„Ja, mir sein mit’m Rudel da...“

„Auf dem Gebiet unserer Direktion haben wir zwei nachgewiesene italienische und drei polnische Wölfe“, erklärt Michael Pankert. Er ist in der Forstdirektion Malmedy-Büllingen der Wolfsbeauftragte und hat als solcher eine entsprechende Ausbildung bekommen. Die erste Schulung für belgische Forstbeamte fand im Winter 2016, damals noch in Frankreich statt, erinnert sich Pankert. Also ca. zwei Jahre, ehe der erste Wolf im Hohen Venn heimisch wurde. Mittlerweile hat man ihm auch einen Namen verpasst: „Akela“. Anders als im „Dschungelbuch“ von Rudyard Kippling, ist der Akela im Venn aber kein fiktiver Wolf, sondern einer aus Fleisch und Blut. Und er ist nicht der einzige, der in den zwölf Gemeinden, für die die Forstdirektion Malmedy zuständig ist, oder anderswo in Belgien Spuren hinterlassen hat.

Seit kurzem werden bei uns auch italienisch-alpine Wölfe nachgewiesen

Mehr als 400 „verdächtigen“ Spuren ist man in den letzten Jahren in der Wallonie nachgegangen. Diese reichen von Bissspuren an Beutetieren über Kot, Fußspuren, Sichtungen und Fotos bis hin zu Haarmaterial oder Wolfsheulen. Erst vor einigen Wochen hat man so auf dem Gebiet der Gemeinde Bütgenbach – der genaue Fundort wird geheim gehalten – einen Hirschkadaver gefunden, an dem man so viel qualitativ gutes genetisches Material entnehmen konnte, dass der Nachweis möglich war, dass es sich um einen männlichen Wolf der italienisch-alpinen Familie handelte. Erst am 16. April wurden zwei Lämmer in Briquemont nahe Rochefort gefunden. Hier war erneut ein Wolfsrüde am Werk gewesen, allerdings von der polnisch-deutschen Gruppe, der auch Akela angehört. Es ist also in Belgien, wo die zwei großen europäischen Wolfsfamilien zusammenkommen.

Von den bis zum 19. Februar dieses Jahres 137 nachgewiesenen Bissspuren wurden 70 an Haus- bzw. Nutztieren festgestellt. 67 Mal handelte es sich um Wild. In rund der Hälfte der Fälle war eindeutig oder wahrscheinlich ein Wolf am Werk. Wie Michael Pankert erklärt, reicht die Beute des Wolfes von Hasen über Rehe und Wildschweine bis hin zu Hirschen. Es können aber auch Füchse, Dachse oder Waschbären sein, die mittlerweile auch bei uns vermehrt auftauchen: zum Leidwesen der Forstämter, die solche „invasiven“ Arten bekämpfen.

Der Wolf ist ein stolzes Raubtier und kein Schoßhündchen.

Der Wolf gehört nicht dazu. Vor etwas mehr als 100 Jahren wurde der letzte Wolf in unserer Region erlegt. Jetzt ist er zurück und wird wahrscheinlich auch bleiben, schätzt Michael Pankert. Auch wenn es allem Anschein nach im Hohen Venn dieses Jahr nicht zu Nachwuchs kommen wird. In der Tat, so Pankert, dauert die Ranz- oder Paarungszeit bei Wölfen nur sieben Tage im Jahr, „irgendwann zwischen Februar und April. Nach in der Regel 63 Tagen ist dann der Nachwuchs da.“ Zwar durchstreifte Anfang des Jahres eine Wölfin das Gebiet, doch sie scheint nicht geblieben zu sein.

Mit Wolfsnachwuchs hatte man in Flandern bereits letztes Jahr gerechnet, doch dann war die trächtige Wölfin „Naya“ spurlos verschwunden – vermutlich gewildert oder vergiftet. In manchen Medien war gar von „Mord“ an einer „schwangeren“ Wölfin die Rede. Der Wolf beflügelt offensichtlich die Fantasie, Verniedlichungen bleiben nicht aus. Der Ruf nach drastischen Strafen und einem Jagdverbot wurde laut.

