Kurzkrimi von „Wilma Wallace“ landet auf drittem Platz bei Wettbewerb „Mord vor Ort“

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Das Logo für den Kurzkrimi-Wettbewerb | Foto: Lupe

Rote Punkte tanzten vor ihren Augen, ihre Zunge war so angeschwollen, dass sie den ganzen Mundraum zu füllen schien. Keine Luft kam mehr durch, kein bisschen. Kein Schrei aus der Kehle, alles zugeschnürt. Bilder liefen vor ihrem geistigen Auge, von guten Tagen mit ihrem Mann und ihrem Sohn, lachend in der Sonne, ihre Eltern, die geliebten Pferde, ihre Kindheit...

„Oh Gott, ich sterbe!“, dachte sie noch und „Ich will noch nicht gehen!“. Doch sie war allein und niemand kam herbei, um sie zu retten. Es war kurz nach 12 Uhr mittags, als Kommissar Leo Willems von der Polizeizone Sankt Vith am Tatort eintraf. Ein gepflegtes Bruchsteinhaus, ruhig gelegen zwischen Feldern und Wald im Ourtal, umgeben von den hier obligatorischen Buchenhecken. Er war entsetzt beim Anblick des Gesichts der Toten. Sie lag auf dem Bauch auf dem gefliesten Boden des Badezimmers vor der Toilette.

Tod durch Ersticken, hatte der Arzt gesagt, aber das hätte er auch ohne Arzt gesehen. „Es muss ein qualvoller Tod gewesen sein“, dachte er schockiert. Sicherheitshalber würde er den Leichnam in die Gerichtsmedizin zur Obduktion bringen lassen. Eine Frau Anfang 40, offensichtlich gesund und fit, fiel doch nicht einfach so mal tot um. Da kein Fremdkörper sich in ihrem Hals befunden hatte, der das Ersticken erklärt hätte, wollte der Arzt sich nicht auf eine Todesursache festlegen. Er selbst ging auch lieber auf Nummer sicher.

Die Angehörigen der Toten zu informieren, war das Schlimmste. Kommissar Willems hatte schon einige Todesnachrichten überbracht, immer nach Verkehrsunfällen. Das hier war eine ganz andere Sache. Dass sie einen absichtlich herbei geführten Tod nicht ausschließen konnten, machte alles noch viel brutaler und unbarmherziger. Der Ehemann brach vor seinen Augen zusammen, der Sohn zog sich in sich zurück, unerreichbar. Eine Tote und zwei zerstörte Leben, dachte Willems verzweifelt. Er hasste seinen Beruf an diesem Tag.

Bereits im späten Nachmittag gab der Gerichtsmediziner seinen Bericht ab. Ursächlich für den Tod war eine Vergiftung mit Tropan-Alkaloïden und Scopolamin, beides Substanzen, die schon in geringer Menge tödlich waren. In ihrem Magen befanden sich Reste einer Mahlzeit, so auch einige Körner. Sie hatte wohl zum Frühstück Vollkornbrot zu sich genommen. Der Gerichtsmediziner vermutete, dass das Gift auf diesem Weg in ihren Körper gelangt sein könnte. Aufgrund der Dosierung musste sie etwa zwei Stunden nach Einnahme des Giftes verstorben sein.

Es wurden offiziell Ermittlungen wegen Mordes eingeleitet, Kommissar Willems war leitender Ermittler. Der Ehemann und der Sohn konnten kaum weiterhelfen. Sie wussten nicht, wer ihrer Frau und Mutter den Tod gewünscht haben könnte.

Die Familie führte ein glückliches, wenn auch eher zurückgezogenes Leben, sie behielten ihre Meinung meistens für sich und waren sich selbst genug. Feinde hatten sie nicht, wenn auch wenig echte Freunde. Die Tote war nicht wohlhabend gewesen, ihre finanziellen Verhältnisse waren ordentlich und ausreichend, aber von Reichtum weit entfernt. Auch hatte sie keine Lebensversicherung abgeschlossen und das Haus war so gut wie bezahlt, sodass sich ihr Mann an ihrem Tod nicht bereichern konnte.

