Interessenkonflikte in Berg-Karabach: Viele Mächte dabei

<p>Die Fahne von Aserbaidschan weht über zerstörten Häusern in einem Wohngebiet nahe der Grenze zu Armenien, welches über Nacht von armenischen Truppen mit Raketen beschossen wurde. Im blutigen Konflikt um die Südkaukasusregion Berg-Karabach steigt ungeachtet des Ringens um eine Waffenruhe die Zahl der Toten weiter.</p>
Die Fahne von Aserbaidschan weht über zerstörten Häusern in einem Wohngebiet nahe der Grenze zu Armenien, welches über Nacht von armenischen Truppen mit Raketen beschossen wurde. Im blutigen Konflikt um die Südkaukasusregion Berg-Karabach steigt ungeachtet des Ringens um eine Waffenruhe die Zahl der Toten weiter. | Foto: Aziz Karimov/AP/dpa

Tausende Tote haben die Gefechte in Berg-Karabach im Südkaukasus bereits gefordert. Seit Ende September kommt es zu schweren Kämpfen. Der Konflikt zwischen Karabach-Armeniern und den Aserbaidschanern ist bereits jahrzehntealt. Trotz Vereinbarungen von Feuerpausen wird weiter gekämpft. Warum ist es so schwierig, in dem Konflikt zu vermitteln? Gleich mehrere Länder ringen um Einfluss in der Region und verfolgen eigene Interessen. Eine Übersicht:

RUSSLAND

Für Moskau ist der jahrzehntealte Konflikt ein komplizierter Balanceakt. Einerseits pflegt Russland Beziehungen zu beiden Ex-Sowjetrepubliken und liefert Waffen im großen Stil. Beide Länder besitzen das russische Luftabwehrsystem S-300 und Panzer. „Der Verkauf russischer Waffen an Baku und Eriwan wurde als Maßnahme zur Eindämmung und Verhinderung eines großen Krieges erklärt“, sagte der Militärexperte Alexander Golz der Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“.

Das christliche Armenien sieht Russland zugleich als Schutzmacht. Das russische Militär betreibt in dem Land einen Stützpunkt und ein Vertrag regelt, wann Russland dem Bündnispartner im Verteidigungsfall zur Seite steht. Gleichzeitig vermittelt Russland neben Frankreich und den USA zwischen Armenien und Aserbaidschan. Moskau hat sich jedoch auffallend zurückhaltend zu einem möglichen Militäreinsatz geäußert. Russland will nach Auffassung unabhängiger Experten nicht riskieren, seinen Einfluss im Südkaukasus zu verlieren.

TÜRKEI

Die Türkei steht in dem Konflikt eng an der Seite des islamisch geprägten Aserbaidschans. Das betonen beide Seiten. Doch nicht nur moralische Unterstützung kommt aus Ankara: Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev bestätigte kürzlich, dass sein Land türkische Drohnen einsetze, die im Kampf „große Möglichkeiten“ böten. Ankara sichert zudem immer wieder zu, Aserbaidschan wenn nötig auch „auf dem Feld“ zu unterstützen.

Über die Türkei sollen auch ausländische Söldner und Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus Syrien an den Gefechten beteiligt sein. Die Türkei und Aserbaidschan dementieren das.

Die Aserbaidschaner sind ein Turkvolk und Aliyev will, dass die Türkei als Bruderstaat eine größere Rolle im Konflikt spielen solle. Weil die Türkei nun klar Position für das Nachbarland bezieht, wird Russlands Einfluss als Vermittler geschwächt. Ankara bringt sich in Konfrontation zu Moskau, mit dem es auch in Syrien und Libyen Interessenskonflikte hat. In beiden arabischen Staaten unterstützen Russland und die Türkei jeweils unterschiedliche Kriegsparteien. Sie können nun versucht werden, die Lösungen all dieser Konflikte zu verknüpfen. Das erschwert eine Lösung in Berg-Karabach.