Jagdverbot oder, im Gegenteil, gezielte Bejagung des Wolfes?

Einen solchen Aufruf gibt es jetzt auch in der Wallonie. Die VoG „Wolf Eyes“ ruft dazu auf, in einem Umkreis von 25 Kilometer um Weismes die Jagd bis zum nächsten Frühjahr zu verbieten. 7.700 Unterschriften hatte man bis zum vergangenen Wochenende für das Ansinnen gesammelt.

In Frankreich und der Schweiz sowie in einigen deutschen Bundesländern, unter anderem Brandenburg, ist die Euphorie, zumindest bei den Haltern von Weidetieren und den Tourismusmanagern in einigen Regionen, längst verflogen. So hat sich der Wolf im Südosten Frankreichs in den letzten 25 Jahren so stark vermehrt, dass die Betroffenen eine Änderung der bisherigen Praxis fordern, wonach der Wolf nicht oder nur in extremen Fällen erlegt werden kann. „Entnommen“, sagt man dazu in Deutschland. „Wenn der Wolf uns angreift“, bringt es Georges Stoffel auf den Punkt, „dann müssen wir ihn auch jagen dürfen“. Er ist aus Ostbelgien in die südöstliche Schweiz ausgewandert und betreibt dort eine Alp. Auch dort ist der Wolf längst angekommen und hat die Scheu vor dem Menschen weitgehend abgelegt.

12.000 Nutztiere rissen Wölfe 2018 in Frankreich.

In Frankreich ist die Situation mittlerweile derart eskaliert, dass Schutzmaßnahmen wie überhöhte elektrische Zäune, wie sie auch die Wallonische Region betroffenen Viehhaltern bereits zur Verfügung stellt, nicht mehr ausreichen. Und die Schutzhunde der Schafsherden sind durch die Omnipräsenz des Wolfes derart aggressiv geworden, dass sie mittlerweile auch schon Touristen und sie deren Hunde angreifen, wie Georges Stoffel zu berichten weiß.

Ende April fand in Halberstadt in Sachsen-Anhalt ein internationales Wolfssymposium statt. Neben Patrick Verté vom Umweltamt der Wallonischen Region war Michel Meuret einer der Redner. Er ist Forschungsdirektor am Institut für Agrarforschung in Montpellier. Über 12.000 Nutztiere, so seine Aussage, wurden 2018 in Frankreich vom Wolf gerissen. Und das, obschon über 2.500 Viehhalter die erforderlichen Schutzmaßnahmen bis hin zur Einstellung von Hilfsschäfern ergriffen hätten. „Wölfe sind intelligente und sehr anpassungsfähige Wesen“, bestätigt Michael Pankert. Irgendwann legt der Wolf dann auch seine natürliche Scheu ab. So erfolgen in Frankreich Angriffe gegen Schafsherden mittlerweile häufiger tagsüber als nachts. Fotos zeigen ganze Wolfsrudel, wie sie die Herden „ausspähen“. Deshalb fordert Meunier, dass man den Wolf in der Nähe von Herden und menschlichen Siedlungen jagen muss. Der Wolf, so seine Argumentation, müsse begreifen, dass es in der Nähe des Menschen und seiner Nutztiere für ihn gefährlich ist. Denn laut der Berner Konvention und der EU-Habitat-Richtlinie darf der Wolf nicht gejagt werden. Und natürliche Feinde hat er nicht. Zumindest nicht, solange es keine Bären gibt.

Sind erst einmal Rudel heimisch geworden, wächst die Population rasant.

Und ist der Wolf einmal irgendwo heimisch geworden, geht es schnell. Da sich die Anzahl der Wölfe in der Regel jährlich um 30% erhöht, entsteht nach einer Zeit eine exponentielle Wachstumskurve. In Frankreich und Deutschland diskutiert man kontrovers, wie man damit umgehen soll. Als das Bundesamt für Naturschutz jüngst eine Studie vorlegte, wonach in Deutschland Platz für 14.000 Wölfe sei, entgegnete der Deutsche Bauernverband, damit werde die Weidetierhaltung „zur Wolfsfütterung degradiert“.

