Man kann Demokratie auch tot schützen

<p>Berlin stellt sich auf Tausende Demonstranten ein. Der Staat muss wehrhaft sein, ja, die Demokratie muss aber Widerspruch ertragen können. Sie lebt sogar vom Diskurs: wohlgemerkt zwischen Demokraten.</p>
Berlin stellt sich auf Tausende Demonstranten ein. Der Staat muss wehrhaft sein, ja, die Demokratie muss aber Widerspruch ertragen können. Sie lebt sogar vom Diskurs: wohlgemerkt zwischen Demokraten. | Foto: dpa
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Kommentare

  • Im Prinzip muss man diesem Kommentar nur beipflichten, wäre da nicht die Erinnerung an die unzähligen Kommentare des GE-Chefredakteurs in den vergangenen Monaten, mit denen er die Spaltung der Bevölkerung selbst betrieben hat, statt für den Zusammenhalt in dieser außergewöhnlichen Zeit zu werben.

    Beruhigend ist es festzustellen, dass diese „Spaltung“ nicht durch die Mitte der Bevölkerung verläuft sondern an ihren rechts-, links und verschwörungsaffinen Rändern.

    In Deutschland zumindest ist es so, dass 60% die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als angemessen und 28% als zu wenig weitreichend erachten!
    Gerade einmal 10% sind mit den Maßnahmen nicht einverstanden.
    Mehr als 3/4 der Menschen sind der Meinung, dass Verstöße gegen die Hygienemaßnahmen stärker geahndet werden sollen.
    Und dies in einem Land, dass von dem Virus im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern weitestgehend verschont geblieben ist ... oder die beste Strategie zu dessen Bekämpfung entwickelt hat.

    Heute wird man in Berlin besorgte und von der Krise in ihrer Existenz bedrohte Bürger aber auch Demokratiefeinde, Anarchisten, Rechts- und Linksextreme, Aluhutträger und Verschwörungsgurus antreffen.
    Wem‘s gefällt, neben Reichsbürger- und Naziflaggen zu demonstrieren...
    Vielleicht wird es dann wieder heißen: „Schaut wieviele wir sind, wir können uns doch nicht irren“.
    Da werden aus 25 Tausend dann auch gerne mal 1,3 Millionen.
    Richtig, auch deren Demonstrationsrecht sollte niemand infrage stellen

    Die oben genannten Zahlen geben ein besseres Bild über die Meinung der Bürger, „auf die man doch bitteschön hören sollte“.

    Ja, in Belarus und Berlin gehen Menschen auf die Straße, um gegen die Diktatur zu demonstrieren.
    Findet den Fehler.

    Das verbindende Element in dieser heterogenen Masse ist es, dagegen zu sein. Gegen die Maßnahmen, gegen den Staat, gegen die Regierung, gegen die Virologen, gegen die Wissenschaftler, gegen Ärzte ... die nicht ihre Sicht teilen.
    Tragfähige, verantwortbare alternative Konzepte?

    Individuelle Freiheit ist ohne individuelle Verantwortung nicht zu haben.
    Ein Dialog mit den Rändern ohne Verständigung über zumindest diesen Grundsatz ist m.E. obsolet.

  • An dieser Stelle möchte ich Oswald Schröder ein Kompliment für seine Kommentare im Allgemeinen machen. Auch wenn man nicht immer mit seiner Sichtweise übereinstimnen mag, find ich seine Kommentare immer differenziert und mit der gelungenen Balance zwischen Heimatverbundenheit und Weltoffenheit. Das passt - weiter so!

  • Sehr geehrter Herr Leonard,

    Sie verweisen auf Folgendes:„In Deutschland zumindest ist es so, dass 60% die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als angemessen und 28% als zu wenig weitreichend erachten! Gerade einmal 10% sind mit den Maßnahmen nicht einverstanden. Mehr als 3/4 der Menschen sind der Meinung, dass Verstöße gegen die Hygienemaßnahmen stärker geahndet werden sollen.“

    Frage: Wie erklären Sie sich denn, dass eine der Säulen der Coronabekämpfung, nämlich die Corona-Warn-App, seit ihrer Verfügbarkeit (17.6.) bis heute lediglich 17,5 Millionen Mal heruntergeladen wurde. Das sind knapp 25% der „handy-fähigen“ Deutschen? Ich denke mal, die fehlenden 75% stehen dann doch nicht so sehr hinter den Corona-Maßnahmen, wie sie gegenüber einem Meinungsforschungsinstitut vorgeben. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1125951/umfrage/downloads...)

    Sie bemerken dann noch: „Wem‘s gefällt, neben Reichsbürger- und Naziflaggen zu demonstrieren...“ Zum einen ist es interessant ist, dass Sie diese Bemerkung noch vor Beginn der Demo posten. Zum anderen lautet die Frage wohl eher, wer mit wem mitgelaufen ist.

