Kaum Sauerstoff, Kliniken am Limit: Indiens dramatische Corona-Lage

<p>Medizinisches Personal versorgt Corona-Patienten in einem Bankettsaal in Neu-Delhi, der vorübergehend in eine Isolierstation umgewandelt wurde.</p>
Medizinisches Personal versorgt Corona-Patienten in einem Bankettsaal in Neu-Delhi, der vorübergehend in eine Isolierstation umgewandelt wurde. | Foto: picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Wire

Kaum Sauerstoff, Ärzte und Krankenhauspersonal am Limit, überlastete Krematorien. Kein Land weltweit erlebt derzeit eine so dramatische Corona-Krise wie Indien. Die zweite Welle hat das südasiatische Land mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern stark getroffen. Besonders in der Hauptstadt Delhi sind Krankenhausbetten und Medikamente Mangelware. Familien warten mit ihren an Covid-19 erkrankten Angehörigen vor den Kliniken oft vergeblich, viele Menschen sterben, bevor sie ein Arzt überhaupt behandeln kann.

Auch die Daten zeichnen ein verheerendes Bild. Seit Tagen werden täglich mehr als 300 000 Neuinfektionen registriert, Tausende sterben im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Seit Pandemiebeginn gibt es nun insgesamt mehr als 200 000 Corona-Tote im Land, wie aus den Zahlen des indischen Gesundheitsministeriums vom Mittwoch hervorgeht. Experten befürchten, dass die tatsächliche Zahl der Toten deutlich höher sein dürfte. Krankenhäuser weisen Angehörige teils an, selbst Sauerstoff für ihre Kranken zu organisieren. Einige noch gesunde Menschen sichern sich eigene Vorräte - falls es sie auch noch trifft.

Dabei hofft das Land auf internationale Hilfe. Der deutsche Botschafter in Indien, Walter J. Lindner, sagte dem indischen TV-Sender CNN-News 18, dass Indien in der Covid-Krise viel getan habe, Impfstoffe und Medikamente hergestellt habe, und es nun Zeit für Freunde sei, mitzuhelfen. Deutschland wolle eine Sauerstoffproduktionsanlage der Bundeswehr nach Indien bringen. Auch sollen Beatmungsgeräte und das Medikament Remdesivir (Belgien schickte ebenfalls eine große Lieferung des Arzneimittels) geliefert werden, das als Virenhemmer bei Covid-19-Patienten zum Einsatz kommt.

Der britische Thronfolger Prinz Charles rief zu mehr internationaler Hilfe für Indien auf. „Zusammen werden wir diesen Kampf gewinnen“, schrieb Charles am Mittwoch in einer öffentlichen Nachricht an die Menschen in Indien. Er sei tief traurig über die tragischen Bilder aus dem Land. Die Betroffenen in Indien seien in seinen Gedanken und Gebeten.

Zu Spenden riefen am Mittwoch auch die Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas international auf. Caritas stellt nach eigenen Angaben sofort weitere 500 000 Euro für Hilfen bereit. Damit sollten 150 Quarantäne-Zentren in der Nähe von Krankenhäusern unterstützt werden. Dafür seien etwa Inhalationsgeräte und Sauerstoffmessgeräte angeschafft worden. Zudem wolle Caritas Aufklärungskampagnen starten, in denen über Hygieneregeln und Impfungen informiert werde. Neben medizinischer Hilfe sei demnach auch das Unterstützten von ärmeren Menschen, etwa Wanderarbeitern wichtig. Wegen der Ausgehbeschränkungen würden sie in akute Not geraten.

Im Land gibt es in besonders betroffenen Gebieten regionale Lockdowns. Als Grund für die besonders verheerende zweite Welle führen Experten oft die große Sorglosigkeit im Hinblick auf Corona-Regeln im Land an. Auch die Virusmutante B.1.617 steht im Verdacht, eine Rolle zu spielen. Der Virologe Christian Drosten zeigte sich angesichts der bisherigen Erkenntnisse über die indische Corona-Variante jedoch weiter relativ gelassen. Die Variante sei zwar etwas verbreitungsfähiger und robuster gegen die Immunität, sagte der Wissenschaftler von der Charité in Berlin im Podcast „Coronavirus-Update“ (NDR-Info) vom Dienstagabend. Das sei auch im Vergleich mit anderen Varianten „nichts, was einen wirklich groß beunruhigt“.

Dorsten zufolge gebe es noch weitere Effekte: Herdenimmunität sei in Indien einer Studie zufolge bei weitem noch nicht erreicht gewesen. Es werde nun eine Bevölkerung durchseucht, die schon ein bisschen die Anfangsimmunität aus den bisherigen Wellen zu verlieren beginne. Zudem haben in Indien bislang weniger als zehn Prozent der Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten - und das obwohl Indien eigentlich als „Apotheke der Welt“ bekannt ist und massenhaft Impfstoffe herstellt.

Ab Mai sollen sich in Indien alle ab 18 Jahren impfen lassen dürfen. Allerdings gibt es weiterhin Engpässe, immerhin braucht es für die große Bevölkerung mit mehr als 1,3 Milliarden Menschen auch viel Impfstoff. In Indien mit der zweithöchsten Bevölkerung weltweit wurden insgesamt rund 17,6 Millionen Corona-Fälle registriert. (dpa/mv)

Kommentare

  • dpa/mv: „ Kein Land weltweit erlebt derzeit eine so dramatische Corona-Krise wie Indien.“

    Falsch! Richtig müsste es bestenfalls heißen: „Kein Land weltweit erlebt derzeit eine so dramatische Krankenhausunterversorgungs-Krise wie Indien“. Denn u.a. die USA, die EU und Brasilien zählen, auch wenn die dramatischen Bilder aus Indien etwas anderes suggerieren (sollen?), derzeit mehr Corona-Tote pro Einwohner als Indien.

    Dass Herr Drosten nicht in das Panik-Horn von dpa bläst, spricht für ihn. Er hat sich wohl nicht alleine auf Bilder verlassen, sondern sich die tatsächlichen Zahlen angeschaut.

    Quelle: https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?zoomToSel...

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