Ein Wassersportzentrum im idyllischen Oetal

<p>Auf Ansichtskarten wurde mit dem Picardsweiher für den Luftkurort Eupen geworben.</p>
Auf Ansichtskarten wurde mit dem Picardsweiher für den Luftkurort Eupen geworben. | Fotos: Sammlung des EGMV

Das Bändchen enthält zahlreiche Annoncen, darunter eine von Nicolaus Thönnissen, der unter der Haas Uhren, Goldwaren, Musikwerke, elektrische und optische Sachen, Gewehre und Revolver, Fahrräder und Nähmaschinen sowie alle „Fornituren“ hierzu anbot.

Nicolaus Thönnissen rühmte sich, Vertreter weltberühmter Fabriken zu sein. Er bot Fahrradunterricht im geschlossenen Saale an. In Eupen und Raeren betrieb er Velodrome. Ferner verlieh er Räder für Tage und Wochen, die auch in Belgien benutzt werden konnten. Zu guter Letzt pries er noch Kahnfahrten auf dem Picardsweiher an.

Der Herrgott regelte die Wassermenge.

Als Claire Meyers-Michel diese Erzählung 1967 im ersten Jahrbuch „Geschichtliches Eupen“ des Eupener Geschichts- und Museumsvereins veröffentlichte, wurden wohl bei manchem Eupener der Vorkriegsgeneration Erinnerungen wach an schöne Stunden auf „Pikasch Wijer“, als man im schönen, romantischen Oetal im Sommer Kahn fahren konnte und sich im Winter im Schlittschuhlaufen übte. Wer von den Angestellten und Arbeitern der Kabel- und Gummiwerke ahnt wohl, dass er an seinem Arbeitsplatz auf nassem Boden steht, sinnierte die Autorin. Denn dort, wo in den 1930er Jahren eine neue Produktionshalle errichtet wurde, waren einst Kahnfahrt und Eislauf beheimatet. Der Herrgott regelte die Wassermenge. Grüne Wiesen ringsumher sorgten für den Blumenschmuck. Hohe Bäume warfen ihre Schatten auf den glitzernden Wasserspiegel. Holzbänke am Ufer luden zum Verweilen ein.

Um die Wende zum 20. Jahrhundert waren die Eupener nicht anspruchsvoll. Damals konnte man sich noch über wenig freuen, über Musikanten in den Straßen, über tanzende Bären und flinke Äffchen, die bei Drehorgelmusik ihre Kunststückchen aufführten. War es darum nicht für unsere Vorfahren eine Sensation, einen großen Weiher zu besitzen, worauf man im Sommer Kahn fahren konnte, und auf welchem man sich im Winter im Eislauf übte!

Auf ewig in Pacht gegeben

Wie der Name angibt gehörten der Weiher sowie das umliegende Gelände einst der Familie Le Picard. August Le Picard betrieb in der Oe eine Walkmühle und Färberei. Er war der Nachfolger eines gewissen Matthias Salm. Dieser ließ mit seinem Bruder Leonhard das Haus erbauen, das die Familie Le Picard später „Mon Plaisir“ nannte. Es befindet sich heute noch rechts an dem Zugangsweg zur Theodor-Pohl-Siedlung. Das Terrain in der Oe hatte Kaiserin Maria-Theresia in ihrer Eigenschaft als Herzogin von Limburg den Gebrüdern Salm „en arrentement perpétuel“ überlassen – zu einem Grundzins auf ewig in Pacht gegeben –, mit der Verpflichtung, es zu kultivieren.

Die Salms erhielten die Erlaubnis, aus dem nahe gelegenem Wald gute Erde zu holen, um das besagte Ödland fruchtbar zu machen. Zum Bau des Hauses durften sie aus dem „montagne nommée le Rost“ – plattdeutsch „de Rootsch“ – Steine zum Bau des Hauses entnehmen.

Claire Meyers-Michel bringt den Namen Oe mit dieser Öde in Verbindung. „In Eupen sagt man: ä gen Üe. Könnte Üe nicht das plattdeutsche Wort für Öde sein und Oe das verkürzte Öde?“ Eine Annahme, durchaus keine Behauptung, betont die Autorin.

<p>Wassersport im Oetal. Kahnfahrt auf dem Picardsweiher.</p>
Wassersport im Oetal. Kahnfahrt auf dem Picardsweiher.
„Mon Plaisir“ war ein hübsches, herrschaftliches Besitztum. In einem der anliegenden Häuser lebte, wirkte und starb der Eupener Kunstlehrer und Bildhauer Christian Stüttgen (1877-1942).

An „Mon Plaisir“ vorüber führte der Zugang zum Picardsweiher. Dieser war nicht sehr groß. Im Schilf an seinen Ufern huschten Schilfhühnchen hin und her. In der Mitte des Weihers befand sich eine kleine Insel, von einigen Bäumen und Sträuchern bewachsen. Schöne Seerosen erfreuten in der guten Jahreszeit die zahlreichen Besucher.

Nicolaus Thönnissen wertete den Weiher auf.

