René Sydow: Moral ja, aber nie moralisierend

René Sydow hinterließ nach mehr als zwei Stunden ein total begeistertes Publikum im Eupener Jünglingshaus. | Ralf Schaus

Am vergangenen Freitag war René Sydow im Eupener Jünglingshaus zu Gast. Sorgte für Gedränge im Foyer und hinterließ nach mehr als zwei Stunden ein total begeistertes Publikum.

„Am Anfang war das Wort“ verkündete der Kabarettist schon in der Einleitung. Und das Wort forderte Aufmerksamkeit. Es wurde präzise gesetzt. War immer treffend. Doch ohne Mitdenken, dem schnellen Fokuswechsel des Kabarettisten folgend, kam der Zuhörer nicht davon.

Mit vielen Fragen und mit noch mehr Anregungen zu Fragen ließ er seine Zuhörer zurück.

René Sydow zog ihn hinein in eine Diskussion. „Die Bürde des weisen Mannes“ lautet der Titel seines Programms, seines dritten. Was das bedeutet – „das werden wir vielleicht am Ende des Abends wissen“, meinte René Sydow.

„Es geht uns doch fantastisch“ provozierte er. Wir erleben den wirtschaftlichen Aufschwung. Die Bildung blüht. Bitteres Lachen im Saal bei Sätzen, wie: Die Sklaverei ist eine uralte Tradition, hat ja auch Vorteile. „Jemand muss die Arbeit ja machen.“ Mit „ich mache nur Spaß. Die Welt wird immer brutaler“, waren Kabarettist und Publikum wieder einer Meinung. Sydows Kabarett ist politisch, deckt Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Weltpolitik ab. Doch Politiker kommen namentlich nur ganz selten vor. Selbst Trump findet lediglich in einem Kalauer Erwähnung. Namen und Köpfe sind offensichtlich austauschbar.

Ob Europapolitik oder Religion – zunächst das Offensichtliche, dann die Fragen, und schließlich die Auswirkungen, wie sie sich im Alltag der Menschen zeigen, und schließlich der Blick auf das große Ganze. Moral ist vertreten, kommt aber nie moralisierend daher. Von den Europabürgern werde Europapatriotismus erwartet, aber die Nationalstaaten glauben selber nicht daran. Was hat uns Europa gebracht. Na ja, einheitliche Ladegeräte für Handys seien schon ein Fortschritt. „Doch wir haben große Fragen zu klären“, so René Sydow an sein Publikum gewandt. Was ist mit Welthandel, was ist mit Kriegen, die sich Friedenseinsatz nennen.

Religion sei wieder stark im Kommen, in der „kalten, digitalen Welt“. Denn es heiße ja: Selig sind die Armen. „Allerdings erst, wenn sie tot sind“, bemerkte der Kabarettist.

Und er verweilte lange in der kalten, digitalen Welt. Vor allem in der Welt des Konsums und des Internets. Mit „klick, klick, klick“ gehe es von einem „günstigen Angebot“ zum nächsten. Mit „klick, klick, klick“ führt auch René Sydow durch sein Programm. „Darüber hätten wir sprechen können“, sagt er. Überlässt dem Zuhörer das Weiterdenken. Gibt schon wieder etwas Neues vor. Schon vor der Pause haben sich die Zuhörer auf sein Tempo eingestellt. Anstrengend bleibt es dennoch, will man alle Facetten ergründen.

Shopping Malls und Sterbehilfe werden angesprochen, YouTube, Werbung und kommerzielles Fernsehen. „Es ist alles so deprimierend“, schlussfolgert der Kabarettist. Zum Glück gibt es Ritalin – „ein Medikament für die gesamte kaputte Familie.“ Schön, dass sich der Kabarettist in wohl durchdachten Schritten von „deprimierend“ zu Hoffnung verheißend klickt. Bildung statt Wissensanhäufung lautet sein Vorschlag. Wissen ist effizient, mag Kompetenz bedeuten, „aber Bildung hat eine moralische Komponente“.

Mit vielen Fragen und mit noch mehr Anregungen zu Fragen ließ René Sydow seine Zuhörer zurück. Mit Begeisterung habe er die Fragen gestellt, „die mich selbst umtreiben“, sagte er.