Ära der Rivalitäten: Von der Leyen will EU agiler machen

<p>EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Bewältigung der Corona-Pandemie in der EU als Erfolg gewürdigt - zugleich jedoch zu weiteren Anstrengungen aufgerufen.</p>
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Bewältigung der Corona-Pandemie in der EU als Erfolg gewürdigt - zugleich jedoch zu weiteren Anstrengungen aufgerufen. | Foto: dpa

Angesichts der Corona-Pandemie, der Afghanistan-Krise und wachsender internationaler Rivalitäten will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen die Europäische Union deutlich handlungs- und widerstandsfähiger machen. „Wir treten in eine neue Ära verstärkter Konkurrenz ein“, sagte sie am Mittwoch in ihrer diesjährigen Rede zur Lage der Union. Die klimapolitische und wirtschaftliche Führungsrolle sei für die globalen und sicherheitspolitischen Ziele Europas von zentraler Bedeutung. Man brauche aber auch die Europäische Verteidigungsunion.

Konkret kündigte von der Leyen unter anderem an, die Herstellung von Hochleistungschips in Europa zu stärken, um die Abhängigkeit von asiatischen Produzenten zu beseitigen. „Während die Nachfrage weltweit explodiert ist, hat der Anteil Europas an der gesamten Wertschöpfungskette abgenommen, und zwar von der Produktgestaltung bis hin zur Fertigungskapazität“, kritisierte sie. Deswegen müsse man nun Forschungs- und Entwicklungskapazitäten von Weltklasseniveau zusammenbringen und die Investitionen der EU koordinieren.

Dies sei nicht nur eine Frage unserer Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch eine Frage der technologischen Souveränität. Vom Smartphone und Elektroroller bis zu Zügen oder ganzen intelligenten Fabriken - „ohne Chips kein digitales Produkt“, sagte von der Leyen.

Um unfaire Konkurrenz aus Drittstaaten zu verhindern, soll ein EU-weites Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit kommen. „Menschenrechte sind nicht käuflich - für kein Geld der Welt“, sagte die 62-Jährige. Weltweite Geschäfte zu machen sei gut, ebenso wie ein globaler Handel gut und notwendig sei. Aber dies dürfe nicht auf Kosten der Würde und der Freiheit der Menschen geschehen. Es gebe rund 25 Millionen von Zwangsarbeit betroffene Menschen.

Von der Leyen will in den kommenden sechs Jahren 50 Milliarden Euro in die Gesundheitsvorsorge der gesamten EU investieren.

Als Lehre aus der Corona-Pandemie sollen in den kommenden sechs Jahren außerdem 50 Milliarden Euro in die Gesundheitsvorsorge der gesamten EU investiert werden. Kein Virus dürfe aus einer lokalen Epidemie jemals wieder eine globale Pandemie machen, sagte von der Leyen. „Es gibt keine bessere Anlage für unser Geld.“

Zugleich soll die geplante EU-Behörde Hera zur Vorsorge von Gesundheitskrisen bald einsatzfähig sein. Die Bewältigung der Corona-Pandemie in der EU sei ein Erfolg. Mehr als 70 Prozent der Erwachsenen seien vollständig geimpft. Priorität müsse nun haben, das Impfen überall auf der Welt voranzubringen. Die EU werde bis Mitte 2022 weitere 200 Millionen Impfstoffdosen spenden.

Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Afghanistan plädierte von der Leyen für den Ausbau der Europäischen Verteidigungsunion. In ihrer Rede warb sie so für die Idee eines gemeinsames Lage- und Analysezentrums und schlug eine Mehrwertsteuerbefreiung beim Kauf von Rüstungsgütern vor, die in Europa entwickelt und hergestellt wurden.

<p>Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lade der Unnion fehlenden Fortschritt in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik bemängelt.</p>
Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lade der Unnion fehlenden Fortschritt in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik bemängelt. | Foto: dpa

Grundsatzentscheidungen sollen nach Angaben von der Leyens in der ersten Hälfte des kommenden Jahres bei einem mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron organisierten „Gipfel zur Europäischen Verteidigung“ getroffen werden. Man müsse entscheiden, wie man die Möglichkeiten des EU-Vertrags im Bereich der Verteidigung nutzen könne, erklärte die CDU-Politikerin.