Um die Jahrhundertwende pachtete Nicolaus Thönnissen aus der Haasstraße den Weiher mit angrenzendem Gelände von dem damaligen Besitzer, der Familie Losen-Endemann. Dem Herrn Thönnissen ist die Aufwertung des Weihers zuzuschreiben. Durch diesen schönen Teich in der Oestraße wurde der gute Ruf des Luftkurortes Eupen stark gefördert. Sechs Kähne standen stets bereit. Sogar auf Tretbooten konnte man den Weiher durchkreuzen. Nicolaus Thönnissen hatte die Fahrzeuge selbst gebaut. Alte Fässer aus den Kammgarnwerken, an die er vorne und hinten einen kegelförmigen, wasserdichten Verschluss schweißte, wurden paarweise durch Stangen verbunden. Als Fachmann im Fahrradbau versah er sie mit einem Kettenantrieb. So lagen vier Tretboote startbereit und warteten auf mutige Fahrer.

Auch in der kalten Jahreszeit war es im Oetal sehr lebendig. Die Winter waren streng, und der Weiher war oft wochenlang mit einer festen Eisdecke überzogen. Dann wurden die Schlittschuhe herausgeholt, und man erfreute sich am Eislauf. Alte Leute wussten 1967 noch von einem Eiskunstläufer namens Claus Strehl zu berichten. Er war Kreisbote von Beruf und erwarb sich durch seine Kunstläufe auf dem Eis Ansehen und Bewunderung

Nicolaus Thönnissen baute eine kleine Bude am Ufer auf, in welcher er dutzende Paare Schlittschuhe aufbewahrte, die man gegen Entgelt stundenweise leihen konnte.

Zehn Pfennige für eine Bootspartie

<p>Wo im Sommer Bötchen fuhren ging man im Winter aufs Eis.</p>
Wo im Sommer Bötchen fuhren ging man im Winter aufs Eis.
Auch für Erfrischungen und „Erwärmungen“ war gesorgt. Im Winter wurden Kaffee und Kakao angeboten. Im Sommer erfrischte man sich mit Bier oder Limonade. Natürlich konnte sich damals nicht jeder Sterbliche die Ausgabe von zehn Pfennigen leisten, sowohl für die Benutzung des Weihers zum Eislauf, wie für eine Kahn- oder Pedalofahrt. Im Winter sann die ortskundige Jugend schon auf Wege, um unentgeltlich auf den Weiher zu kommen, was sich für eine Kahnfahrt absolut nicht machen ließ, da man eine abgestempelte Fahrkarte vorzeigen musste. Doch auch schon damals, als die Jugend angeblich besser gewesen sein soll als heutzutage, fand man Mittel und Wege, Vorschriften zu umgehen. Einige Gymnasiasten (von den einfachen Leuten abfällig Raßknin genannt) fanden Mittel, die Kähne zu lösen und kostenlos auf dem See zu rudern. Doch das Auge des Gesetzes wachte. Der Betreiber erschien eines Tages in Begleitung des Polizisten Nicolaus Heuer an der Vergnügungsstätte. An ein Entrinnen war nicht zu denken. Die Übeltäter mussten erstens eine Strafpredigt über sich ergehen lassen und zweitens, was weit schlimmer war, eine Geldstrafe zahlen. Mancher „Hondsjong“ hat in der Oe mit dem nassen Element Bekanntschaft gemacht, wenn er bei beginnendem Tauwetter doch noch einen Schollenlauf versuchen wollte. Die Jungen legten dann Bretter vom Ufer zur bleibenden Eisfläche. Glitten sie aus, fielen sie in das eiskalte Wasser. Dass diese lebenden Eiszapfen zu Hause nicht mit Hurra empfangen wurden, ist gewiss. Noch bevor die Mutter einen heißen Tee bereitete, wurde der „beste Körperteil“ trocken geklopft.

Eis zum Kühlen des Bieres

Im Winter fuhren Fuhrleute der Brauerei aus der Paveestraße mit Pferd und Wagen in der Oe vor. Die Arbeiter hackten das Eis auf, verluden es und fuhren es in die Eiskeller der Brauerei, die Vorboten der heutigen Kühlhäuser. Dadurch verdarb man aber nicht den Spaß des Eislaufens, denn am andern Tag war die Eisdecke wieder fest.

Die kleine Insel inmitten des Weihers war einmal Anlass zu einer Invasion, nicht etwa von Menschen, dazu war der Raum zu eng. Um sie etwas lebendiger zu machen, hatte der Pächter einige Pärchen Kaninchen dort ausgesetzt. Leider wurden die Tierchen zu lebendig, sodass man im folgenden Jahr fast mehr Vierfüßler fand als Gras und dem Lebendig-Werden unbedingt Einhalt gebieten musste.

<p>Wo sich einst der  Picardsweiher ausdehnte, werden heute Kabel produziert.</p>
Wo sich einst der Picardsweiher ausdehnte, werden heute Kabel produziert. | Foto: Heinz Godesar
Den Krieg 1914-1918 hat der Picardsweiher noch überlebt. Doch durch den schnellen Aufschwung der Kabel- und Gummmiwerke wurde ein Geländekauf nötig, der auch den Weiher mit einschloss. Er wurde trockengelegt, wobei man noch viel Munition und Kriegsmaterial vorfand, das heimziehende deutsche Soldaten im Weiher entsorgt hatten.

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