    Also Herr Leonard, ich war gestern in Berlin dabei. Ich habe einen Karton auf der einen Seite mit „Gesundheit = wertvoll, Würde = unantastbar“ und auf der anderen Seite mit „Ohne Freiheit, keine Würde!“ beschriftet. Ich kann nun nur aus ganz persönlicher gestriger Erfahrung berichten. Da wäre zunächst die Anzahl Teilnehmer. Es waren verdammt viele, aber eine konkrete Zahl kann ich nicht schätzen. Es wäre hilfreich, wenn die Polizei ihre Luftaufnahmen aus dem permanent umherkreisenden Hubschrauber veröffentlichen würde, so könnte jeder sich seine eigenen Zahlen „basteln“.

    Und ja, ich habe einige kleine Grüppchen von Reichsbürgern gesehen, die aber im Hauptzug nichts von sich hören ließen. Die einzige nähere Begegnung mit diesen Leuten kam in der Schlange zu einem Kiosk zustande. Die wollten Bier (es war 10.30), ich wolle ‚nen Kaffe. Der Reichsbürger vor mir beklagte sich über den hohen Preis für das Heineken-Bier, hatte aber Verständnis für den Verkäufer, der offenkundig einen Migrationshintergrund hatte, da er ja wohl eine hohe Miete an diesem Standort vor dem Adlon zahlen müsste.

    Und ja, ich habe mit etlichen Verschwörungsanhängern gesprochen. Es handelte sich durchweg um Menschen, die auf der Suche nach einer Erklärung für das in ihren Augen unmögliche Verhalten der Politik waren, und schließlich bei den Verschwörungstheorien „fündig“ wurden. Mein Vorwurf gegenüber Letzteren war, dass sie es sich zu einfach machen würden, und auf diese Weise ungewollt, es ihren „Gegnern“ ebenfalls zu einfach machen würden.

    Und dann war da noch die Begegnung mit einer Gegendemo von jungen "Linksradikalen". Sie hatten sich zu etwa 30 am Rande des Hauptzugs versammelt, hielten ein Transparent mit folgender Aufschrift hoch:“Wir müssen zusammenstehen, Nazis raus!“ Ich fand das interessant und fragte die Polizisten die mich von diesen jungen Menschen trennten, ob ich mit denen reden könnte. Der Polizist:“Sie können es gerne versuchen.“ Also stellte ich mein Plakat am Absperrgitter so auf, dass diese „Linksradikalen“ abwechselnd beide Seiten lesen konnten. Sie zeigten mir unisono nur den Stinkefinger und skandierten „Nazis raus!“. Ich rief ihnen zu, während ich auf mein Plakat verwies:“ Was ist daran falsch? Und ich bin weder Nazi, noch Verschwörungsanhänger, noch Reichsbürger.“ Ich zeigte auf einen jungen, besonders lautstarken Mann und bat ihn zu mir zu kommen. Er näherte sich ein paar Schritte, aber umso lauter skandierten seine Mitstreiter „Nazis raus!“ Darauf ging er wieder zu seinen Leuten zurück. Ein Demonstrant in meinem Alter (60 Jahre) hat sich das angeschaut und schimpfte über die „Linksradikalen“. Und wand sich dann mir zu, um mir zusagen, dass er seine Tochter an diese „Radikalen verloren“ hätte. Ich fragte, ob es sein könnte, dass er die falschen Argumente hatte. Er schaute mich groß an und polterte weiter, „das ist aussichtslos, genau wie mit diesen Polizisten, die mit der Weste wo drauf steht „Kommunikationsteam“, mit denen kannst du doch auch nicht reden.“ Ich sagte, probier's aus. Der fragliche Polizist hatte die Debatte mitbekommen und schaute interessiert rüber zu uns. Ich ermutigte meinen Altersgenossen, der dann den Polizisten ansprach, worauf die beiden ins Gespräch kamen. Derweil sprach mich ein andere Demonstrant und sagte:“Ich bin nicht der Meinung dieser jungen Linksradikalen, aber gut dass sie da sind. So funktioniert Demokratie“. Mittlerweile war das andere Gespräch zwischen dem „Polterer“ und dem Kommunikations-Polizisten friedlich zu Ende gegangen. Ich drückte dem Polizisten, der mittlerweile seinen Helm abgelegt hatte die Daumen und wandte mich noch einmal an den „Polterer“ und bat ihn mir einen einzigen Gefallen zu tun, und zwar sich einzugestehen, dass zumindest ein Vorurteil erledigt sei. Er gestand es ein und schien seinen Groll vergessen zu haben.
    Dann zog jeder seiner Wege. Das „Lustige“ war, dass gerade während dieser Begegnung mit den „Linksradikalen“ eine als Indianer verkleidete Gruppe von Hippies mit Peace-Fahne und Blumen in den Haaren hinter mir vorbeizog. Ich konnte es mir nicht verkneifen, den „Linksradikalen“ zuzurufen:“Sind das auch Nazis?“

