Tuchel auf gepacktem Koffer: „Müssen uns alle hinterfragen“

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Thomas Tuchel steht ziemlich unter Druck. | Foto: Tom Weller/dpa

Das Bild mit dem angeblich reisefertigen Aluminiumkoffer gefiel Thomas Tuchel überhaupt nicht, dabei hatte er es selbst geschaffen. „Den habe ich extra mitgebracht von zu Hause“, sagte der scheidende Trainer von Bayern München sarkastisch über die ungewöhnliche Sitzgelegenheit in seiner Coachingzone und ergänzte genervt: „Ist alles schon gepackt.“

Freut euch nicht zu früh, sollte das heißen - noch bin ich da! „Sehr gut“, tue dieses 2:1 (0:0) gegen RB Leipzig im 1000. Bundesliga-Heimspiel, das Superstar Harry Kane per Doppelpack herausgeschossen hatte, bekannte Tuchel. Und während er das befreiende Gefühl des Sieges nach drei quälenden Niederlagen auskostete, beobachtete er genüsslich, wie sich ein ganzer Verein ob der Trennung vom Trainer öffentlich selbst geißelte.

„Es wirft ein schlechtes Bild auf uns alle“, sagte der starke Kapitän Manuel Neuer und warf sich bei Sky live im TV regelrecht in den Staub: „Jeder Spieler sollte ein schlechtes Gewissen haben und sich an die eigene Nase fassen!“ Es sei ja schon in der Schule so, „dass nicht immer der Lehrer schuld ist an den schlechten Zeugnisnoten“.

„Lehrer“ Tuchel hörte es gern, zumal Präsident Herbert Hainer den nächsten Rauswurf eines prominenten Coaches nach Hansi Flick und Julian Nagelsmann ähnlich selbstkritisch kommentierte. „Wir müssen uns alle hinterfragen: Die Mannschaft, der Trainer, wir in der Führung - und das tun wir.“ Er versprach, die Bayern würden aus dem Schlamassel „die richtigen Schlüsse ziehen und das Richtige tun“.

Also den Überfliegern aus Leverkusen Xabi Alonso abspenstig machen? „Das ist jetzt kein Thema für uns“, beteuerte Sportdirektor Christoph Freund, dem die Bayern in der Aufsichtsratssitzung am Montag einen gewissen Max Eberl als Vorstand vor die Nase setzen werden. Weil „uns mehr Kompetenz und mehr Qualität im Management nur gut tun kann“, wie Vorstandschef Jan-Christian Dreesen betonte.

Gemeinsam wollen die Großkopferten mit Eberls Amtsantritt am 1. März die tiefer liegenden Probleme angehen. Hainer wie Dreesen wehrten sich vorsorglich gegen den Eindruck, dass ihre Ansammlung von Topstars untrainierbar sei. „Ach, das würde ich so nicht sagen“, entgegnete der Präsident auf eine entsprechende Frage. Dreesen meinte: „Ich glaube nicht, dass es angemessen ist, jetzt dauernd über die Mannschaft zu reden. Wir haben eine hervorragende Qualität!“

Also lag es doch hauptsächlich an Tuchel? „Ich würde nicht davon reden, dass nur einer schuld ist“, sagte Dreesen. Das Tischtuch, sekundierte Thomas Müller, sei keinesfalls „zerschnitten“, „irgendwelche Sticheleien“ brächten niemanden weiter. Wie sehr die Niederlagen-Serie am Selbstverständnis der Stars nagte, offenbarte eine kurze „Käse“-Rede des Routiniers, die in dem Satz gipfelte: „Wenn du die Spiele anschaust und sagst: 'Boah, bin ich ein Topspieler' - das ist doch alles Quatsch!“

Sollten die Bosse darauf gehofft haben, dass die vorzeitig verkündete Trennung von Tuchel eine befreiende Wirkung haben würde, so sahen sie sich getäuscht. „Ich glaube nicht, dass das jetzt extrem uns als Menschen und unser Spiel verändert“, gab Müller zu. Die spielerischen Mängel waren abermals offenkundig, Neuer musste die Bayern phasenweise im Spiel halten.

Doch Tuchel, der über weite Strecken auf seinem Koffer sitzend coachte, steuerte seine Elf mit der späten Umstellung auf eine Dreierkette ins Glück. Die so geschaffene Offensiv-Überzahl half Kane zu Saisontreffer Nummer 27 (90.+1) im 23. Spiel - Rekord.

Geht da noch was bei acht Punkten Rückstand auf Bayer? „Wir werden niemals aufgeben“, beteuerte Kane. Und danach? Soll es „wieder mehr Kontinuität auf dem Trainerstuhl“ geben, wie Dreesen hoffnungsvoll meinte, „das ist das, was wir anstreben“. (sid/calü)

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