Baumgart: „Die Nations League interessiert keinen toten Sheriff“

<p>Steffen Baumgart ist ein wenig wie Jürgen Klopp – und doch ganz eigen.</p>
Steffen Baumgart ist ein wenig wie Jürgen Klopp – und doch ganz eigen. | Foto: dpa

Zuletzt hat sich Steffen Baumgart ganz bewusst etwas zurückgenommen. Monatelang hatte man den neuen Trainer des 1. FC Köln auf allen Kanälen gesehen. Baumgart war Gast im „Sportstudio“ oder auch im „Kölner Treff“, er wurde Champions-League-Experte bei „Amazon Prime“ und gewann beim „Fußballspruch des Jahres“. Der 49-Jährige bekam sogar einen eigenen Bierdeckel, ein Ballermann-Sänger schrieb einen „Baumgart-Marsch“ und seine Schiebermütze wurde zu einem dauerhaft ausverkauften Hit im Fanshop. Die FC-Fans forderten: „Baumgart wird Kanzler“. „Es muss sich nicht alles auf eine Person fixieren“, sagt Baumgart nun im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: „Deshalb habe ich das eine oder andere Interview zuletzt nicht geführt.“ Die Spieler hätten ihm aber den Hype in der Öffentlichkeit nicht geneidet. „Ich glaube, dass sie ganz froh sind, dass die Fokussierung auf anderen Personen liegt und nicht auf ihnen“, sagt Baumgart und lächelt.

Nach seiner Ankunft aus Paderborn im Sommer hat der 49-Jährige das Umfeld des FC quasi wiederbelebt und aus einer zaudernden und ängstlichen Mannschaft eine geformt, die aktiven und mitreißenden Fußball spielt. Steffen Baumgart ruht in sich. Zum Heißsporn wird er immer dann, wenn ein Ball in der Nähe ist. Dann steht er wie ein Wrestler mit hochrotem Kopf an der Seitenlinie. Ein Spiel – das steht nun auf Bierdeckeln in ganz Köln – sei eben erst zu Ende, „wenn ich aufhöre zu brüllen.“ Vor jedem Spiel, nicht nur vor Derbys wie am Samstag gegen Mönchengladbach (15.30 Uhr), habe er „ein gesundes Lampenfieber“, sagt Baumgart: „Wenn ich irgendwann mal gelangweilt in ein Spiel gehe, höre ich auf.“

Im Bezug auf das Wachküssen der Vereine gefallen ihm die ständigen Vergleiche mit Liverpool-Coach Jürgen Klopp. Ansonsten hält er sie für „Quatsch“. Man müsse sie nicht ziehen, „nur, weil da zwei Trainer emotional sind.“ Doch was die beiden auch eint: Wenn sie reden, haben sie etwas zu sagen. Und dann äußern sie sich auch zu Dingen abseits des Feldes. Baumgart zum Beispiel missfällt der Umgangston in den Stadien. Also sagt er: „Wenn jemand seine Emotionen nicht im Griff hat, soll er zu Hause bleiben und seinen Fernseher anbrüllen.“ Es könne „nicht sein, dass ein Familienvater mit seinem Kind an der Seite im Stadion rumpöbelt und dann sagt: Das ist Fußball. Nein, das ist nicht Fußball. Diese Kultur müssen wir verändern“, fordert der 49-Jährige: „Insofern hatten die letzten anderthalb Jahre zumindest etwas Gutes: Wir haben gesehen, was uns gefehlt hat. Danach ist es mir aber viel zu schnell wieder in die alten Muster gekippt.“

Auch sonst spricht er Klartext. Eine WM in Katar finde er „gruselig“, die Nations League könne man abschaffen: „Die interessiert nämlich keinen toten Sheriff.“ Grundsätzlich „entscheiden zu viele Leute über den Fußball, die keinen Kontakt zur Basis haben. Fußball wird für den kleinen Mann und die kleine Frau gemacht, für jedermann und nicht für die großen Firmen. Das sollten wir uns nicht wegnehmen lassen.“ Und die Politiker? Für die sei der Fußball „ein sehr gutes Ablenkungsmanöver für nicht immer sehr gute Arbeit“.

Baumgart beschäftigt sich mit alldem. Doch es lenkt ihn nicht ab von seiner eigentlichen Arbeit. Genauso wenig wie es die vielen öffentlichen Termine in den ersten Saisonwochen getan haben. Im Kern geht es ihm um das Spiel, um den Ball, um gesunde Emotionen auf dem Feld. Und das erinnert dann doch schon wieder an Jürgen Klopp. (dpa/tf)

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