Ähnlich sarkastisch spricht Michel Meuret angesichts von rund 500 nachgewiesenen Wölfen in Frankreich von einem „vollen Erfolg“ in Bezug auf die „Dynamik der Wölfe“ vor allem im alpinen Raum, aber auch in den Vogesen, von wo die Wölfe weiter Richtung Wallonie und Hohes Venn gezogen sind.

Der Wolf als Regulator ist wie ein Hai des Waldes.

Hier steht man noch am Anfang der Entwicklung. Michael Pankert sieht durchaus die möglichen Gefahren. Er sieht aber auch im Wolf als natürlichem Regulator eine Bereicherung der Fauna hierzulande, mit positiven Auswirkungen auch auf die Flora, wie sich im Yellowstone Park in den USA gezeigt habe. So zwinge der Wolf Rot- und Schwarzwild zu mehr Bewegung, wodurch der Wildverbiss zurückgehe. Auch entnehme er kranke Tiere. „Er ist so etwas wie ein Hai des Waldes“, so Pankert. Solange der Wolf Nahrung in den Wäldern finde, sei die Gefahr für Nutztiere gering. Dass es trotzdem bereits Übergriffe gegeben hat, beweisen die vorliegenden Zahlen und Analysen.

Die Koexistenz von Weidewirtschaft und Wolfsschutz kostet ganz schön Geld.

In der Wallonie richtet man sich jetzt endlich auf das Zusammenleben von Mensch und Wolf ein. Ein „Wolfsplan“ ist in Arbeit. Er wurde in den letzten Wochen mit den betroffenen Verbänden und Vereinigungen abgestimmt und soll in den nächsten Wochen von Umweltministerin Céline Tellier (Ecolo) ins Kabinett und später in das wallonische Parlament eingebracht werden. Bereits jetzt sorgen sich Abgeordnete, u.a. die Hauseterin Christine Mauel (PFF), um die durch den Wolf verursachten Schäden.

Dass die nicht gerade gering sind, zeigen nachgewiesene Zahlen aus Frankreich. Dort verursacht mittlerweile jeder erwachsene Wolf jährlich Kosten von rund 80.000 Euro. Davon entfallen rund 65.000 Euro auf den Staat und die EU, rund 15.000 Euro Schaden bleiben an den Viehhaltern hängen. Spätestens wenn es das erste Rudel in der Wallonie gibt, sollte eine Gesetzgebung die Koexistenz vorausschauend regulieren.

Kommentare

  • Endlich ist er wieder zurück. Ich hoffe, das er diesmal nicht mehr gejagt wird. Denn jeder von uns weiß, das er niemanden etwas tut.

  • Für mich ist ein Wolf alles andere als ein harmloser Wald- und Wiesenbewohner.

    Wer auf dem Land aufgewachsen ist, wo fast jedes Haus seinen „Hofhund“ hatte und dieser auch schon mal die Zähne fletschte, weis wohl wovon ich rede. Und Hunde können ganz schön gefährlich sein, insbesondere wenn mehrere zusammen in einem „Rudel“ rundstreunen. Das nun der Wolf, das Raubtier, von dem unser Purzel und Bello abstammen so harmlos sein soll bezweifele ich doch sehr.

    Außerdem ist es doch paradox. Wenn im Zoo der Löwe mit einer lebenden Ziege gefüttert wird, wenn Tiere bei der Schlachtung nicht richtig betäubt oder wenn Schafe rituell mit einem Schnitt eines scharfen Messers durch die Halsschlagader geschächtet werden ist der Aufschrei groß; wenn aber Nutztiere wie Ziegen, Lämmer, Kälber, Rinder oder auch Rehe und Hirsche von einem Wolff im wahrsten Sinne des Wortes gerissen werden, so ist das voll in Ordnung?

    Früher liefen Hunde frei, heute müssen sie an die Leine um Mensch und Tier zu schützen und morgen müssen sie an die Leine weil sie sonst vom Wolf gefressen werden? In unserem dicht besiedelten Lebensraum gibt es keinen Platz für Wölfe.

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