Ökologie und Ökonomie vereinen ist machbar - und sinnvoll

<p>Antonio Guterres hat eindringlich vor einem Scheitern des Klimagipfels gewarnt.</p>
Antonio Guterres hat eindringlich vor einem Scheitern des Klimagipfels gewarnt. | Foto: dpa

Es ist, wie leider zu oft, ein „Déjà-vu“. Auch als in Paris das historische Abkommen der Weltgemeinschaft zustande kam, konnte Belgien sich erst in letzter Sekunde einigen.

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Kommentare

  • Ja, es wird Zeit in nochmal von der Pinnwand zu nehmen und ins Netz zu stellen.
    Einen Ausschnitt aus „Die Zeit“ von 1997. Zeitlos.
    Ein Präsent aus Tinte und Papier, voller Empathie, geschmückt mit getrocknetem Mitkraut von einer lieben Mitstreiterin.
    Spätestens bei jedem Klimagipfel erinnere ich mich daran.

    In Wirklichkeit ist sie mir nie aus dem Kopf gegangen:

    DIE PAPPELFRAGE

    Ernst Busch singt Bert Brecht. Lange, lange nicht mehr gespielt.
    Da war doch - und da ist es wieder, man braucht die Platte gar nicht erst aufzulegen: Eine Pappel steht am Karlsplatz . . . Schon ist es im Ohr, im Kopf und geht nicht mehr raus.
    Kinderlied. Eines dieser kurzen, ganz einfachen Gedichte:

    "Eine Pappel steht am Karlsplatz / Mitten in der Trümmerstadt Berlin / Und wenn Leute gehn übern Karlsplatz / Sehen sie ihr freundlich Grün. // In dem Winter sechsundvierzig / Fror'n die Menschen, und das Holz war rar / Und es fielen da viele Bäume / Und es wurd ihr letztes Jahr. // Doch die Pappel dort am Karlsplatz / Zeigt uns heute noch ihr grünes Blatt: / Seid bedankt, Anwohner vom Karlsplatz / Daß man sie noch immer hat!"
    Gesungen von Ernst Busch.

    Mit anderen Worten: So ist das.
    Und es kommt die Woche des 26. April, Tschernobyl, Weltzerstörungstag.
    Und man hört aus dem Radio etwas von einem Parteitag der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Wie sie sich da abquälen mit ihrer SPD, dem "Regierungspartner", Garzweiler Zwo und so weiter, und dass sie den Menschen im Land reinen Wein einschenken wollen, und wie immer ist auch die ökologische Wende fest avisiert.
    Reinen Wein einschenken und die ökologische Wende - das sind so Sachen. Wenn dann wieder das schöne Traumbild gemalt wird, das gewaltige schwarz-rot-grüne Treppenhausfresko von der großen Versöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie, wo der Stahlkönig neben dem Biobauern lacht und der Manta-Ritter neben Försters Liesl und der Achtspurvogt des Allparteienkonsortiums "Freie Fahrt für freie Bürger" dem Hüter des heiligen Storchennestes brüderlich die Hand reicht und der IG-Bergbauwolf zärtlich wohnet bei dem Lila-Latzhosenlamm…

    Sollten schon sagen, was das heißt, ökologische Wende: weniger nämlich. Weniger Autos, weniger Gewerbegebiete, Einkaufsmeilen, weniger Wohnparadiese auf grüner Wiese, ob in der Eifel oder in der Uckermark. Weniger Komfort, Konsum, "Bedarf", Wachstum, weniger öffentlicher Luxus. Weniger Arbeitsplätze der herkömmlichen Art. Sollten schon sagen, was das bedeutet: Verzicht nämlich.

    Gesellschaftlicher Verzicht, individueller Verzicht. Kein Blut (das hoffentlich nicht), aber ein bißchen Schweiß doch und vielleicht sogar ein paar Tränchen.
    Mit anderen Worten: So ist das.
    Man kann nicht alles haben, liebe Kinder. So wie in den kalten Tagen des Jahres sechsundvierzig die Anwohner vom Karlsplatz nicht beides haben konnten: das Ofenholz im Winter und im Frühling das Pappelgrün. Mußten sich schon entscheiden.

    Haben sich entschieden (zumindest in Brechts Gedicht) und vielleicht nicht schlecht dafür gefroren. Eine poetische Regung. Oder das Gefühl, dass so ein Baum mehr ist als sein Brennwert, ein Überlebensmittel anderer Art, wie auch das eigene Leben möglicherweise mehr ist als warme Füße. Und den materialistischen Dichter rührte es, und er hat den Kindern ein Lied daraus gemacht.

    Man höre es wieder, zum Beispiel am 26. April, dem Tag von Tschernobyl, dem Weltzerstörungstag. Und jeden Tag, da die Bauarbeiter lärmen und sie die Wälder roden und neue Trassen durch die stillen Täler treiben. Da immer mehr Autos von immer mehr Fließbändern rollen, immer mehr, immer mehr. Da die Gewerbebrachen sich immer tiefer ins Land hineinfressen und die Start- und Landebahnen kein Ende mehr nehmen wollen. Man höre sie dann wieder, die Stimme von Ernst Busch. Keine Mahnung, keine Predigt, nur ein Dank.

    Nur die heitere Gewißheit: So ist das.
    Es wird - jenseits aller Strategiepapiere, Rio-Gipfel, jenseits aller postkapitalistischen Wunschphantasien - unsere Entscheidung sein. Eine kurze, ganz einfache Entscheidung, wie damals am Karlsplatz:
    Warme Stube oder grünes Blatt?

    (Geschrieben vor 24 Jahren von Benedikt Erenz, zeitlos für „Die Zeit“.)

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