„Harter“ Brexit bedroht Luftverkehr

Ein Flugzeug von Easyjet wird in Tegel am Flughafen beladen. | Bernd Settnik/ZB/dpa

„Wir müssen uns in einer Situation politischer Unsicherheit auf ein No-Deal-Szenario vorbereiten“, sagt der Chef der Thomas Cook Airlines, Christoph Debus. Hintergrund ist der Luftverkehrs-Binnenmarkt der Europäischen Union. Seit den 1990er Jahren darf etwa eine irische Fluggesellschaft auch Flüge innerhalb Spaniens anbieten – oder eine britische Airline Flüge von Berlin nach Mallorca. Zuvor waren auf Auslandsflügen nur Gesellschaften der jeweiligen Start- und Zielländer zugelassen. Die neue Freiheit machte den Boom der Billigflieger möglich – und Flugreisen für die breite Bevölkerung erschwinglich. Heute fliegen die irische Ryanair wie selbstverständlich Gäste aus Deutschland ans Mittelmeer.

Falls es zu einem ungeregelten Brexit kommt, würde Großbritannien am 29. März 2019 aus der EU und dem gemeinsamen Flugmarkt ausscheiden. Britische Fluggesellschaften könnten ihr Recht verlieren, etwa von London nach Frankfurt oder Mallorca zu fliegen. Flüge innerhalb der EU wären für sie passé. Außer, der Politik gelingt noch eine Übergangsregelung. Schließlich müssten auch Flüge von EU-Fluglinien nach Großbritannien neu geregelt werden.

Für Verkehrsrechte von Fluglinien ist nicht nur entscheidend, wo die Gesellschaft ihren Sitz hat – sondern auch, wem sie gehört. So müssen EU-Fluglinien zu mehr als 50 Prozent Eigentümern aus der Europäischen Union gehören. Ein Brexit könnte daher auch nicht-britische Fluggesellschaften treffen. So gehört der Ferienflieger Condor zu 100 Prozent dem britischen Reiseveranstalter Thomas Cook. Und an Thomas Cook halten britische Aktionäre die Mehrheit. Der Konzern hat daher Pläne in der Schublade, um seine Fluggesellschaften für den Fall eines harten Brexit zu wappnen. „Ich glaube, dass unsere Lösung auch bei einem unkontrollierten Brexit hält“, sagt Spartenchef Debus. Es gebe aber keine rechtsverbindliche Sicherheit. In der Branche gilt als denkbar, dass ein Konzern die Mehrheit an seinen Flugtöchtern abgibt. Beim weltgrößten Reisekonzern Tui gestaltet sich die Eigentumsfrage kompliziert. Nach bisherigem Stand wären nach einem Brexit die EU-Aktionäre bei Tui in der Minderheit – und die Flugrechte der britischen Tui Airlines und der deutschen Tuifly in Gefahr. „Wenn man nicht weiß, was passieren wird, bereitet man sich auf alles vor“, versuchte Tui-Chef Fritz Joussen Aktionäre und Gäste zu beruhigen.

Natürlich wollen keine Airline und kein Veranstalter die eigenen Kunden verunsichern. Sie sollen guten Gewissens Flüge und Reisen für das nächste Jahr buchen mit dem Gefühl: Es wird schon weitergehen. Da die Luftfahrtunternehmen ein existenzielles Interesse daran haben, kann man davon ausgehen, dass sie alles dafür tun werden.

Mancher schlägt allerdings lautere Töne an. Der EU-Austritt Großbritanniens sei „die dümmste Idee der Wirtschaftsgeschichte“, sagt Ryanair-Chef Michael O’Leary. Den britischen Aktionären will er für den Fall eines harten Brexit deren Stimmrechte als Anteilseigner beschneiden. Außerdem sollen sie und andere Aktionäre ihre Anteile nur noch an Anleger aus der verbleibenden EU veräußern dürfen. Dadurch, so hofft O’Leary, soll der EU-Anteil an der Airline von derzeit 46 Prozent – ohne Briten – auf mehr als 50 Prozent steigen. Der Billigflieger Easyjet hat eine Tochtergesellschaft in Wien gegründet, die ihm die europäischen Flugrechte sichern soll. Easyjet sitzt in Großbritannien, gehört aber zu rund einem Drittel ihrem Mitgründer, dem Unternehmer Stelios Haji-Ioannou und seiner griechisch-zypriotischen Familie. Ob dies dem Billigflieger am Ende hilft, weiterhin als EU-Airline zu gelten? Vor Problemen steht auch die International Airlines Group (IAG), der Mutterkonzern von British Airways und den spanischen Fluglinien Iberia und Vueling. Die Grenze zwischen Briten und EU verläuft bald mitten durch den IAG-Konzern.

Die Zeit für eine Klärung wird knapp. Seit die Briten 2016 für den Brexit gestimmt haben, fordern Fluggesellschaften von der Regierung in London und der EU-Kommission Planungssicherheit. Experten schließen nicht aus, dass im dümmsten Fall ab Ende März ein Teil des Flugverkehrs in Europa für einige Tage stillsteht. Nicht nur Urlaubs- und Dienstreisen vieler Menschen sind im schlimmsten Fall bedroht. Es ginge um eine Menge Arbeitsplätze, nicht nur bei den Airlines. So gelten die Briten als wichtige Umsatzbringer in den Urlaubsregionen Südeuropas. Wenn künftig viele Gäste ausblieben, könnte dies vor allem kleine Reiseziele schwer treffen. Die Luftfahrtbranche hofft, dass sich Großbritannien und EU doch noch bis Mitte Dezember auf einen geregelten Brexit einigen. Dann blieben zwei Jahre mehr, um ein Luftverkehrsabkommen zwischen der EU und Großbritannien auszuarbeiten. Branchenexperten rechnen damit, dass es zumindest für die Luftfahrt noch eine Übergangslösung bis 2020 geben wird – ganz im Sinne der „Open Sky“-Regeln. Dann könnten Fluggesellschaften aus der EU und Großbritannien weiter fliegen wie bisher. (dpa)