Annalena Baerbock - auf der „Frauenkarte“ ins Kanzleramt?

<p>Annalena Baerbock spricht bei einer Wahlkampfkundgebung zur Bundestagswahl 2021 am Kornmarkt in Nürnberg.</p>
Annalena Baerbock spricht bei einer Wahlkampfkundgebung zur Bundestagswahl 2021 am Kornmarkt in Nürnberg. | Foto: Timm Schamberger/dpa

Als Jugendliche war Annalena Baerbock eine Leistungssportlerin, und ihre liebste Disziplin ist bis heute das Trampolinspringen. Nun setzt die Grünen-Co-Vorsitzende zum ganz großen Sprung an: Als Kanzlerkandidatin der Ökopartei kämpft sie um das höchste Regierungsamt in Deutschland.

Es ist das erste Mal in ihrer mehr als 40-jährigen Geschichte, dass die Grünen bei einer Bundestagswahl eine eigene Kanzlerkandidatur präsentieren. Im 2017 gewählten Bundestag stellen sie die kleinste Fraktion, doch in den Umfragen haben sie stark zugelegt seit Baerbock und Robert Habeck als telegenes Duo 2018 gemeinsam den Parteivorsitz übernahmen.

In der deutschen Politik stünde eine Kanzlerin Baerbock sowohl für einen linksökologischen Politik- als auch für einen Generationswechsel. Geboren wurde die Niedersächsin 1980, dem Gründungsjahr ihrer Partei. Sie ist damit 26 Jahre jünger als Amtsinhaberin Angela Merkel. Bei einem Wahlsieg wäre sie die mit Abstand jüngste Regierungschefin in der Geschichte des Landes.

Baerbock wuchs in einem Dorf südlich von Hannover in einer Art Hippiehaushalt auf und wurde schon als Kind oft zu Anti-Atomkraft- oder Friedensdemonstrationen mitgenommen. Nach dem Abitur studierte sie Politik- und Rechtswissenschaften in Hamburg und London. An der Freien Universität Berlin war sie von 2009 bis 2013 Doktorandin in Völkerrecht, brachte es aber nicht zur Promotion.

Seit etlichen Jahren lebt die Mutter von zwei Töchtern im ostdeutschen Bundesland Brandenburg. Dort war sie von 2009 bis 2013 Grünen-Landesvorsitzende, und in Potsdam wurde sie 2013 auch in den Bundestag gewählt. Regierungserfahrung hat sie bisher nicht.

Im Rennen um die Kanzlerkandidatur setzte sie sich im Frühjahr gegen Habeck durch, der andeutete, dass neben ihren Qualitäten auch die „Frauenkarte“ eine Rolle gespielt haben dürfte.

Nach Baerbocks Präsentation am 19. April erlebten die Grünen einen Höhenflug und waren in den Umfragen kurzzeitig stärkste Partei in Deutschland. Doch die Euphorie war kurz, bald bröckelten die Werte wieder.

So machte Baerbock Negativschlagzeilen, weil sie dem Bundestag Sonderzahlungen ihrer Partei an sie verspätet meldete. Dann wurden Unstimmigkeiten im offiziellen Lebenslauf entdeckt - etwa zu ihren akademischen Abschlüssen, Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen oder einer angeblichen Tätigkeit in Brüssel -, die die Kandidatin nachträglich korrigieren musste. Bald darauf kam heraus, dass in Baerbocks Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ etliche Textstellen aus anderen Werken abgeschrieben waren, ohne dass dies kenntlich gemacht wurde.

Die Kandidatin zeigte auch Wissenslücken in der deutschen Geschichte, als sie die Sozialdemokraten zu den Erfindern der in Deutschland hochgeschätzten „sozialen Marktwirtschaft“ machte (es waren die Christdemokraten), und in ihrer Wahlheimat Brandenburg ordnete sie Orte und Landschaften geografisch falsch zu.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sprach bereits von der „Ruine einer Kandidatur“, und manche den Grünen nahestehende Intellektuelle forderten einen Austausch Baerbocks durch Habeck. Doch davon will die Parteiführung nichts wissen. Habeck bezeichnete solche Forderungen als „Kokolores“.

Politisch steht Baerbock unter anderem für einen schnelleren Ausstieg aus der Kohleverstromung, einen verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien und eine „aktive Einwanderungspolitik“. Mit der Übernahme des Parteivorsitzes habe sie auch beweisen wollen, dass „Mädchen heute alles werden können“, heißt es in ihrer offiziellen Biografie. Darin kommt sie auch auf ihre Zeit auf dem Turniertrampolin zurück. „Was ich durch den Sport verinnerlicht habe, ist der Mut, sich immer wieder zu überwinden, Neues zu wagen“, schreibt sie.

Hintergrund: Sieben Männer, eine Frau: die bisherigen Bundeskanzler in Deutschland

Seit ihrer Gründung im Jahr 1949 hatte die Bundesrepublik Deutschland sieben Bundeskanzler und eine Kanzlerin:

Konrad Adenauer (1949-1963, CDU): Der von den Nazis kaltgestellte und zeitweilig inhaftierte frühere Kölner Oberbürgermeister war schon 73, als er zum ersten deutschen Bundeskanzler gewählt wurde. Mit ihm sind Wiederaufbau und Westintegration des Landes verbunden.

Ludwig Erhard (1963-1966, CDU): Als Minister wurde er zum Vater des deutschen „Wirtschaftswunders“ und der Sozialen Markwirtschaft. Doch als Bundeskanzler agierte der Adenauer-Nachfolger glücklos, seine Regierung zerbrach schon nach drei Jahren.

Kurt Georg Kiesinger (1966-1969, CDU): Er schmiedete die erste Große Koalition mit den Sozialdemokraten. Mit ihren Notstandsgesetzen befeuerte diese die Studentenproteste. Wegen seiner NS-Vergangenheit wurde Kiesinger öffentlich geohrfeigt.

Willy Brandt (1969-1974, SPD): Unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ läutete der Sozialdemokrat den Machtwechsel ein. Mit den Ostverträgen betrieb er Entspannungspolitik gegenüber Moskau, Warschau und Ost-Berlin. Er stürzte über einen enttarnten DDR-Spion.

Helmut Schmidt (1974-1982, SPD): In seiner Amtszeit wurde der Staat vom linken RAF-Terror erschüttert. Der „Weltökonom“ hatte auch mit einer schlechten Wirtschaftslage zu kämpfen. Am Ende entfremdete er sich sowohl vom linken SPD-Flügel als auch vom Koalitionspartner FDP.

Helmut Kohl (1982-1998, CDU): Der Pfälzer wurde anfangs von den Intellektuellen als Provinzler verspottet, regierte am Ende aber länger als alle anderen Kanzler. Dank der deutschen Wiedervereinigung 1990 ging Kohl als „Kanzler der Einheit“ in die Geschichte ein.

Gerhard Schröder (1998-2005, SPD): An der Spitze einer rot-grünen Koalition leitete er den Atomausstieg ein. Mit harten Sozialreformen („Agenda 2010“) zog er sich den Zorn der Gewerkschaften zu. Kreml-Chef Wladimir Putin lobte er als „lupenreinen Demokraten“.

Angela Merkel (2005-2021): Sie ist die erste Ostdeutsche und erste Frau an der Regierungsspitze. In internationalen Krisen erarbeitete sie sich den Ruf als Weltstaatsfrau. Kurz nach Beginn der vierten Amtszeit kündigte sie an, 2021 nicht mehr zu kandidieren.

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