IRAN

Der Iran steckt in einer Zwickmühle - nicht nur, weil der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan direkt an seiner Grenze ausgetragen wird. Teheran pflegt zu beiden Ländern gute Beziehungen und will weder Eriwan noch Baku mit womöglich falsch verstandenen Äußerungen verärgern. Immerhin leben im Iran 17 Millionen Aserbaidschaner und mehr als 150.000 Armenier. Die iranische Republik ist wie Aserbaidschan ein schiitisch-islamisches Land.

Doch politisch und wirtschaftlich pflegt Teheran bessere Beziehungen zu Eriwan. Besonders die Zusammenarbeit Aserbaidschans mit dem Erzfeind Israel sorgte im Iran für Irritationen. Das territoriale Recht Aserbaidschans in Berg-Karabach wird zwar anerkannt, ein Krieg gegen die Armenier damit aber nicht gerechtfertigt.

ISRAEL

Das kleine Israel ist zwar weit entfernt von der Konfliktregion, verfolgt dort aber wichtige strategische Interessen. Es unterhält gute Beziehungen zu beiden Konfliktparteien, das Bündnis mit Aserbaidschan ist jedoch deutlich enger. Zahlreiche Waffen in Aserbaidschan stammen aus Israel. Nach Angaben des Begin-Sadat-Zentrums für Strategische Studien handelt es sich um Lieferungen hochmoderner Waffen in Milliardenhöhe, darunter auch Drohnen. Aserbaidschan liefert Israel im Gegenzug Rohöl im großen Stil, nach UN-Angaben allein im vergangenen Jahr im Wert von umgerechnet 1,1 Milliarden Euro.

Israel und die Türkei, eigentlich regionale Rivalen, seien in dem Konflikt „seltsame Bettgesellen“, weil beide Aserbaidschan unterstützten, schrieb ein Kommentator der israelischen Zeitung „Haaretz“. Auf der einen Seite sei es verständlich, dass Aserbaidschan für Israel ein wichtiger geostrategischer Partner sei, weil es an den Iran grenze, Israels Erzfeind, meinte der Kommentator. Dennoch sei es „sehr zynisch, dass Israel und die Türkei im Kampf gegen armenische Christen auf einer Seite stehen“.

FRANKREICH

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht sich in einer Vermittlerrolle. Der 42-Jährige telefoniert häufig mit internationalen Topkollegen, unter ihnen Kremlchef Wladimir Putin oder Donald Trump in den USA, um zur Entspannung beizutragen. Dem mächtigsten Franzosen geht es darum, dass die Feuerpause eingehalten wird und Verhandlungen in Schwung kommen. Frankreich hat im Kreis der Europäer eine herausgehobene Rolle, denn es bildet mit Russland und den USA die vermittelnde „Minsk-Gruppe“ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Macron spart nicht mit Kritik an der Türkei in dem Konflikt. Er prangerte öffentlich an, dass Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus Syrien über die Türkei in die Konfliktregion gekommen seien.

USA

Lange haben die USA anderen die Vermittlerrolle in dem Konflikt überlassen. Präsident Donald Trump steckt mitten im Wahlkampf und hofft nach der Abstimmung Anfang November auf eine zweite Amtszeit. Nicht gewichtig genug sind die Interessen Washingtons im Kaukasus, um Moskau die Verhandlungsführung aus den Händen zu nehmen. Ziel der USA ist es, im Kaukasus den Einfluss Russlands und des Irans zu begrenzen und den Zugang zum Kaspischen Meer zu sichern.

Deshalb fühlen sich die Amerikaner eher den schiitischen und rohstoffreichen Aserbaidschanern verbunden, weil die christlichen Armenier Russland gewogen sind. Kontakte pflegt Washington wegen der starken armenischen Diaspora in den USA allerdings auch zu Armenien. Ganz im Sinne der Amerikaner ist, dass Aserbaidschan ein wichtiger Energielieferant ist. Die USA haben ein Interesse daran, die Abhängigkeit etwa Südeuropas von russischem Gas zu verringern. Zudem arbeiten beide Länder bei der Bekämpfung des Terrorismus zusammen. (dpa)

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