Brieftaubenzucht: Bald ausgestorben oder wieder angesagt?

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Brieftauben sitzen in einem Brieftaubenverein in einer Voliere. | Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Es gab sie schon in der Antike, in den Weltkriegen waren sie an der Front, und in manchen Ländern können sie heutzutage eine Millionensumme kosten. Brieftauben haben in Deutschland zu Boomzeiten mehr als hunderttausend Züchter begeistert. Die Schar der Anhänger ist zwar kleiner geworden. Wer die Brieftaubenzüchter deshalb für eine bedrohte Spezies hält, könnte aber überrascht werden. Denn am ersten Januar-Wochenende (4./5.1.) werden rund 200 Aussteller aus Europa und Asien zur internationalen Brieftaubenmesse in Dortmund einfliegen. Und mindestens 12.000 Besucher erwartet der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter.

Ein engagierter Züchter ist Marcel Krause aus Kamen. „Man baut zu jedem Tier eine Verbindung auf“, erzählt der 27-Jährige. Er kann sie alle auseinanderhalten – für Laien schwer vorstellbar bei den 120 Vögeln, die sich in seinem Taubenschlag im Ruhrgebiet um die Futterstellen scharen. Man erkennt sie an Muster und Farbschattierung im Gefieder und an der Kopf- und Körpergröße, schildert Krause zwischen Gurren, Geflatter und Getöse. „Außerdem wird die Hornhaut auf den Schnäbeln mit dem Alter voluminöser.“ Das älteste Tier ist 16 Jahre. Die Männchen haben in dem Schlag jeweils eine eigene Box mit Sitzplatz, die Weibchen hocken aufgereiht an der Wand.

1960er: die goldenen Taubenzüchterjahre

Wie kommt ein junger Gesamtschullehrer auf Brieftauben, fällt das nicht total aus der Zeit? „Ich habe das über die Familie mit ins Blut bekommen.“ Opa Krause war Bergmann und hatte sich die Vögel angeschafft. In den 1960ern – den goldenen Taubenzüchterjahren – waren unter damals bundesweit gut hunderttausend Züchtern viele Bergleute. „Fast alle hatten Tauben. Sie kamen damit zur Ruhe. Wenn man unter Tage gearbeitet hat, war es auch ein bisschen ein Freiheitsgefühl, wenn die Tauben in die Weiten des Himmels geflogen sind“, sagt Elena Finke vom Verband Deutscher Taubenzüchter.

Vom „Rennpferd des kleinen Mannes“ oder dem „gefiederten Rennpferd“ war früher viel die Rede. Auch heute komme etwa ein Drittel der noch gut 30.000 Züchter aus dem Ruhrpott. Das Hobby sei allerdings zeitaufwendig, betont Finke. Viele Züchter sind inzwischen im hohen Alter. Nachwuchs zu gewinnen, sei nicht einfach.

Marcel Krause war schon als Jugendlicher dabei und hat einige Preise abgeräumt. 2020 will er ab Ende April wieder etwa 60 Tauben in die Wettkämpfe schicken. Alle tragen einen Ring. So sind sie identifizierbar, die Flugzeit wird elektronisch erfasst. Im Winter bekommen sie Körnerfutter: Mais, Erbsen, Hanf, Gerste, Weizen und dazu Mineralien. In der Zuchtphase wird's eiweißhaltiger. Bis Juni füttere er seinen Vögeln dann alles, was auch Leistungssportler zu sich nehmen, sagt Krause. Magnesium, Fette, Kohlenhydrate. Allein fürs Futter gibt er pro Jahr einen Tausender aus.

„Sie prägen sich Fixpunkte ein und finden wieder zurück.“

Der 27-Jährige testet die Tiere auf Trainingsflügen. „Sie prägen sich Fixpunkte ein und finden wieder zurück.“ Die stärksten wählt er für die Wettbewerbe aus, mit Distanzen von bis zu 600 Kilometern. In speziellen Lkw werden die Tauben zum Startpunkt gebracht, auf ein Signal öffnen sich die Boxen. „Manche schaffen 130 Kilometer pro Stunde. Bei längeren Strecken können sie schneller am Ziel sein als ein Auto.“

In einigen ländlichen Regionen Deutschlands lebe das Hobby wieder stärker auf, meint Krause. International habe das Hobby einen hohen Stellenwert. In Osteuropa – Polen, Rumänien oder Bulgarien – sei die Taubenzucht sehr beliebt. Und in einigen ostasiatischen Ländern gibt es einen regelrechten Hype um die Tauben. In China sind sie für Reiche auch als Geldanlage attraktiv. Für die stärksten Vögel werden siebenstellige Summen gezahlt. Mit ihnen lassen sich bei Turnieren saftige Preise erzielen.

Manche Tauben sterben, werden verletzt oder entkräftet aufgefunden.

Der Tierschutzbund kritisiert eine Ausbeutung der Vögel. Es gebe hohe Verlustraten bei Trainings- und Wettflügen. Manche Tauben sterben, werden verletzt oder entkräftet aufgefunden – nach Verfliegen, Zusammenprall mit Windrädern oder elektrischen Oberleitungen. Es sei von Hunderttausenden betroffenen Vögeln alljährlich auszugehen, die teilweise elendig zugrunde gingen, sagt Artenschutzreferentin Henriette Mackensen.

Krause beobachtet: „Die Tauben wollen raus, die haben eine unendliche Lust zu fliegen.“ Wirke eine aber bei Übungsflügen ausgelaugt, bleibe sie daheim, werde aufgepäppelt. Der Züchter verbringt mehrere Stunden am Tag mit seiner Schar. Für ihn ist klar: „Das Wohl der Taube steht im Vordergrund, der Wettkampf an zweiter Stelle.“ (dpa)

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