Mit Blick auf den bereits diskutierten Aufbau einer neuen EU- Krisenreaktionstruppe mahnte von der Leyen, sich daneben auch um eine grundsätzliche Frage zu kümmern. „Man kann die am weitesten entwickelten Streitkräfte der Welt haben - doch wenn man nie bereit ist, sie einzusetzen, wozu sind sie dann gut?“, fragte sie. Was die EU bisher zurückgehalten habe, seien nicht nur fehlende Kapazitäten, sondern auch fehlender politische Wille. „Wenn wir diesen politischen Willen entwickeln, können wir auf EU-Ebene viel tun“, sagte sie.

Viel Zeit nahm sich die Kommissionschefin auch dafür, die Jugend in den Fokus zu stellen. Sie kündigte an, 2022 zum Jahr der europäischen Jugend auszurufen. Damit sollten die jungen Leute wertgeschätzt werden, die während der Corona-Pandemie vieles zum Schutz anderer geopfert hätten.

Zudem soll ein neues Austauschprogramm für junge Menschen aufgelegt werden, die weder Ausbildung noch Job gefunden haben. Das Programm „Alma wird diesen jungen Leuten die Möglichkeit eröffnen, zeitlich befristet Berufserfahrung in einem anderen Mitgliedstaat zu sammeln“, sagte von der Leyen.

Pérez: „Wenn wir scheitern, gibt es keine Wirtschaft mehr, weil der Planet nicht mehr bewohnbar sein wird.“

Aus dem EU-Parlament kam ein geteiltes Echo auf von der Leyens Rede. Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber, lobte die EU-Kommission für ihren Einsatz gegen die Corona-Pandemie. Kein anderer Kontinent habe so hohe Impfquoten wie die EU. „Die Krise begann in China, in Europa haben wir die Lösung gefunden“, sagte er.

Die spanische Sozialdemokratin Iratxe García Pérez zeigte sich erfreut über die Ankündigung von der Leyens, ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen vorzulegen. „Seit Jahren verlangen wir dieses Gesetz“, sagte sie. Außenpolitisch müsse die EU endlich mit einer Stimme sprechen, das zeigten die Entwicklungen in Afghanistan. Mehr Tempo beim Klimaschutz mahnte der Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts an. „Wenn wir scheitern, gibt es keine Wirtschaft mehr, weil der Planet nicht mehr bewohnbar sein wird“, sagte er.

Gegenwind kam auch von den Linken. Fraktionschef Martin Schirdewan forderte die EU-Kommission auf, im Interesse einer gerechteren Impfstoffverteilung in der Welt endlich den Patentschutz für Corona-Impfstoffe zu beenden. Es brauche zudem eine Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmen, „die auch Zähne hat“, und eine Finanztransaktionssteuer. Dass als Lehre aus dem Afghanistan-Desaster eine europäische Militärunion gefordert werde, sei falsch. Das Geld wäre besser in der Armutsbekämpfung aufgehoben, sagte Schirdewan. (dpa/calü)

Kommentare

  • "... wenn dieser Planet nicht mehr bewohnbar ist..." Mit solchen Plattitüden schwafeln sich die Eurokraten durch die von ihnen selbst verursachte Krise. Na klar, der Klimawandel ist schuld, und Corona. Da versteckt man sich hinter der eigenen Unfähigkeit. Abstruse Abgasnormen, irrsinnige Vorhaben, Geldvernichtung, Schuldenunion stürzten die europäische Wirtschaft in den Abgrund. Jetzt tritt man als Retter auf. Europa hat in allem den Anschluss verpasst, dank Brüssel. Und nun zahlt VdL noch an die Taliban. Wo bleibt eigentlich EU-Kohle für die Flutgeschädigten in Belgien und D'land?

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