Mann und Sohn waren kaum verdächtig, entschied Kommissar Willems. Ihre Verzweiflung war echt, ihre Trauer nicht gespielt, ein Motiv nicht zu entdecken. Er befragte auch die Eltern der Verstorbenen, es war ein fürchterliches Gespräch. Sie konnten einfach nicht verstehen, dass jemand ihrer Tochter nach dem Leben getrachtet hatte. Sie beschrieben ihr Verhältnis als nicht so eng, aber durchaus intakt, geprägt von Respekt und Wertschätzung. Der Kommissar empfand großes Mitleid, hier würde er seinen Täter nicht finden.

Die Aussagen der Nachbarn waren ähnlich. Keiner konnte sich vorstellen, wer dieser Frau den Tod gewünscht haben könnte. Die Bestürzung war enorm, das Mitgefühl mit Mann und Sohn tief und aufrichtig. Kommissar Willems kannte dieses Verhalten aus den kleinen Eifeldörfern. Hier kannte nun mal jeder jeden und oft genug missgönnte man dem anderen seine hübsche Frau oder tollen Mann, sein schickes Auto oder sein schmuckes Häuschen. Es wurde gelästert und geflüstert, was das Zeug hielt, hinter Gardinen hervor geschielt und beobachtet, was der Nachbar so trieb, aber wenn einem was passierte, rückte man zusammen. Hilfe wurde angeboten beim Kochen, Bügeln und Putzen, Gesellschaft für die langen Abende allein, Unterstützung bei Behördengängen oder zum Einkaufen. In der Not konnte man sich aufeinander verlassen. Zudem wuchs auch die Angst. Ein eiskalter Mörder hatte hier zugeschlagen, feige aus dem Hinterhalt, scheinbar ohne Grund. Und er war nicht enttarnt, würde er wieder zuschlagen?

Ein großes Problem für den Kommissar war, dass er kein Alibi überprüfen konnte, weil er nicht wusste, wann das Gift ins Brot gelangt war. Denn dass das Gift über das Brot in den Körper gelangt war, galt mittlerweile als sicher. Das Labor hatte ihn informiert, dass man im Mageninhalt 5 Samen des giftigen Stechapfels nachgewiesen hatte. Diese waren optisch kaum von Leinsamen zu unterscheiden, und daher wohl arglos vom Opfer verspeist worden.

Eine andere Frage trieb Kommissar Willems um: Was, wenn das Gift gar nicht für sie, sondern für ihren Mann bestimmt gewesen war? Hatte der Täter oder die Täterin vielleicht die Falsche erwischt? War der Mann in Gefahr? Er musste breiter ermitteln, auch die Familie des Mannes befragen, die bisher nicht in seinem Fokus gestanden hatte.

So machte er sich daran, die Schwiegereltern des Opfers zu befragen. Erstaunt hörte er, dass der Kontakt seit einigen Monaten unterbrochen und auch vorher nicht unproblematisch gewesen war. Es hatte immer wieder Reibereien und Spannungen gegeben. Nichts wirklich Sensationelles, ihm fielen auf Anhieb mindestens zehn Familien ein, wo das Verhältnis zwischen Schwiegermutter und -tochter denkbar schlecht war. Die Schwester des Ehemannes war da schon eine andere Sache. Sie gab offen zu, den Tod ihrer Schwägerin nicht zu bedauern, vielmehr gab sie an „froh zu sein, dass diese Person aus der Welt war“. Sie habe sie immerzu gedemütigt und erniedrigt, so jemanden könne sie nicht vermissen, gab die junge Frau an.

Kommissar Willems fühlte sich überrumpelt. Diese Aussage passte so gar nicht ins Bild, das er sich gemacht hatte. „Sie hat ständig so getan, als sei sie was Besseres. Dabei hat sie sich auf dem Erfolg meines Bruders ausgeruht. Ohne ihn war sie nichts. Und ihr verwöhnter Sohn schon zweimal nicht.“

„Sie wissen schon, dass Sie sich mit derartigen Aussagen verdächtig machen?“, fragte Kommissar Willems nach. „Es ist mir scheißegal, für wie verdächtig Sie mich halten“, bellte die junge Frau. „Ich bin wenigstens so ehrlich und gebe zu, dass ich sie gehasst habe. Aber umgebracht habe ich sie nicht, da können Sie so lange im Dreck wühlen, wie sie wollen! Und jetzt raus hier!“ Derart unsanft vor die Tür gesetzt, musste Kommissar Willems erst mal ein paar Schritte gehen, um sich beruhigen. Er machte einen kurzen Spaziergang durch das kleine Dorf, da kam ein kleiner Junge auf ihn zugelaufen. „Hallo, bist du der Polizist?“, fragte ihn der Knirps. „Ja, ich bin Kommissar Willems. Und du?“ „Ich bin der Sascha. Kannst du mir helfen, jemand hat mir was geklaut“, sprach der Kleine weiter. „Was wurde denn gestohlen?“, wollte der Kommissar wissen. „Meine Sonnenblume, hier hat sie gestanden! Jemand hat sie ausgerissen und mitgenommen!“