    Dann stand ich irgendwann in einer Schlange vor einem indischen Restaurant, das auch kalte Getränke am Tresen verkaufte. Ein Polizist in voller Montur zog seinen Helm aus und ging an der Warteschlange vorbei direkt zur Theke. Der arme Kerl schwitzte höllisch. Er bestellte zwei große Flaschen Cola, wollte zahlen, aber der Wirt wank ab. Alle wartenden hatten Verständnis für die Eile des Polizisten und klopften ihm verbal (anfassen wäre ihm vielleicht ungehörig vorgekommen) auf die Schulter und machten ihm bereitwillig den Weg frei, damit er wieder schnell zu seiner Truppe zurück konnte.

    Ich erlebte wie eine junge Frau mit einem Sixpack Spa-Wasser zu Polizisten ging, die uns gerade mal wieder mit einer Sperre gestoppt hatten, und ihnen das Wasser anbot. Sie lehnten freundlich ab, daraufhin stellte die Frau das Wasser vor ihnen auf dem Boden ab. Die Polizisten nickten freundlich. Ob sie es später doch genommen haben, kann ich nicht sagen.

    Am Ende auf dem Weg zu unserem Bus marschierte ich alleine (hatte mal wieder meine "Truppe" verloren) mit meinem Plakat durch den Tiergarten. Ein junges Ehepaar mit Kinderwagen kam auf mich zu, und riet mir, dass Demo-Schild wegzulassen, da ich ansonsten Gefahr laufe, von „normalen“ Berlinern, die kein Verständnis für die Demo hätten, verprügelt und „gefedert“ zu werden. Ich bedankte mich für den Tipp, habe ihn aber nicht beherzigt. Ich kam schließlich unversehrt am Bus an.

    Ich könnte jetzt etliche solcher kleinen Geschichten erzählen, aber das würde den Rahmen eines Leserkommentars sprengen. Nur noch das: Es herrschte sowohl unter den Linden, als auch zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule ein absolut friedliche Stimmung, sogar dann wenn die Polizei den Zug mehrere Male mit Hilfe von Mannschaftswagen oder Polizistenkette und ohne Vorwarnung stoppte bzw. durchtrennte. Im Gespräch mit den Polizisten stellte sich dann jedes Mal heraus, dass es weiter vorne im Zug drohte, zu eng zu werden.

  • Die Demonstration in Berlin hat gezeigt was passiert, wenn unzufriedene Bürger, und z.T. abgedrehte Freiheitskämpfer gemeinsame Sache mit Antidemokraten, Reichsbürgern und Rechtsradikalen machen.

    Demokratische Grundrechte - um deren Erhalt es doch u.a. gehen sollte - werden mit Füßen getreten, Dialog erschöpft sich in niedermachenden Parolen und unsäglich hetzerischen Plakaten.

    Wenn das Ganze mit dem Sturm auf den Reichstsg endet wird deutlicht, dass weniger das Problem darin besteht, die Demokratie totzuschützen, als die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen.

    Die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass es mit demokratischer Legitimation möglich ist, einen Diktator zur Macht zu verhelfen.

    Manchmal ist Dialogbereitschsft ehrenhaft, aber nicht zielführend.

  • Sehr geehrter Herr Schmitz,
    Vielen Dank für Ihre Schilderungen aus Berlin. Und dass sie den Mut und die Zeit aufgebracht haben, dorthin zu gehen. Dass diese Demo letzten Endes doch stattfinden konnte, ist ein Beweis für einen funktionierenden Rechtsstaat. Es wäre erfreulich, wenn auch mehr Journalisten so detailreich und ausgewogen berichten würden. Gerade in den Tagen vor der Demonstration haben sich viele Medien herausgenommen, diese Demonstration tot- und schlechtzureden. Ich verweise auf den unsäglichen, arroganten Kommentar von Oliver Jarasch in den Tagesthemen vom 28.08.2020.
    Herr Leonard, Sie sind der Meinung, die Spaltung sei nur ein Phänomen der"rechten und linken verschwörungsaffinen Ränder"? Da mache ich aber ganz andere Erfahrungen. Die Corona-Massnahmen werden vielleicht noch von einer Mehrheit erduldet und hingenommen, aber bestimmt nicht bejahend hochgehalten. Den allermeisten Menschen mit denen ich spreche (nicht nur in meinem Bekanntenkreis) gehen die Massnahmen, aktuell die Maskenpflicht in den Sekundarschulen, zuweit. Und es ist eine stille Wut und Ohnmacht in der Bevölkerung zu spüren.
    Ich unterstelle den öffentlich-rechtlichen Medien nicht , dass sie lügen. Aber sie sind bei weitem nicht fähig, differenziert, fundiert und ausgewogen zu berichten.

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