„AufGEklärt“: Wieso werden nicht alle Kranken auf Covid-19 getestet?

<p>In Lüttich kann man per Drive-In getestet werden. In der DG ist vor dem Krankenhaus in St.Vith ein Zelt des Roten Kreuzes für Covid-19-Schnelltests vorgesehen. Im St. Nikolaus-Hospital in Eupen steht dafür ein separater Raum zur Verfügung.</p>
In Lüttich kann man per Drive-In getestet werden. In der DG ist vor dem Krankenhaus in St.Vith ein Zelt des Roten Kreuzes für Covid-19-Schnelltests vorgesehen. Im St. Nikolaus-Hospital in Eupen steht dafür ein separater Raum zur Verfügung. | Foto: belga

Viele Menschen stellen sich in diesen Tagen die Frage: „Ich habe Corona-Symptome, aber niemand testet mich. Warum ist das so?“ Gesundheitsminister Antonios Antoniadis (SP) kennt die Antwort: „Getestet werden nur noch Patienten mit schweren Symptomen, die ins Krankenhaus eingewiesen werden mussten oder müssen, sowie Ärzte und Pflegepersonal.“

Der Grund: Aufgrund des knappen Testmaterials in Belgien müssen laut Antoniadis Prioritäten festgelegt werden. Außerdem sei der Virus – wie bei der Grippe – bereits im Umlauf, was in einem dicht besiedelten Gebiet wie Belgien keine Überraschung sei. Und da das Virus bei 80 Prozent der Infektionen symptomlos oder nur mit milden Symptomen verläuft, könnte es laut dem Gesundheitsminister auch sein, dass manche Personen das Virus in sich tragen könnten und es nicht einmal wissen.

Antoniadis: „Elf Millionen Tests sind utopisch und unmöglich durchzuführen. Selbst in den Nachbarstaaten werden nicht mehr alle Menschen getestet.“

Auch deswegen würden nicht alle Personen getestet, denn eine Covid-19-Diagnose sei nur dann sinnvoll, wenn durch eine gezielte Behandlung eine Genesung erfolgen könne. Antoniadis: „Bei milden Symptomen reichen Medikamente aus, die man in jeder Apotheke erhält.“ Wenn also keine Symptome auftreten, dann sei auch keine Behandlung notwendig. „Elf Millionen Tests (so viele Menschen leben in Belgien, A. d. R.), sind utopisch und unmöglich durchzuführen. Selbst in den Nachbarstaaten werden nicht mehr alle Menschen getestet.“

Dabei fordert die Weltgesundheitsorganisation WHO genau das. Am Montag erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus, dass Länder die Zahl der Tests deutlich erhöhen müssen. „Wir haben eine einfache Botschaft: Testen, testen, testen“, so der WHO-Chef in Genf: „Man kann ein Feuer nicht mit verbundenen Augen bekämpfen.“ In Belgien wurden seit dem Beginn der Epidemie etwa 16.000 Tests durchgeführt.

Minister Antoniadis sieht aber die Priorität woanders: „Nicht realistische Zahlen sind notwendig, sondern die Zeit, die man mit den ergriffenen rigiden Maßnahmen gewinnen kann, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Dabei helfen die Hygienetipps und vor allem die Einhaltung der Gesetze und Vorgaben des Föderalstaats.“ Wenn diese Vorgaben umgangen werden, dann müsse der Staat drastische Maßnahmen treffen. „Diese werden dann die Freiheiten des Einzelnen zum Wohle der Volksgesundheit einschränken“, erklärt der 34-Jährige gegenüber dem GrenzEcho.

„Die Dunkelziffer ist in allen Ländern enorm.“

Wenn also nicht alle Covid-19-Fälle bekannt sind, stellt sich die Frage nach der Höhe der Dunkelziffer. „Die Dunkelziffer ist in allen Ländern enorm“, gibt Antoniadis zu Protokoll: „Aus der Erfahrung mit anderen Viren schätzt die Wissenschaft, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung sich zwangsläufig irgendwann infizieren wird. Viele bemerken das nicht einmal. Wichtig ist, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig krank werden und dass vor allem die besonders gefährdeten Zielgruppen der hochaltrigen Senioren und der immunschwachen Menschen mit Vorerkrankungen sich nicht anstecken.“ Denn das würde selbst das beste Gesundheitssystem der Welt zum Kollabieren bringen, so der Gesundheitsminister. Und deswegen verfolge man das Ziel, mit entsprechenden Maßnahmen die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.

Wir stellten dem zuständigen Gesundheitsminister auch die Frage, ob die sogenannte „Traçage“, also die Rückverfolgung des Ursprungs der Infektion und somit die Erstellung einer Infektionskette, durch die hohe Dunkelziffer überhaupt noch nötig sei. Der SP-Politiker gab ohne Umschweife zu, dass das „fast keinen Sinn mehr macht“. Ähnlich verhält es sich mit der Statistik der in Ostbelgien bestätigten Fälle. „Die sagt nicht viel aus“, so Antoniadis.

Das Fazit also: Der Staat fokussiert sich derzeit mit voller Kraft auf den Schutz des Gesundheitssystems und der Menschen und behandelt die Statistik eher zweitrangig.

Sie haben eine brennende Frage? Schreiben Sie uns an aufgeklaert@grenzecho.be.

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