Moderne Sklaverei in belgischen Nagelstudios

<p>Hinter perfekt modellierten Nägeln verbergen sich oft traurige Schicksale.</p>
Hinter perfekt modellierten Nägeln verbergen sich oft traurige Schicksale. | Illustrationsbild: dpa

Samstagnachmittag im Zentrum von Brüssel. In der Galerie du Centre, einem Einkaufszentrum einen Steinwurf vom Grand’Place entfernt, reiht sich ein Nagelstudio an das nächste. In fast jedem Salon polieren und feilen junge asiatische Frauen und Männer Nägel wie am Fließband. Das Geschäft boomt: In langen Schlangen warten die Kunden darauf, bedient zu werden. Eine einfache Maniküre gibt es schon für 15 Euro.

In ganz Belgien schießen asiatische Nagelsalons derzeit wie Pilze aus dem Boden. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums gibt es landesweit derzeit 24.450 Nagelstudios. Im Jahr 2008 waren es noch 12.738.

„Seit drei Jahren nimmt die Zahl asiatischer Nagelstudios enorm zu“, sagt Mario Blokken, Vorsitzender des belgischen Verbands für Schönheitspflege. Gelegentlich ordnen die Behörden Schließungen an. „Aber ein paar Monate später öffnen sie wieder, manchmal sogar in der gleichen Straße.“ In Vilvoorde wurde im Juni ein Nagelsalon zwangsgeschlossen, nachdem bei einer Kontrolle illegale Arbeiter angetroffen worden waren. Die Beautybranche ist ein attraktiver Sektor für Kriminelle: Kunden zahlen häufig bar, mehrere Personen können gleichzeitig arbeiten, und die Eröffnung eines Nagelstudios ist in Belgien kaum an Bedingungen geknüpft.

Nichtsdestotrotz werden vermehrt Kontrollen durchgeführt. Die Bilanz: „Jeder zweite Mitarbeiter arbeitet illegal, aber die von uns festgenommenen Personen weigern sich, auszupacken“, sagt Bruno Devillé vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Er ist in der Brüsseler Niederlassung zuständig für Menschenhandel und wirtschaftliche Ausbeutung. „Häufig treffen wir sehr junge Mädchen an, die schwanger sind. Zuvor haben sie als Hausangestellte für wohlhabende Vietnamesen gearbeitet. Sie geben zu, vergewaltigt worden zu sein. Aber die Namen rücken sie nicht heraus.“

Laut Devillé haben die Besitzer besagter Studios „eine Parallelwirtschaft geschaffen“. Auf der einen Seite machen sie herkömmlichen Schönheitssalons das Geschäft kaputt. „Aber das größte Problem ist, dass Minderjährige beschäftigt und ausgebeutet werden.“

Bei den Mitarbeitern handelt es sich größtenteils um vietnamesische Katholiken, eine Minderheit in Vietnam. Oft stammen sie aus Quang Binh, einer ärmlichen Provinz in der zentralen Küstenregion Vietnams. Menschenschmuggler versprechen den jungen Einheimischen ein besseres Leben und locken sie so nach Europa. Dafür zahlen die Opfer bis zu 40.000 Euro an kriminelle Schlepperbanden. Geld, für das sie einen Kredit aufnehmen, den sie durch die Arbeit in den Studios zurückzahlen.

In einem der drei anerkannten Zentren für Opfer von Menschenhandel in Belgien werden derzeit acht vietnamesische Opfer betreut, vier von ihnen - alle minderjährig - wurden in Nagelstudios ausgebeutet. Laut Sarah De Hovre, Direktorin des Zentrums, mussten die vier Opfer „sechs, manchmal sieben Tage die Woche für einen Lohn arbeiten, der weit unter dem belgischen Mindestlohn liegt. Einige von ihnen arbeiteten bis zu 12 Stunden am Tag.“ Einen großen Teil ihres geringen Verdiensts müssen die Betroffenen direkt an die Menschenschmuggler abgeben. „Sie kommen in der Hoffnung, Geld zu verdienen um ihre Familien in der Heimat finanziell zu unterstützen. Aber die Realität sieht anders aus. Sie sprechen mit niemandem über die Umstände, unter denen sie hier arbeiten und leben und beklagen sich nicht über Gewalt oder Missbrauch.“

Kontrollen in Nagelstudios sind derweil nicht einfach zu organisieren. Da viele Verstöße zusammenkommen, müssen verschiedene Dienste anwesend sein: Polizei, Sozialinspektion, Arbeitsinspektion, Gesundheitsministerium etc. „Es ist nicht immer einfach, 20 Personen an Bord zu bekommen und genügend Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben“, sagt Brecht Speybrouck, Arbeitsinspektor in Brüssel.

Seit November 2018 haben belgische Behörden die Arbeit von 34 Nagelstudios unter die Lupe genommen, hauptsächlich in Brüssel, Ostende und Vilvoorde. Dabei wurden 15 offizielle Berichte über illegale Beschäftigung erstellt und verschiedene Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt. 13 Nagelstudios mussten daraufhin schließen.

Zu einer Verurteilung kommt es dagegen recht selten. Im Jahr 2017 verurteilte das Gericht Erster Instanz von Brügge einen britisch-vietnamesischen Eigentümer mehrerer Nagelstudios in Abwesenheit zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe in Höhe von 1.000 Euro. Im Jahr 2016 wurden fünf Vietnamesen vom Brüsseler Strafgericht wegen Menschenhandels verurteilt. Der Leiter des Schmuggelnetzwerks wurde, ebenfalls in Abwesenheit, zu zehn Jahren Haft verurteilt.

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