hat gezeigt, wie unvorbereitet und unwillig die Länder der Welt und das internationale System sind, wenn es darum geht, globale Notfälle richtig anzupacken“, kommentierte die Präsidentin des „Bulletin of Atomic Scientists“, Rachel Bronson.

Es gab aber auch schon optimistischere Zeiten in der Geschichte der „Doomsday Clock“, deren Aussehen 2007 vom Grafikdesigner Michael Bierut noch einmal überarbeitet wurde und die seit 2019 auch in einer physischen Ausgabe in der Universität von Chicago zu sehen ist: Zum Ende des Kalten Krieges stand die Uhr 1991 auf 17 Minuten vor der vollen Stunde - die weiteste Entfernung von Mitternacht in der Geschichte der „Weltuntergangsuhr“. „Die Illusion, dass Zehntausende Nuklearwaffen eine Garantie für die nationale Sicherheit seien, ist über Bord geworfen worden“, hieß es erleichtert vom „Bulletin“. Seitdem aber rückte der Sekundenzeiger tendenziell eher wieder näher an Mitternacht heran - Atomwaffentests von Indien und Pakistan, die Unvorhersagbarkeit der US-Politik unter Ex-Präsident Donald Trump, nordkoreanische Raketentests und fehlende Abrüstungsverhandlungen trugen unter anderem ihren Teil dazu bei. Die „Weltuntergangsuhr“ ist kein wissenschaftliches Instrument, sondern ein rein symbolisches. Man sehe sich wie Ärzte, die eine Diagnose erstellten, und habe keine parteipolitische Agenda, betonen die Herausgeber des „Bulletin“. Die Uhr bekommt jedes Jahr viel Aufmerksamkeit und Unterstützung - aber es gibt auch Skepsis und Kritik. Wenn man jedes Jahr immer wieder warne, höre dann überhaupt noch jemand zu? - fragen manche Kritiker.

„Wenn ich freundlich bin, sage ich, OK, sie sind Teil einer breiteren Anstrengung, die kollektive Aufmerksamkeit auf dringende Angelegenheiten zu richten oder auf langfristige Dinge, die katastrophale Auswirkungen haben könnten, wie der Klimawandel“, sagte Andrew Latham, Wissenschaftler am Macalester College in Minnesota der „New York Times“. „Aber nach einer bestimmten Zeit werden wir da alle nicht mehr zuhören.“ Trotzdem habe die Uhr ihren Sinn. „Einmal im Jahr erinnert sie uns daran, dass es da draußen einige große Gefahren gibt. Die sind alle menschengemacht - und das bedeutet, sie können auch vom Menschen wieder rückgängig gemacht werden.“ (dpa/sc)

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