Spa war das „Wohnzimmer“ von Michael Schumacher

Erinnerungen: Michael Schumacher unterwegs im Benetton F1 in Spa-Francorchamps. Archiv-Foto: Christian Fischer | 4

Als Michael Schumacher die entscheidende Eingebung für seinen ersten Formel-1-Sieg kam, war der spätere Rekordweltmeister gerade auf Abwegen. Die Mauer war nur eine Wagenbreite entfernt, sein Benetton-Teamkollege Martin Brundle rauschte gerade an ihm vorbei. Doch der Große Preis von Belgien 1992 war für Schumacher nur scheinbar verloren – im Gegenteil: Es wendete sich in diesen Sekunden zu seinen Gunsten. „Ich habe einfach zu spät eingelenkt und war neben der Strecke. Da habe ich gesehen, dass sich auf Martins Reifen Blasen schon gebildet haben“, sagte Schumacher wenig später, als freudestrahlender Sieger: „Deswegen habe ich absolut den richtigen Moment erwischt, um auf Trockenreifen zu wechseln.“

Schon am Vormittag des 30. August 1992 hatte der 23 Jahre alte Kerpener beim Blick in den wolkenverhangenen Himmel über den Ardennen „so ein Gefühl“ gehabt. Die Vorzeichen waren günstig, immerhin hatte der dominierende Brite Nigel Mansell seinen ersten WM-Titel zwei Wochen zuvor in Ungarn perfekt gemacht. Die übermächtigen Williams-Renault direkt vor sich in der Startaufstellung schienen für Schumacher angreifbar, nachdem das große Ziel erreicht war.

Doch wie an zahllosen Formel-1-Sonntagen in Spa-Francorchamps sollte sich diese schöne Theorie rasch als Makulatur erweisen. Nur Minuten nach dem Start setzte Regen ein, der typische Poker auf der Ardennen-Achterbahn begann. Zwar verzockte sich „Regengott“ Ayrton Senna, der legendäre Brasilianer setzte auf einen kurzen Schauer, blieb zu lange auf Slicks und fiel weit zurück. Doch für Schumacher, der ein Jahr zuvor in Spa ein viel beachtetes Formel-1-Debüt gefeiert hatte, schien es kein Vorbeikommen an Mansell und seinem Teamkollegen Riccardo Patrese zu geben. „Das Auto war gut, alles war okay. Aber irgendwann schien es für mich nur noch um Rang drei zu gehen“, räumte Schumacher ein – bis er dank seines improvisierten Taktikkniffs an allen vorbeizog.

Sein Premierensieg, der erste eines Deutschen seit Jochen Mass 1975 in Spanien, war für viele Experten nur eine Frage der Zeit gewesen. Fünfmal hatte Schumacher in seiner ersten vollständigen Saison zuvor ein Podium erreicht, beim Heimspiel in Hockenheim wurde er als Dritter von der von ihm selbst ausgelösten Formel-1-Euphorie förmlich überrollt und weinte Tränen der Rührung. Beim Deutschland-Grand-Prix 1992 wurde er auch erstmals in aller Öffentlichkeit vom dreimaligen Weltmeister Senna gemaßregelt – es war nur der endgültige Beweis, dass die Stars der Königsklasse in dem ehrgeizigen Deutschen eine ernsthafte Bedrohung sahen.

Die Liebesbeziehung zwischen Schumacher und Spa-Francorchamps sollte in den folgenden 20 Jahren bis zu seinem Karriereende 2012 immer weiter aufblühen. 1995 stürmte er im Regen auf dem Weg zu seinem zweiten WM-Titel von Startplatz 16 zum Sieg. 2001, mittlerweile im Ferrari, verdrängte Schumacher hier mit seinem 52. Formel-1-Erfolg den Franzosen Alain Prost vom Spitzenplatz in der ewigen Siegerliste. 2004 sicherte sich Schumacher in Belgien mit Rang zwei seinen siebten und letzten WM-Titel, 2012 war der Kurs Schauplatz seines 300. Grand Prix.

Insgesamt feierte Schumacher zwischen 1992 und 2002 sechs Siege in Spa – mehr als jeder andere. Kein Wunder, dass der aus Kerpen gebürtige Rheinländer die nur 70 km von seiner Heimat entfernte Rennstrecke als sein „Wohnzimmer“ bezeichnete. Da ist es nur logisch, dass Schumacher auch längst Ehrenbürger der Stadt Spa ist. (sid/hs)