„Tut mir leid, Sascha, aber da kann ich dir leider nicht weiterhelfen. Aber schau mal da oben, um das Maisfeld herum, da stehen überall Sonnenblumen. Da findest du bestimmt eine neue.“ „Nee, die will ich nicht! Meine war riesig und hatte noch nicht geblüht. Die da oben sind ja schon am Verwelken. Bist du überhaupt ein richtiger Polizist?“, fragte Sascha zweifelnd. „Ja klar“, lachte Kommissar Willems, „aber für entführte Sonnenblumen ist die Polizei nicht zuständig. Tut mir leid, Kleiner!“ „Ich bin nicht klein“, rief Sascha beleidigt und lief weiter. Kopfschüttelnd ging auch Kommissar Willems weiter. Zumindest hatte der Kleine ihn auf andere Gedanken gebracht.

Am nächsten Morgen war Kommissar Willems früh auf den Beinen. Er hatte am Abend noch ein aufschlussreiches Gespräch mit einem befreundeten Botaniker geführt, hatte eine Untersuchung angeordnet und war in seiner Annahme bestätigt worden. Nun klingelte er im Morgengrauen bei den Schwiegereltern des Opfers. Es dauerte eine Weile bis die Tür geöffnet wurde, er hatte sie offensichtlich geweckt. Die Verärgerung über die frühe Störung war ihnen anzusehen. Der Kommissar hielt sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf, sondern kam sofort zum Punkt. „Was ist mit Ihren Händen geschehen?“, fragte er die Frau. „Ich habe mich beim Kochen verbrannt, wieso?“, antwortete sie verständnislos. Darauf war Kommissar Willems vorbereitet. „Ihre Haut reagiert auf die Sporen, die die Wurzeln der Stechapfelpflanze freisetzen, wenn sie ausgerissen werden. Dort oben, auf der Wiese gleich neben ihrem Haus, stand eine solche Pflanze. Ein kleiner Junge hat mir die Stelle gezeigt. Er wollte die stattliche Pflanze behalten, weil er sie für eine riesige Sonnenblume hielt. Wir haben Reste der Wurzeln in dem Loch gefunden. Sie haben Ihrer Schwiegertochter die Samen aufs Brot gestreut. Einen Hausschlüssel haben sie. Sie haben abgewartet, bis alle aus dem Haus waren. Sie wussten, dass Ihre Schwiegertochter immer allein frühstückt, nachdem sie den Sohn zum Bus gebracht hat. Nachdem sie tatsächlich gestorben war; aufgrund der hohen Dosierung vermuten wir, dass sie sich dessen nicht sicher waren; haben sie die Pflanze ausgegraben und entsorgt. Die Sporen rufen Hautreizungen hervor, die wie Verbrennungen aussehen. Wir werden ihre Hände untersuchen und es beweisen!“

„Sparen Sie sich die Mühe, Herr Willems. Mir ist es egal. Ich habe sie umgebracht, sonst hätte meine Tochter es getan. Sie konnte ihre hochmütige Art nicht länger ertragen. Diese Frau hat so viel Glück mit meinem Sohn, das hat sie nicht verdient. Meine Tochter ist komplett an den Falschen geraten, der hat sie prompt sitzen gelassen. Jetzt schlägt sie sich durch mit ihren Kindern und kämpft Tag für Tag, während mein Sohn und seine feine Frau ständig mit ihrer großartigen Beziehung angeben und ihren Sohn über den grünen Klee loben und das Geld mit vollen Händen ausgeben.“ „Dafür musste sie sterben?“ „Ja, dafür. Meine Tochter wird noch gebraucht, ich habe mein Leben sowieso satt. Wieso ihr nicht den Beweis erbringen, dass auch sie bedingungslos geliebt wird? Wir können gehen, Herr Willems.“

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